002 Bildnachweis
003 Glossar
004 Dank
Vorwort
Kann man in Zeiten der sog. Corona-Krise ein derartiges Buch wie dieses zu Ende planen und seine Veröffentlichung betreiben? Ja, man kann. Und dies mit guten Gründen jetzt erst recht.
Krisen, Katastrophen – tatsächliche und nur eingebildete beziehungsweise durch Hysterie und übersteigerte oder fehlgeleitete Emotionen und Selbsterhaltungstriebe (= nackte Ich-Triebe) getriggerte Katastrophen – bringen offensichtlich viel deutlicher, als dies in „Normal-Zeiten“ der Fall zu sein scheint, sowohl die sozialen Kompetenzen der Menschen wie Fürsorge, Achtung, Achtsamkeit, Mitgefühl und Solidarität zum Vorschein ebenso wie Uneinsichtigkeit, Rücksichtslosigkeit, verengtes Denken und das Verfolgen ausschließ-lich oder jedenfalls an absolut erster Stelle gestellte Eigeninteressen und schließlich – man muss es so deutlich benennen – Dummheit zu Tage. Dabei geht es doch, wie die Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Bayern, Armin Laschet und Markus Söder, es jüngst ungeschönt ausdrückten, um Leben und Tod.
Um Leben und Tod geht es. Durch diesen unmissverständlichen Hinweis versuchten es die Zen-Meister seit alters her durch alles, was sie taten und sagten, beziehungsweise „nicht taten“ und „nicht sagten“, die grundlegende, da existentielle, Unwissenheit in Bezug auf die wahre Natur der Dinge, Phänomene und der Lebewesen und so auch der des Menschen aufzuheben. Jedes Wort und jegliches Tun sollte dem Einzelnen helfen, diesen Schleier vor der umfassenden Lebens-Wirklichkeit ein wenig, ein wenig mehr und vielleicht ganz zu lüften.
Erschreckt Sie das: Leben und Tod?
Wenn ja, ist es gut, wenn und soweit sich für Sie das Motiv, und sei es „nur“ das einer echten Neugier, ergibt, diesem Erschrecken und dem Grund dafür nachzugehen – und frei davon zu werden.
Wenn nein, ist es erst recht gut. Denn dann haben Sie möglicherweise schon etwas erspürt oder erkannt und womöglich direkt erfahren, worum es letztlich auf dem Weg der Zen-Kontemplation geht. Und vielleicht können die Abend-Unterweisungen, die in diesem Buch versammelt sind, und die in ihnen enthaltenen kleinen Zen-Kostbarkeiten Sie motivieren, Ihren grundlegenden Fragen weiter nachzugehen.
Jedenfalls ist dieses Buch, welches sich nahtlos an das Buch: „ZEN – inmitten des Alltags – 52 Wünsche für einen guten Heimweg“ anschließt, eine Einladung an Sie, lieber Leser, liebe Leserin, teilzunehmen an den Vorträgen, sich in ein hörendes Lernen und ein lernendes Hören einzulassen. Die kongenialen Bilder und Zeichnungen von Michael und Ulrike mögen eine Anregung sein, bei ihrer Betrachtung schauend zu lernen und lernend zu schauen – und so bereits ohne weiteres Nachdenken mitten in der Übung zu sein – das heißt wach da zu sein.
Denken Sie beim Lesen bitte auch daran: Es ist Zen, keine (systematische) Theologie oder Philosophie, auch keine Handreichung oder Anleitung für Ihr Wohlbefinden, auch wenn sich dieses bei jedem Übenden über kurz oder lang einstellt. Also: „Vorsicht!“ – Zen!
Es geht, um es zu wiederholen, um Sie, um Ihre Existenz und Ihre diese berührenden Fragen – hier und heute, jetzt und morgen. Kodo Sawaki (1880-1965), der große japanische Zen-Meister des Soto-Zen, sagte es so: „He, was glotzt du so? Siehst du nicht: Es geht um dich!?“1
Und gleichermaßen ist es richtig zu sagen: „Es geht überhaupt nicht um Dich!“ Es geht um etwas viel Umfassenderes und Größeres als unser kleines Ich mit seinem Blick auf sich und auf die Welt in einer bloßen Ego-Perspektive.
Es geht, so könnte man vielleicht sagen, um Resonanz und Resonanzerfahrung, und dies nicht nur (wenn auch) in der Beziehung zu den äußeren Dingen und Erscheinungen, sondern eben auch in Bezug auf die absolute, in den theistischen Religionen als göttlich apostrophierte Wirklichkeit. Und dies führt direkt hinein in den Grundkonflikt zwischen dem Bestreben, die Welt verfügbar zu machen und Kontrolle über sie zu haben, und dem zutiefst in uns ebenfalls angelegten Verlangen, mit ihr als umfassender Lebens-Wirklichkeit in Resonanz zu treten und auf diese Weise uns selbst als Resonanzkörper zu erfahren2.
Dieser Grundkonflikt gründet letztlich – und dies nicht nur im soziologischen auf die Welt der Dinge und Phänomene gerichteten Sinne – auf einer von unserem gewöhnlichen Bewusstsein unreflektiert vorgenommenen Gleichsetzung von Erreichbarkeit und Verfügbarkeit3. Aber meditative Erfahrungen sind genauso wie sonstige Resonanzerfahrungen, die wir in mannigfaltiger Weise in unserem Leben „haben“ können, nicht verfügbar, aber eben erreichbar, wenn wir empfangsbereit sind „in einem responsiven, ergebnisoffenen Geschehen“4, und wenn es uns geschenkt wird5. Das ist ein Geschehen im Sein, nicht im Haben – und noch präziser aus der Sicht der Zen-Kontemplation gesagt: im Wach-Da-Sein! Eine Seins-Weise, in der ich mich anrufen lasse aus der Sphäre der Unverfügbarkeit für uns menschliche Wesen auf diesem kleinen Planeten in diesem unendlich sich weiter und weiter ausdehnendem Universum, von dem wir nicht einmal wissen, ob es nicht lediglich ein Universum unter oder neben vielen anderen ist.
Also: Vorsicht, Vorsicht!
Und zugleich: Zuversicht, dass wir teilhaben an einer solchen unendlichen Wirklichkeit, dass es Wege gibt, mit ihr in einen Resonanzkontakt zu kommen und aus einer solchen Berührung heraus wohlgemut unser Leben in Zuversicht zu leben.
Vielleicht können Ihnen die Texte dieses Buchs eine kräftige Prise einer solchen Zuversicht in Verantwortung für Ihr und unser aller Leben geben. Ich hoffe dies sehr.
Bleiben Sie gesund.
Bochum, im April 2020
Klaus Fahrendorf
Cloud of Merciful Awareness
1 Kodo Sawaki und Kosho Uchiyama, Die Zen-Lehre des Landstreichers Kodo, 2007, Umschlagrückseite.
2 Diesen Gedanken und die Verwendung des Begriffes der Resonanz in diesem Zusammenhang verdanke ich dem Soziologen Hartmut Rosa. Vergleiche dazu ders., Unverfügbarkeit, 5. Auflage, 2019, S. 68.
3 Zur soziologischen These hierzu vgl. Hartmut Rosa, ebd., S. 67 f.
4 Hartmut Rosa, ebd., S. 68.
5 Auch dies, den Geschenkcharakter von, theologisch gesprochen, Gnade betont Rosa, ebd. zu Recht ganz deutlich.
01
Die Augen offenhalten
In der letzten Woche waren Ulrike, Frank und ich zu Besuch bei einer Zen-Gruppe in Köln, die als Regionalgruppe unserem Programm „Leben aus der Mitte“ angeschlossen ist und dort in einem sehr schönen (aber bitter kalten) Raum mit einem kleinen Häuflein regelmäßig jeden Mittwochabend zusammenkommt, umzingelt von Verkehrsadern und eingepfercht in die wiederum enge Wohnbebauung rund um das Gemeindehaus. Das zu erleben hatte schon etwas Anrührendes und zeigte sehr schön symbolhaft auf, wie es um all die Menschen steht, die sich der Meditation verschreiben.
In dem Gespräch, welches wir vor der Meditation gemeinsam führten, kam u. a. die Frage nach der Augenhaltung während der Sitzmeditation, dem Zazen, auf.
Es ist ja so, dass allgemein empfohlen wird, die Augen geöffnet zu halten, sie also nicht zu schließen. Andererseits aber soll man mit dem Blick nicht „wandern“ oder etwas fixieren, die Augen also nicht auf etwas Bestimmtes fokussieren. Deshalb ist es am besten, die Augen nur halb zu öffnen und den Fokus auf „unbestimmt“ einzustellen. Wenn wir die Augen schließen, geraten wir regelmäßig ins Träumen und hängen inneren Bildern nach. Allerdings geschieht es nahezu jedem Meditierenden, dass sich die Augen schließen, sei es, weil er unruhig ist und er so erst einmal zu einer gewissen Ruhe finden kann, sei es, weil er gerade in eine tiefe Phase seiner Meditation eintaucht. Das alles ist vollständig in Ordnung. Dennoch sollten wir, wenn uns das bewusst wird, uns sanft ermahnen und die Augen wieder leicht öffnen, ohne uns davon wiederum allzu sehr ablenken oder irritieren zu lassen.
Neben