»Doch, Joe! Tut deshalb lieber, was ich sage!«
Zögernd, mit halb wütenden, halb beklommenen Mienen, schnallten sie ihre Revolvergurte ab. Mac knirschte: »Was immer du vorhast, Rhett, du übernimmst dich. Dabei setzt du nicht nur deinen Skalp, sondern auch unsere Freundschaft aufs Spiel.«
»Ich verzichte auf die Freundschaft von Feiglingen.« Clintons Wink mit dem Colt scheuchte die Männer an den Rand der Piste.
»Steigen Sie ein, Bancroft!«, sagte Clinton, während er mit der angeschlagenen Waffe rückwärts zur Stagecoach ging. Bancrofts fahles Gesicht zeigte Verständnislosigkeit. Dafür begriffen die anderen umso schneller. Mac fluchte.
Joe keuchte: »Rhett, das kannst du nicht machen! So gemein kannst du nicht sein, Rhett!«
»Bancroft bezahlt mir tausend Dollar, wenn ich ihn nach Cheyenne bringe. Verdammt will ich sein, wenn ich mir diesen Batzen Geld nicht verdiene! Worauf warten Sie, Bancroft? Wollen Sie sich nasse Füße holen?«
»Bancroft, was dieser Kerl vorhat, ist glatter Mord!«, schrie Joe. »Bringen Sie ihn ab davon! Verflucht, will es denn nicht in Ihren Kopf, dass es unmöglich ist, mit der Kutsche Cheyenne zu erreichen? Rhett ist ja wahnsinnig, wenn er ...«
»Clinton, haben wir nun zu zweit eine Chance oder nicht?«, fragte Bancroft gepresst.
»Wenn diese Burschen die Roten, die in der Nähe ’rumschleichen, für eine Weile beschäftigen, ganz sicher.«
»Die Pest an deinen Hals, Rhett!«, schrie Joe. Bancroft hastete zur Kutsche, schwang sich hinein und klappte die Tür zu.
»Ich hoffe, dass dich die Cheyennes lebend erwischen, Rhett«, keuchte Joe. »Sie sollen dich am Marterpfahl braten, du ...«
»Verschluck dich nur nicht!«, unterbrach Clinton ihn eisig. »Und du, Mac, bleib stehen! Jim, lass die Finger von deinem rechten Ärmel. Ich weiß, dass du da ein Messer versteckt hast. Glaub mir, bevor du es anfassen kannst, bist du ein toter Mann! Das gilt für jeden von euch, der irgendeinen dummen Dreh versucht.« Er hielt den Sechsschüsser auch auf sie gerichtet, als er den Bock bestieg. Die Pferde waren so unruhig, als witterten sie die tödliche Gefahr, die in den regenverhangenen Hügeln lauerte.
»Na schön, Rhett du hast gewonnen«, versuchte Jim, der dritte Revolverschwinger, einzulenken. »Wir kommen mit! Wenn du ...«
»Das hättet ihr euch früher überlegen müssen.« Clinton löste die Zügel von der Seitenlehne. »Vorwärts, Kameraden, lauft! Noch fünfzehn lumpige Meilen, dann steht ihr im warmen Stall der Liberty Station.«
»Rhett, du verdammtes Schwein!«, brüllte Joe, als die Pferde anzogen. Schwankend rumpelte die Postkutsche an ihm und seinen Freunden vorbei.
Zwei Stunden später fand Clay Lorman die skalpierten und verstümmelten Toten. Es war ein Anblick, der auch einem Mann, der durch die Hölle gegangen war, den Magen umdrehen konnte. Die als ,Armabschneider‘ berüchtigten Cheyennekrieger hatten wieder mal bewiesen, dass sie diesen schaurigen Namen nicht zu Unrecht trugen. Clintons einstige Partner hatten sich verzweifelt gewehrt. Ihre Colts waren leergeschossen. Zum Nachladen jedoch war ihnen keine Zeit mehr geblieben. Nur der Mann mit der Messernarbe hatte in der Hölle, die über sie hereingebrochen war, nicht völlig die Nerven verloren und die letzte Kugel für sich selbst aufgespart.
Fröstelnd wandte Clay den Kopf. Nur weg hier!, war sein erster Impuls. Auch sein Brauner wollte schnaubend weiter. Doch plötzlich hatte Clay das Gefühl, dass er nicht mehr allein war.
Die Toten lagen etwas abseits der Overland Road am Rand eines Gestrüpps, in dem sie wahrscheinlich Deckung gesucht hatten. Es regnete nun heftig. Die Sicht betrug kaum fünfzig Yards. Es ging allmählich auf den Abend zu, und die Hügel waren wie in schmutzig graue Watte gehüllt. Clay wusste nicht, ob es nur eine Ahnung war oder ob sein Unterbewusstsein irgendein verdächtiges Geräusch aufgeschnappt hatte. Er kannte dieses Gefühl aus dem Krieg. Damals, als er seine Leute über den Moberty Creek geführt hatte, als sie um ein Haar in einen Hinterhalt der Südstaatler getappt wären, hatte er dieses Kribbeln im Nacken und in den Fingerspitzen auch gespürt.
Er trieb sein Pferd zwischen die Cottonwoods und saß ab. Der breitrandige Stetson schützte sein Gesicht vor der Nässe. Der 44er Army Colt hing trocken unter der schenkellangen Jacke. Clay knöpfte sie auf, damit er jederzeit sofort an die Waffe herankam. Mit der Linken hielt er dem Braunen die Nüstern zu. Ringsum knisterte und tröpfelte es. Aber dazwischen war noch ein anderes Geräusch. Ein Rascheln und Knacken kam aus einer Hügelkerbe. Sträucher und Felsen verknäulten sich dort zu einer dichten Wildnis. Im nächsten Moment war es, bis auf den Regen, wieder still. Vielleicht hatten Wölfe die Beute gewittert.
Aber Clay wusste zu gut, dass die geringste Unvorsichtigkeit einem Mann hier draußen das Leben kosten konnte. Er wartete. Rhetts Vorsprung betrug sowieso nur mehr wenige Meilen. Die frischen Hufabdrücke und Radspuren hatten Clay mit einer Art Jagdfieber erfüllt. Doch es bekam keine Macht über ihn.
Damals, als die letzten Schlachten des Bürgerkrieges das Land in ein Chaos gestürzt hatten, war er voller Wut und Verzweiflung hinter Rhett her gewesen - ohne Erfolg. Zwei Jahre waren seitdem vergangen. Inzwischen hatte er begriffen, dass er das Ende seiner Fährte nur erreichen konnte, wenn er bis ins Herz hinein kalt blieb.
Darüber raschelte es wieder. Zweige schwankten. Clays Rechte umschloss den Colt. Ein reiterloses Pferd trottete aus der Hügelfalte. Kein Indianermustang. Clay entdeckte den Wells Fargo Brand auf seiner Hinterhand. Das Tier bewegte sich auf eine Felsgruppe rechts von ihm zu, schreckte aber kurz davor zurück. Eine geschmeidige, im Regen verwischte Gestalt tauchte lautlos bei den Steinbrocken auf. Dann sah Clay nur mehr eine sanfte Wellenbewegung, die das hohe Büffelgras durchlief. Gleichzeitig kam von der anderen Hügelseite ein hohler Käuzchenruf.
Da wusste Clay, dass sie wieder auf der Jagd waren. Nun hatten sie nicht ihn, sondern einen anderen in der Zange: den Mann, dem das Wells Fargo Pferd gehörte. Sicher steckte er da vorn in der mit Büschen zugewachsenen Hügelkerbe.
Das Käuzchen schrie wieder. Die Indianer ließen sich Zeit. Das verriet Clay, dass es nur wenige Krieger waren. Jetzt zögerte er nicht mehr. Er band seinen Braunen fest. Mit dem Colt in der Faust lief er geduckt nach rechts um einen Hügel herum. So näherte ei sich dem Dickicht, in dem der Gehetzte steckte, von der entgegengesetzten Seite.
Ein Indianer kauerte plötzlich zehn Schritte vor ihm hinter einem Felsblock. Reglos, mit dem Gestein wie verschmolzen, beobachtete er das Gestrüpp. Er hatte sich in eine Büffelhaut gehüllt. Ein nass glänzender Gewehrlauf ragte darunter hervor.
Clay presste die Lippen zusammen. Er hatte keine Wahl. Zwischen ihm und dem Cheyenne gab es nur kniehohes, harthalmiges Gras. Clay bewegte sich auf den Zehenspitzen. Der Krieger hörte ihn trotzdem. Clay kam fünf Schritte weit, da fuhr der Mann herum. Er schleuderte die Büffelhaut weg und stieß seinen Henrykarabiner hoch. Clay schoss. Es gab keinen anderen Ausweg. Während der Indianer im Krachen des Schusses hochschnellte und zur Seite stürzte, begriff Clay verzweifelt, dass es keinen Sinn mehr hatte, sich zu verstecken. Jetzt kam es auf jede Sekunde an. Er rannte an dem Felsklotz vorbei auf die Sträucher zu.
Auf der Kuppe rechts von ihm blitzte es. Ein Schrei gellte. Im Dickicht war plötzlich heftige Bewegung. Zweige schwankten, dazu ein Keuchen, Splittern und dann ein unterdrückter Aufschrei. Der Peitschenknall des nächsten Schusses löschte alles aus. Die Kugel zupfte an Clays rechtem Ärmel. Er warf sich herum. Ein hünenhafter Cheyenne sprang aus dem Grau des Regens auf ihn zu. Sein schwarz bemaltes Gesicht glich einer Dämonenmaske. Er schwang das Gewehr wie eine Keule. Clay schoss, fehlte und ließ sich im letzten Moment fallen. Der Karabinerkolben sauste knapp an ihm vorbei.
Wie ein Riese stand der Cheyenne über ihm, die Waffe erneut zum mörderischen Schlag erhoben. Clay feuerte. Keuchend rollte er sich von dem zusammengebrochenen Gegner weg. Dann war er zwischen den Büschen. Hastig ersetzte er die abgeschossenen Patronen.
Kein Angriff erfolgte mehr. Die Zweige hatten zu schwanken aufgehört. Ganz in der Nähe war ein unterdrücktes Stöhnen.