Larry setzte sich ruckartig auf.
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen oder sprechen Sie wirklich von Big Joe, der droben in diesem verdammten Nest Canyon City das Sagen hat? Dann wissen Sie nicht, dass er so ziemlich der einzige Mensch ist, den ich nie mehr in meinem Leben sehen will!«
»Es geht ihm schlecht«, berichtete die Frau leise und ernst. »Er braucht Ihre Hilfe.«
Larry schwang die Füße vom Bett und starrte sie verblüfft an.
»Nun sagen Sie bloß noch, dass er Sie geschickt hat!«
»Er weiß nicht, dass ich hier bin.«
Coltpoker-Larry warf den Kopf zurück und lachte hart.
»Na also! Das würde auch nicht zu ihm passen, egal, wie dreckig es ihm geht. Erzählen Sie ihm nur ja nie, auf welche Idee Sie da gekommen sind, Linda! Weiß der Henker, wie Sie zu Big Joe stehen, aber er würde es Ihnen garantiert nie verzeihen, dass Sie ausgerechnet seinen missratenen Sohn um Hilfe für ihn angingen. Außerdem, Big Joe Langtry ist nicht der Bursche, der jemals auf die Hilfe eines anderen angewiesen ist. Als ich Canyon City vor etwa sechs Jahren auf Nimmerwiedersehen verließ, hatte er die Stadt so in der Tasche, dass ihm nur noch die Krone fehlte, um dort als King zu regieren.«
Die Frau schüttelte den Kopf.
»Als ich ihn kennenlernte, hatte er bereits eine Menge Fehlschläge hinter sich«, sagte sie mit einem Anflug von Bitterkeit in der Stimme. »Sicher, ich weiß, dass er mal der große Boss in Canyon City war. Aber außer seinem Frachtunternehmen, mit dem er die Goldgräbersiedlungen um Salida und am Ponchapass beliefert, ist ihm nichts davon geblieben. Ein Store, ein halbes Dutzend Frachtwagen, eine Remuda Pferde und einige Männer, die nur noch um doppelten Lohn für ihn arbeiten - das ist gerade genug, ihn am Rand des Ruins zu halten.«
»Teufel, darauf muss ich mir einen Schluck genehmigen!« Larry griff nach der entkorkten Flasche und trank. »Da hat sich in Canyon City ja allerhand getan. Und ich dachte immer, in diesem Kaff würde die Zeit stehenbleiben - weil Big Joe es so wollte.«
Im Zimmer war es dunkler geworden. Linda Colemans Gesicht wirkte jetzt schmaler und blasser als zuvor.
»Ein Bursche namens Dean Morrister hat sich in der Stadt, die mal Ihrem Vater gehörte, festgesetzt. Ein kieselharter Typ, der stets von einem Rudel Revolverschwinger umgeben ist und sich nicht scheut, sein Geld und seine gekauften Schießer dafür einzusetzen, sich in das von Big Joe bereitete ,Nest‘ zu setzen. Der Sheriff hat nach ein paar Überfällen und Mordanschlägen, die er nicht klären konnte, den Stern weggeworfen und das Weite gesucht. Seitdem ist Ihr Vater stündlich darauf gefasst, dass Morrister seine Maske endgültig fallen lässt und zuschlägt, um auch noch die Frachtlinie nach Westen in seine Gewalt zu bringen. Mit den paar Leuten, die Big Joe noch hat, kann er einen offenen Krieg nicht überstehen.«
Larry starrte sie an. Ein harter Zug lag um seinen Mund.
»Wenn Sie erwarten, dass ich jetzt in Tränen ausbreche, Ma’am, verrechnen Sie sich!« Plötzlich lachte er heiser. »Zum Henker, was glauben Sie denn, wie Big Joe damals in Canyon City an die Macht gekommen ist? Sein Motto war schon immer, dass eben Späne fallen, wo gehobelt wird. Scheint, dass er alt geworden ist. Wahrscheinlich konnte er auch nie genug Macht, Geld und Einfluss bekommen. Das musste ihm ja irgendwann mal über den Kopf wachsen. Sein Problem! Ich habe genug eigene.«
Die Frau löste sich von der Wand neben dem Fenster. Der Saum ihres knöchellangen Kleids wippte, ihre Augen funkelten, als sie rasch in die Zimmermitte kam.
»Ihr Vater ist einer von denen, die die Wildnis erschlossen und vielen Leuten das Leben hier draußen erst ermöglicht haben«, stieß sie heftig hervor. »Sie sollten sich schämen, so von ihm zu sprechen, nur weil Sie nie begreifen werden, dass es für einen Mann auch höhere Werte gibt als verrückte Pokerpartien, Saloonschießereien und jede Nacht ein anderes Flittchen im Bett!«
Coltpoker-Larry grinste schief.
»Wenn ich nicht genau wüsste, dass mein Vater sich nichts aus Frauen macht, seit Ma tot ist, würd’ ich glauben, Sie sind in ihn verliebt. Wieso setzen Sie sich eigentlich so für ihn ein?«
»Ich bin seit einem halben Jahr seine Partnerin im Fuhrgeschäft.«
Einen Moment war Larry Langtry sprachlos.
»Da hat es ihn ja wirklich verteufelt erwischt!«, schnappte er dann. Er lachte glucksend. »Dieser Dean Morrister scheint es tatsächlich geschafft zu haben, ihn von seinem hohen Thron zu stürzen.«
Zum ersten Mal zeigte sich Betroffenheit auf Linda Colemans Gesicht.
»Sie reden ja, als würden Sie sich auch noch darüber freuen!«
Larry stand auf. Kein Funken Spott oder Alkoholglanz war mehr in seinen dunklen Augen, als er dicht vor sie trat und sie durchdringend anblickte.
»Ich rede von einem Mann, dessen oberstes Ziel es sein Leben lang war, reicher und mächtiger als alle anderen um sich herum zu sein. Dafür war er bereit, alles zu opfern, auch seine Familie. Sein verfluchter Ehrgeiz und seine Härte haben meine Mutter so früh ins Grab gebracht. Er hat nie begriffen, dass es Menschen gibt, denen Freiheit mehr als Geld und Unabhängigkeit mehr als Besitz bedeuten. Er war immer einer, der sich darauf verließ, mit seinem Geld und seiner Macht rücksichtslos seinen Willen durchzusetzen. Wenn’s sein musste, auch gegen den eigenen Sohn!« Mit den Fingerspitzen fuhr er die dünne Narbe nach, die sich von seiner rechten Schläfe zum Kinn hinabzog. Sein Lächeln glich dem Zähnefletschen eines Tigers. »Das habe ich damals, als ich den ganzen Krempel hinwarf und ihm klarmachte, wie satt ich es hatte, seinen Knecht zu spielen, als Andenken mit auf den Weg bekommen. Es war eine ganz gewöhnliche Fuhrmannspeitsche, die er in seinem Zorn in die Hand bekam, und ich wundere mich heute noch, wo ich die Ruhe hernahm, nicht mit einer Kugel zu antworten. Wenn ich je für irgendetwas in seiner Schuld stand, dann habe ich diese Schuld damals beglichen. Nichts und niemand könnte mich dazu bringen, für seine Pläne auch nur noch einen Finger zu rühren.«
»Es geht um mehr als um seine Frachtroute, es geht um sein Leben!«
»Dann sicher nur, weil er in seinem verdammten Stolz und Ehrgeiz nicht zugeben kann, dass er nun doch einmal der Unterlegene ist. Ja, ich trau’s ihm glatt zu, dass er eher sein Leben riskiert, als einem Gegner das Feld räumt!«
»Und wenn’s so wäre!« Lindas Stimme klang wie zerspringendes Glas. »Trotz allem ist er immer noch Ihr Vater!«
»Was wollen Sie eigentlich?« Larry kniff die Augen halb zu. »Seinen Skalp retten - oder das Geld, das Sie bei Dean Morrister gewiss besser angelegt hätten?«
Als die Frau sich mit einem Ruck zur Tür wandte, griff er auflachend rasch nach ihrem Arm.
»Warten Sie! Gehen Sie nicht ohne einen Versöhnungsdrink.«
Sie funkelte ihn zornig an.
»Sie sind ja betrunken, Langtry. Ich werde Ihre kleine Saloonnutte heraufschicken. Vergessen Sie, dass ich hier war! Big Joe wusste sicherlich, was er tat, als er Sie damals seine Peitsche spüren ließ.«
Sie war nun doch erschrocken über die Wildheit, die ihr aus seinen Augen entgegenglühte. Er packte auch mit der zweiten Hand zu, ohne darauf zu achten, dass sie vor Schmerz das Gesicht verzog.
»Sagen Sie so was nie wieder!«
»Was fällt Ihnen ein!«, keuchte Linda. »Lassen Sie mich los, Sie verrückter Kerl, sonst ...«
Er schwang sie herum. Sie stieß einen Schrei aus, als sie aufs Bett stürzte. Da war er schon mit dem Revolver in der Hand bei der Tür. Er riss sie auf. Auf dem Korridor war es mittlerweile so finster, dass er die Männer am oberen Treppenabsatz nur als verwischte Schatten sah. Jennys Warnschrei aus dem Saloon fiel mit dem Aufdonnern mehrerer Schüsse zusammen, die die Bretterwände zu sprengen drohten. Feuerlanzen zerfetzten die Dunkelheit. Knapp neben Larrys Kopf hieben drei Kugeln in den Türrahmen.