NADIA. Roman Spritzendorfer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roman Spritzendorfer
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347067554
Скачать книгу
Menschen werden aber immer anspruchsvoller und ziehen lieber in ein Hotel.«

      »Behalten sie es, ich habe ein sehr schmackhaftes Abendessen bekommen. Auch gegen das reichliche Frühstück habe ich keinen Einwand. Es ist ein Vorschuss.«

      »Darf ich sie nach ihrer Beschäftigung fragen?«

      Joseph überlegte ein wenig. Vielleicht hatte er durch Zufall eine Vertraute gefunden. Eines dieser Weiber, die nur darauf bedacht waren, jegliche Neuigkeit überall hin weiter zu erzählen, schien sie nicht zu sein.

      »Bevor ich ihnen etwas anvertraue, möchte ich sie darauf hinweisen, es könnte auch für sie gefährlich werden.«

      Ohne Erregung blickte sie ihn an.

      »Ich arbeitete bei der Eisenbahn. Gestern wurde der Zug plötzlich durch einen Felsbrocken gestoppt. Es ist jene Stelle, wo die Ebene beginnt. Der Lokführer und der Heizer waren sofort tot. Es gab viele Verletzte. Darunter gab es Passagiere, die wesentlich schwerer verletzt worden waren. Ich selbst befand mich im ersten Waggon, in dem Post und Gepäcksstücke neben verschiedenen Waren transportiert werden. Wie durch ein Wunder habe ich nur Abschürfungen davongetragen. Vielen Passagieren war ich behilflich, aus den Trümmern zu entkommen. Ein Lob habe ich von der Bahngesellschaft nicht erhalten. Die Umgebung des Unglücks wurde zum militärischen Sperrgebiet erklärt. Ein Hilfszug war im Laufe des Tages eingetroffen. Dieser beförderte sicherlich auch Personen von der Versicherungsgesellschaft. Sie haben gestern noch das gesamte Terrain abgesucht. Vom Ergebnis dieser Untersuchung ist mir nichts bekannt.«

      »Können sie mir folgen?«

      Interessiert hatte sie ihm ohne Unterbrechung zugehört. Er ließ ihr Zeit ihre Gedanken zu ordnen. Ihre rechte Hand führte sie zu ihrem Mund und bedeckte die Lippen. In ihren Augen erkannte er die Angst.

      »Sie ahnen nun, was ich erwähnt aber nicht deutlich ausgesprochen habe.«

      »Haben sie keine Angst?«

      »Angst hat jeder Mensch. Man soll sich aber nicht von dieser Angst beherrschen lassen, sonst ist man verloren. Das habe ich als Cowboy gelernt. Das war ein hartes Leben. Darum suchte ich etwas, von dem ich gehofft hatte, es wäre friedvoller. Das war vor langer Zeit. Mittlerweile habe ich mehr erfahren. Alles ist nur Schein. Wer Näheres kennenlernt, vergisst den Frieden.«

      »Ich werde nun gehen und für sie passende Kleidungsstücke auswählen. «

      Joseph begann in seinem Bündel zu wühlen und holte jene Unterlagen heraus, die in einer Blechschatulle im Postwaggon transportiert worden waren.

      Nach kurzer Zeit wurde ihm bewusst, der Zug hätte nicht in Betrieb genommen werden dürfen. Die Bremsanlagen sowie der gesamte Unterbau waren in einem sehr schlechten Zustand. Das entnahm er neben anderen kritischen Bemerkungen dem Prüfbericht, der nach der Revision verfasst worden war.

      Dieser Bericht war für die Versicherungsgesellschaft bestimmt. Weshalb diese detailgenauen Aufzeichnungen neben all der anderen Post, gerade ihm anvertraut worden waren, verstand er nicht. Eines hatte Joseph begriffen, der Zug war absichtlich zerstört worden. Man hatte gehofft, der Prüfbericht wird nie sein Ziel erreichen. Vermutlich war auch sein Tod ins Kalkül gezogen worden. Joseph versuchte diese Erkenntnis zu überdenken. Er verstaute die Papiere wieder im Bündel. Noch während viele Verletzte provisorisch im Gras lagen, kam das Militär und sperrte die Unglücksstelle. Ohne dem zu Hilfe gerufenen Leutnant hätte auch er keinen Zutritt zum Zug gehabt. Es war ihm nun gelungen, diesen Prüfbericht aus der zertrümmerten Blechbüchse zu entnehmen und zu lesen. Auch dem Wunsch der Indianerin war er nachgekommen. Ob die eingetroffenen Versicherungsagenten auch den Platz untersucht haben, von dem der Felsbrocken abgestürzt war, daran konnte er sich nicht erinnern.

      Die Zimmervermieterin kam, brachte Hemden, Hosen und einen Überzieher.

      »Hoffentlich finden sie für sich passende Kleidungsstücke. Ich werde nun einkaufen gehen. Vielleicht bekomme ich auch eine Zeitung. Bleiben sie ruhig in ihrem Zimmer. Die Eingangstüre werde ich versperren. Mir ist bewusst geworden, nicht nur sie sind in Gefahr. Ich bin es auch. Bei mir haben sie Unterschlupf gefunden.«

      Sie nahm seine Sachen und verschwand. Joseph blieb mit den gebrachten Kleidungsstücken allein. Der Reihe nach probierte er die Hemden und Hosen. Die Ärmel der Hemden waren zu lang. Das war kein Unglück. Er konnte sie umschlagen. Die Hosen passten in der Länge, wie auch im Bund.

      Ich muss zu dieser Versicherungsgesellschaft, fiel ihm ein. Bis dorthin sind es mindestens drei Tagesritte. Gänzlich allein und ohne Ausrüstung ist das ein nicht ungefährliches Unterfangen. Dieses Unglück war sicherlich geplant.

      Seine Vermieterin kam zurück. Mit seinem Aussehen war sie zufrieden. Sie überreichte ihm auch einige Zeitungen und teilte ihm mit, in den Straßen war es ruhig gewesen.

       Kapitel 3

      In den Zeitungen wurden der Felssturz und von dessen Folgen berichtet. Auch gab es einige Fotos. Keines von ihm. Darüber war er beruhigt. Sollte er weiterhin unerkannt bleiben, wäre dies seinen Plänen nützlich.

      In einem anderen Artikel fand er einen Bericht über jene Maschinenhalle, in der der Zug einer Revision unterzogen worden war. Die Maschinenhalle war durch eine Explosion schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Diese Information hatte nur wenige Zeilen. Sie befand sich in jenem Abschnitt der Zeitung, in der man sie leicht übersehen konnte. Das passte gut zusammen.

      Der Zug, mit dem ich nach Überprüfung mitgefahren bin, den wollte man sicherheitshalber nicht ankommen lassen und die Prüfstelle war zerstört worden. Man wird somit keine Prüfergebnisse finden können. Der entstandene Schaden wird von der Versicherungsgesellschaft eingeklagt werden.

      Die anderen Zeitungen waren voll von Fotos vom Zug und den verzweifelten Menschen. Das konnte man verkaufen. Alle Nichtbetroffenen hatten sich auf diese Zeitung gestürzt. Das letzte Exemplar konnte seine Zimmervermieterin erwischen.

      Joseph konnte sich glücklich schätzen. Auch in dieser Zeitung fand er von ihm kein Foto. Er war zu unbedeutend gewesen.

      Beim gemeinsamen Mittagessen erzählte Anne-Marie, seine Wirtin, über ihr Leben. Eine Farm habe sie verpachtet. Mit ihrem Mann hatte sie diese sehr lange gemeinsam geführt. Nach einem Tornado waren ihr Mann und ihr Sohn nicht mehr nach Hause gekommen. Der Gebäudekomplex hatte nur wenig Schäden erlitten. Dort wollte sie aber nicht weiterleben. Zu viele schöne Erinnerungen und bittere Stunden würden sie auch jetzt noch treffen. Mit dem kargen Einkommen habe sie sich abgefunden. Sie wisse, was es bedeutet, alleine in einer schwierigen Situation zu stecken.

      Dann war sie einige Zeit schweigsam.

      Sie begann wieder zu reden. Auf der Farm werden Pferde gehalten, die von Indianern betreut werden. Für Joseph war dies ein bedeutender Hinweis. Anne-Marie hatte längst begriffen, Joseph war ohne sein Verschulden in etwas verwickelt, was er sich nie hatte vorstellen können und befand sich in einer tödlichen Gefahr.

      Für Joseph war die Angelegenheit vorerst erledigt. Seine Kündigung war mit seinem Bericht der Bahngesellschaft weitergeleitet worden. Für ihn war es erledigt. Nicht aber für die Versicherungsgesellschaft. Seine früheren Hinweise an die Presse, der Überhang könnte eines Tages die Geleise blockieren, war der Versicherungsgesellschaft nicht verborgen geblieben. Dies führte dazu, ihn nach diesem Ereignis überall zu suchen. Da man ihn nicht finden konnte, entwickelte sich ein Gerücht, er hätte möglicherweise mit der Sprengung zu tun. Dies bewog die Bahngesellschaft einen Versicherungsbetrug zu begehen. Die Versicherungsgesellschaft hatte dagegen schon lange Leute eingesetzt, die das zu verhindern versuchten.

      Der Vorarbeiter der Ranch erschien bei Anne-Marie. Er brachte die fällige Rente.

      Jim, der Vorarbeiter, hatte von dem Unglück gehört, kannte keine Details. Anne-Marie erzählte ihm von Joseph, der nach der Kündigung Arbeit suchte. Sie erwähnte nur kurz seine ehemalige Tätigkeit als Cowboy. Jim wollte vor einer endgültigen Entscheidung die Meinung seines Chefs wissen. Dieser war seit Wochen in den Bergen unterwegs und suchte nach Wildpferden. Jim willigte ein, Joseph mitzunehmen. Das Pferd, Zaumzeug und Sattel sollte Joseph aber abarbeiten. Joseph war mit dieser