An dieser Stelle möchte ich all den alleinerziehenden Müttern und Vätern gegenüber meinen allergrößten Respekt zum Ausdruck bringen, die es schaffen, Beruf und Kind(-er) unter einen Hut zu bekommen. Diese familiäre Situation lässt einem keine Wahl. Der Nachwuchs muss relativ jung ganztags im Kindergarten untergebracht werden. Hier gibt es so gut wie keine Alternativen, es sei denn, man hat ein in der Nähe wohnendes Familienmitglied, das die Betreuung übernehmen kann. Doch die heutigen Großmütter und Tanten gehören bereits zu der Generation Frauen, die Vollzeit berufstätig sind und nachmittags nicht zur Verfügung stehen.
Generelle Betreuungsproblematik
Die Betreuungsproblematik ist so komplex, dass man kein pauschales Urteil über all die Familien fällen kann, die sich entscheiden, ihr Kind weit vor dem dritten Lebensjahr abzugeben und es sogar bis zum späten Nachmittag in der Einrichtung zu lassen, zumal der Staat genau diese Betreuungsform fördert. Letztendlich gibt es in meinen Augen aber nur drei Gründe für eine solche Entscheidung: Entweder ist der Mutter die berufliche Karriere wichtiger, als sich bis zum dritten Lebensjahr zu Hause um ihr Kind zu kümmern oder sie hat keine Lust, mit ihrem Kind zusammen zu sein oder sie hat aus finanziellen Gründen keine andere Möglichkeit.
Man hat letztendlich keine Wahl
Da das Kind als Erstes in der Familie Vertrauen erfährt und dort auch entwickelt, ist es besonders wichtig, dass die Gesellschaft die Eltern in ihrer Rolle als Förderer und Erzieher unterstützt. Dies tut sie in Deutschland und vielen anderen Ländern aber nicht. Im Gegenteil! Ich prangere an, dass man als Eltern heute im Grunde genommen keine echte Wahl mehr hat. Sei es der Arbeitgeber, der keine langen Auszeiten toleriert, die finanzielle Situation oder der gesellschaftliche Druck, der auf Müttern (und auch Vätern!) lastet. Am schlimmsten aber ist es, dass sogar die Eltern, die sich ganz bewusst entscheiden, ja, die ihr Leben so planen, dass sie ihr Kind die ersten drei Jahre zu Hause behalten wollen und können, letztendlich keine Möglichkeit haben, dies zu tun. Denn alle Kinder, die jünger als drei Jahre alt sind, bekommen bei der Anmeldung im Kindergarten den Vorrang. Warum? Weil sie der Einrichtung mehr Geld einbringen! Fakten, wie ein erforderlicher höherer Personalschlüssel, Mehraufwand in der Betreuungsintensität des einzelnen Kindes und extra geschaffene Areale mit entsprechendem Spielmaterial kosten Geld. Je jünger die Kinder sind, desto größer ist die Finanzspritze für die Einrichtung. Dies ist auch der Grund, warum immer mehr Kitas auf U2 umgerüstet haben. Ich empfinde dies als unhaltbar. Ich möchte nicht gezwungen sein, gegen meine ganz persönlichen Prinzipien zu verstoßen, nur weil der Staat berufstätige Eltern mehr unterstützt als die, die sich entscheiden, für eine längere Zeit zu Hause zu bleiben. Auch für dreijährige und ältere Kinder müssen ausreichend Plätze vorhanden sein. Genauso muss eine Wahlmöglichkeit bestehen zwischen einem Halbtags- oder Ganztagsplatz. Die Bedürfnisse einzelner Familien und vor allem die jedes einzelnen Kindes sind sehr unterschiedlich. Deshalb sollten diese individuellen Betreuungsmöglichkeiten angeboten werden. Von einem solchen Ziel sind wir seit der Jahrtausendwende bewusst abgerückt und nun wieder weit entfernt, weil momentan eher im Vordergrund steht, so viele Kinder wie möglich in Einrichtungen unterzubringen.
Der Gesellschaft wird vorgetäuscht, dass die Menge der neu geschaffenen U3-Kitaplätze für die Familien von Vorteil sei. Und genau hier wird wieder einmal deutlich, dass das Kind ein reiner Wirtschaftsfaktor ist und es nicht wirklich um sein eigenes Wohl und das seiner Familie geht.
Thema U3 - jeder sucht sich seine eigene Wahrheit
Zu Beginn dieses mir ganz besonders wichtigen Themas möchte ich Jesper Juul, den berühmten dänischen Familientherapeuten zitieren, der in seinem Buch „Wem gehören unsere Kinder“ schrieb:
„Kinderkrippen wurden geschaffen, um die Bedürfnisse von Familien zu erfüllen, in denen beide Elternteile arbeiten wollen oder müssen, und sie dienen zugleich dem wachsenden Bedarf der Gesellschaft und der Wirtschaft an Erwerbstätigen. Sie wurden nicht eingerichtet, um die Bedürfnisse der Kinder zu erfüllen.“ (Jesper Juul)
Immer sprechen wir von der „Schulreife“ und wie weit ein Kind geistig und körperlich entwickelt sein muss, um den Anforderungen der Schule gewachsen zu sein. Aber wie steht es eigentlich um die Kindergartenreife? Danach fragt heutzutage niemand. Wie im Kapitel „Die Familie früher und heute“ bereits erwähnt wurde, reißen sich die Kitas um die ganz Kleinen. Die Eltern, die ihre „Minis“ abgeben, gehen von einer vorbildlichen Betreuung aus, denn natürlich macht jede Tageseinrichtung Werbung für ihre Kompetenz im Umgang mit den Jüngsten. Dabei gibt es die U3-Betreuung in Westdeutschland noch gar nicht so lange im Vergleich zu anderen Ländern. Erst recht nicht das Betreuungsangebot für unter 2-Jährige. Die meisten Erzieherinnen, die vor dem Jahr 2000 ihre Ausbildung gemacht haben, wurden nicht auf dieses Aufgabengebiet vorbereitet, hatten also eigentlich von Anfang ihrer Berufstätigkeit an keinerlei Erfahrung im professionellen Umgang mit Wickelkindern und haben sich erst später damit mehr oder weniger auseinandersetzen müssen. Die Kindergärten haben sich entsprechend nach und nach auf diese neue Betreuungsform eingestellt, sowohl von pädagogischer als auch von räumlicher Seite. Ganz sicher gibt es Kitas, die ihren Betreuungsauftrag sehr ernst nehmen und alles dafür tun, dass die unter Dreijährigen, so gut es irgend möglich ist, in allem gefördert und unterstützt werden. Doch in den meisten Kitas sieht die Realität sieht leider ganz anders aus…
Sorgfältige Recherche und meine eigene langjährige Erfahrung brachten mich zu der Erkenntnis, dass Kinder, die bereits vor dem dritten Lebensjahr in deutschen Einrichtungen „fremdbetreut“ werden, in den allermeisten Fällen eindeutig benachteiligt sind. Es ist nachgewiesen, dass es fast allen Kindern schadet, in einem Alter unter drei Jahren einen Kindergarten zu besuchen, auch wenn die meisten Eltern und Politiker in der heutigen Zeit von dieser Tatsache nichts hören wollen.
Hauptargument „Stress“
Messbar nachweisen kann man den Stresspegel der Kleinsten, deren Cortisolspiegel während ihres Aufenthalts in der Kita dramatisch erhöht ist. Viele Betreuer und Eltern glauben, dass sich das zunächst tagelang schreiende Kind ja im Lauf der Zeit früher oder später an die Situation gewöhnt und die Fremdbetreuung akzeptiert, weil es aufhört zu schreien. Das jedoch ist ein Irrtum. Kleinkinder resignieren schlicht und ergreifend, wenn sie merken, dass es für sie keine Möglichkeit gibt, aus einer ihnen unangenehmen Situation ausbrechen zu können. Diese Form der Resignation drückt sich oft auch in auffälliger Ruhe bis hin zur Emotionslosigkeit aus. Der Stresspegel bleibt jedoch konstant erhöht während des gesamten Kita-Aufenthalts. Auch das ist durch das Messen des Cortisolspiegels nachweisbar. Krippenkinder weisen in den ersten Wochen der Betreuung um 75 bis 100 Prozent höhere Cortisolwerte auf als zu Hause. Dieser Wert ist auch nach fünf Monaten noch um durchschnittlich ein Drittel erhöht.
Cortisol wirkt auf hohem Niveau neurotoxisch
Cortisol, das dauerhaft produziert wird, wirkt auf hohem Niveau neurotoxisch. Im Gehirn werden Verknüpfungen abgebaut. Dies hat einen negativen Einfluss auf die Gehirnentwicklung und kann neuronale Schäden nach sich ziehen. Die Folgen sind umso gravierender, je jünger die Kinder bei Stresserfahrungen sind. Es können sich eine gesteigerte Aggressivität, Hyperaktivität oder auch Ängstlichkeit entwickeln.
…„Heute ist bekannt, dass die neuronale Verschaltung im Gehirn unmittelbar mit der erfahrenen Sozialisation zusammenhängt, die in den ersten drei Lebensjahren stattfindet. Diese Strukturierung des Gehirns bestimmt später entscheidend, wie Beziehungen gesucht und gestaltet werden.