Immortality
of Silence
Lena Victoria
Copyright © 2020 Lena Victoria
Umschlaggestaltung: Lena Victoria
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359
Hamburg
ISBN: 978-3-347-12522-3 (Paperback)
978-3-347-12523-0 (Hardcover)
978-3-347-12524-7 (e-Book)
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Diese Geschichte schreibe ich für meinen Freund – um ihn zuehren und unsterblich zu machen.
KAPITEL 1 – DER STURM VOR DER
RUHE
Es war der zweite Februar 2016. Dieser Tag war das Ende von allem, aber gleichzeitig auch der Anfang von so vielem. Ich hatte nicht daran geglaubt, dass es noch ein Leben nach diesem Tag geben könnte. Es schien wie das Ende, obwohl ich noch immer Kohlenstoffdioxid an meine Umwelt abgab. Es war mir nicht bewusst, dass das Leben solange weitergeht bis ich nicht mehr darüber nachdenken konnte, ob es so wäre.
Es ist schwer jemandem meinen Schmerz zu erklären, der ihn noch nicht selbst empfunden hat. Falls du es doch zu verstehen versuchen willst musst du an die Person denken, die dir am allermeisten bedeutet auf dieser großen weiten Welt – an all eure gemeinsamen Erinnerungen und an all die schönen Momente, die dich zum Lächeln gebracht haben. Plötzlich verwandeln sich all diese positiven Erinnerungen in eine unerträgliche Last, die sich an deinen Rücken kettet – unmöglich loszuwerden, doch untragbar. Kein weiterer Schritt scheint mehr möglich. Es bleibt dir keine andere Möglichkeit als auf der Stelle zusammenzusacken, zu beobachten, wie die Schwere der Last dich in den Boden versinken lässt und an jedem weiteren Tag, an dem du nach oben zu deinem letzten Schlupfloch blickst, scheint der Ausweg immer weiter weg am Horizont zu verschwinden. Irgendwann wird das Loch so tief, dass es verrückt erscheint, überhaupt noch an Hoffnung zu glauben.
Normalerweise würde diese eine Person doch da oben stehen und ihre Hand nach dir ausstrecken. Doch diesmal nicht, denn dieser Mensch ist für immer verschwunden.
Am zweiten Februar 2016 hat mein großer Bruder Noah Selbstmord begangen. Er ist erst zwanzig Jahre alt gewesen. Ich weiß bis heute nicht wieso und diese Frage wird mich auch für immer quälen. Hätte mir damals jemand erklärt, dass es auch ohne meinen Bruder möglich wäre, zurück an die Oberfläche zu klettern, hätte ich es bestimmt nicht geglaubt, denn zu dieser Zeit fühlte ich mich genauso leer wie er. Doch eines Tages habe ich verstanden, dass man sich manchmal selbst die Hand reichen muss, anstatt auf jemand anderen zu warten. Es war ein harter Weg, der an manchen Tagen unendlich erschien, doch es war all die Anstrengungen wert.
Die Zeit ohne meinen Bruder war für meine Eltern mindestens genauso unerträglich wie für mich. Von einer Sekunde auf die andere hatte sich unser Leben komplett verändert – ohne eine Verabschiedung oder eine Erklärung. Mein Vater Jean, der der stolze Besitzer einer Bar namens ›Lorain’s‹ in unserer Heimatstadt Oregon ist, begann noch mehr zu trinken als er es ohnehin schon tat. Meine Mutter Mary versuchte sich mit pausenloser Arbeit von ihrer Trauer abzulenken. Sie war oft von morgens bis spät abends im Büro und schrieb Artikel für eine bekannte Zeitung, bei der sie schon einige Jahre beschäftigt war. Früher – als unsere Familie noch nicht zerbrochen war – hatten mein Bruder und ich ihre Berichte täglich gemeinsam gelesen. Ich habe mich schon immer für das Schreiben interessiert und daher nach der Schule begonnen Publizistik zu studieren, da ich den Traum hatte, später denselben Beruf auszuüben wie sie. Bis ich sie eines Tages kaum mehr zu Gesicht bekam und aufgehört hatte, überhaupt noch daran zu glauben, dass es eine Zukunft für mich geben würde. Trotzdem habe ich das Schreiben nie aufgegeben. Allerdings waren meine Werke nicht mehr für die Öffentlichkeit bestimmt – sondern nur noch für meine Augen. Das Schreiben half mir mit meinen Ängsten klarzukommen, wenn diese wieder einmal lauter wurden als mein eigener Verstand.
Schlussendlich wurden Gespräche mit meiner Mutter seltener als ein Lächeln auf ihrem Gesicht und Konversationen mit meinen Büchern wurden vielversprechender als Wortfetzen mit meinem Vater auszutauschen, der sich in einem permanenten Rauschzustand befand. Ich hatte auch nicht viele Freunde, und unter den wenigen gab es leider niemanden, dem ich wirklich nahestand. Übrig blieben also nur ein Block, ein Stift und meine Gedanken – ich führte zu dieser Zeit wahrscheinlich mehr Selbstgespräche in meinem Kopf als ich mit realen Menschen kommunizierte. Irgendwann begann auch mein Bedürfnis nach menschlicher Nähe zu verblassen und ich hatte Gefallen an meiner Einsamkeit gefunden. Die Isolation schien ein guter Ort zu sein, um meine Trauer und Ängste wegzusperren und die Illusion zu hinterlassen, dass ich Kontrolle darüber hatte. Während es mit meinen Freundschaften immer weiter bergab ging, litten auch meine Noten unter meinem Desinteresse gegenüber meiner Zukunft. Ich saß noch immer in meinem selbstgegrabenen kleinen Loch, und trotz all den Menschengruppen, die an der Oberfläche versammelt waren und mit verwunderten Blicken zu mir herabschauten, blieb all die Zeit immer eine riesige Kluft zwischen mir und der Außenwelt. In der Uni wechselte ich, wenn es unbedingt nötig war, immer wieder ein paar Worte mit Bekannten, doch damit war mein damaliges gesellschaftliches Leben bereits zusammengefasst – es war praktisch nicht vorhanden. Meine nachdenkliche Ader wurde zu dieser Zeit immer mehr zu meinem Verhängnis. Die Grübeleien führten dazu, dass sich all meine vermeintlichen Fehler in meine Gedanken einschlichen und sich dort wie Blutegel festsetzten, um den Rest meines erbärmlichen Daseins aus mir herauszusaugen. Die schlechten Erinnerungen drehten sich wie ein Kreisel, der sich von meiner Schädeldecke bis tief in mein Gehirn bohrte, und dabei all die schönen Gedanken vernichtete. Was am Schluss blieb war die Frage, ob ich je wieder zurück an das Licht gelangen würde, und falls nicht – hätte das alles überhaupt noch einen Sinn?
Nachdem auch mein Unileben kein Zuckerschlecken mehr war, hatte ich weder Lust noch Motivation überhaupt dort aufzutauchen. Es sammelten sich immer mehr Fehltage und negative Zukunftsprophezeiungen meiner Professoren an, die mich allerdings nicht sonderlich berührten. Ausdruckslos nickend lies ich mich von ihren Predigten berieseln, während ich über die süße Stille der grenzenlosen Einsamkeit der Endlichkeit grübelte.
Schließlich wurden meine Eltern von meinen Professoren dazu gedrängt, mir wieder Aufmerksamkeit zu schenken. So verwandelte sich neben der Uni auch noch mein Zuhause zu einem Ort, gefüllt mit enttäuschten Gesichtsausdrücken und vorwurfsvollen Gesprächen. Jedoch wiesen die Sätze meines Vaters während seines andauernden Rauschzustandes sowieso keinen Zusammenhang auf, da er nicht mehr in der Lage war, einen sinnvollen Gedankengang zustande zu bringen. Irgendwann blieb sein miserabler Zustand sogar meiner Mutter nicht mehr verborgen und so wurden die Vorwürfe an mich von einem Streit zwischen meinen Eltern abgelöst, der unendlich zu sein schien. Aussichtlos. »Wenn du so weitermachst wird nie etwas aus dir werden und dein Studium wirst du sowieso nicht schaffen.«, wirbelten die Worte meiner damaligen Professorin in meinem Kopf herum. Damals hatte ich auch nicht vor, ihr zu widersprechen – nicht einmal in meinem Gedanken – schließlich hatte ich gar keine Ziele mehr. All das Lernen schien wie eine unnötige Zeitverschwendung auf einem unendlich langen Weg, der nirgendwo hinführte.
Wir lernen für Prüfungen und erarbeiten Projekte, die benotet und daraufhin wieder verworfen werden. Kaum jemand wird die Ergebnisse je wieder betrachten oder ihnen Relevanz verleihen. Danach wird die Intelligenz des Students Nummer 24 in eine Skala eingeordnet und jeder Person ein Werte-Stempel verpasst.
Wir leben in einer Welt, in welcher der Wert eines Menschen der Höhe seines Bankkontos gleichgestellt wird – ist das nicht merkwürdig?
All die jahrelange harte Arbeit für etwas, das von Beginn an für deine Zukunft vorgeplant ist, bis du schließlich