Neben diesen „aktiven“ Regimentern wurden mit der Mobilmachung eine gleiche Zahl von in Friedenszeiten inaktiven Reserve-Regimentern aufgestellt, die im Wehrbereich des X. AK zusammen das X. Reservekorps (RK) bildeten. Die Stäbe dieser Einheiten wurden von den aktiven Regimentern gestellt, die Mannschaften setzten sich dagegen i.d.R. (allerdings mit vielen Ausnahmen) aus gedienten Reservisten zusammen, deren Ausbildung nicht länger als fünf Jahre zurücklag. Zum niedersächsischen X. RK gehörten:
19. Reserve-Infanteriedivision (RID)
- Reserve-Infanterieregiment (RIR) 73, mit je einem Bataillon in Braunschweig, Celle, Hannover
- RIR 74 in Hannover, Nienburg und Oldenburg
- RIR 78 in Lüneburg und Braunschweig und
- RIR 92 in Osnabrück und Lingen
2. Garde-Reserve-Infanteriedivision (GRID) mit
- RIR 77 in Hildesheim und Hameln
- RIR 91 in Göttingen und Hameln und
- RIR 15 in Minden, Bielefeld und Detmold und
- RIR 55 in Soest und Paderborn (das RIR 55 verfügte nur über zwei Bataillone)
- sowie ein selbständiges ostfriesisches Reserve-Bataillon, das III./RIR 79.
Auch bei der Artillerie (Reserve-Feldartillerie-Regimenter Nr. 19 in Wolfenbüttel, Nr. 20 in Hannover und Oldenburg), den Jägern (ReserveJägerbataillon Nr. 10 in Goslar), Pionieren und Kavallerie gab es entsprechende dem X. RK zugeordnete Reserve-Regimenter.
Diese Reservetruppen waren hinsichtlich Größe (ca. 40.000 Mann je Korps) und Bewaffnung gleich den aktiven Regimentern ausgestattet, lediglich artilleristisch war das X. Reservekorps dem X. Armeekorps um die Hälfte unterlegen (72 statt 144 Feldkanonen und keine Haubitzen). Auch die Aufgabenstellung und der Kampfwert beider Truppen waren ansonsten nahezu identisch; beide Einheiten wurden nebeneinander an vorderster Front eingesetzt.
Insgesamt bestanden bei Kriegsausbruch damit 204 „aktive“ Infanterie-Regimenter sowie 100 Reserve-Infanterie-Regimenter. Im weiteren Kriegsverlauf wurden dann immer weitere Einheiten aufgestellt, so dass sich am Ende eine Zahl von über 500 Regimentern ergab.
Eher nachrangige Aufgaben wurden dagegen den älteren Reservistenjahrgängen der „Landwehr“ (im sogenannten „ersten Aufgebot“ bis zum 39. und im zweiten Aufgebot bis zum 45. Lebensjahr) und des „Landsturms“ (ungediente Wehrpflichtige bis zum 45. Lebensjahr) überlassen. Die Landwehr war gleichfalls in Regimenter (für den Wehrbereich Hoya v.a. das LandwehrRegiment Nr. 74) mit einer Stärke von gut 3000 Mann gegliedert, während der „Landsturm“ zunächst lediglich in Orts-Bataillonen (so etwa das heimische „Landsturm-Bataillon Nienburg“) aufgestellt wurde. Die Landwehr, deren Kampfwert gegenüber den jüngeren Soldaten in den aktiven und den Reserveregimentern schon deutlich zurückblieb, wurde zwar auch in vorderster Front, wenn möglich aber nur an „ruhigen“ Frontabschnitten im Westen oder gegen die vermeintlich weniger kampfkräftigen russischen Truppen eingesetzt. Der vom Gefechtswert her noch geringer einzuschätzende Landsturm sollte dagegen – sowohl in der Heimat wie in den rückwärtigen Frontgebieten – allein zur Objektsicherung von Bahnhöfen, Munitionsdepots und anderen wichtigen Einrichtungen Verwendung finden. Lediglich bei ganz unvorhergesehenen Lageänderungen konnten und wurden auch diese Einheiten „zur Not“ für einige Tage oder Wochen in der Front verwendet, wobei sich manche Landsturmeinheiten wohl durchaus bewährt haben.
Einige der heimischen Wehrpflichtigen dienten aber auch bei dem zur 1. (preußischen) Armee gehörenden bremischen IR Nr. 75, bei den in Potsdam und Berlin stationierten königlichen Garde-Regimentern (die bei Mobilmachung der 2. Armee angehörten), bei der Marine oder anderen spezialisierten Einheiten. Von den 69 bis zum 30. September gefallenen Kreis-Hoyaer Soldaten lassen sich 68 einem bestimmten Regiment zuordnen. Von diesen fielen 51 in den „regionalen“ Einheiten des X. AK und X. RK. Weitere acht Gefallene gehörten dem bremischen IR 75 und sechs den Gardetruppen aus Berlin/Potsdam an. Lediglich weitere drei Gefallene fanden bei anderen Einheiten den Tod, dabei handelte es sich um zwei aus dem Kreis Hoya gebürtige Reserveoffiziere, die ihren Wohnsitz bei Kriegsbeginn schon seit längerem nicht mehr in Niedersachsen hatten, und die mit einem rheinischen bzw. einem bayerischen Regiment ins Feld zogen sowie einen Angehörigen eines sächsischen Regiments.
Ab September 1914 schuf die Heeresleitung dann ganz neue Truppenteile, in denen v.a. die bereits wehrpflichtigen aber bislang nicht zum Dienst herangezogenen jüngeren Männer sowie eine große Anzahl von „Kriegsfreiwilligen“ eingestellt wurden. Bis Dezember 1914 konnten alleine sechzig neue Reserve-Infanterie-Regimenter aufgestellt und zum Einsatz gebracht werden. Später kamen auch neue Garde-, Landwehr- und aktive Infanterie-Regimenter hinzu, so dass sich die Zahl der Regimenter schließlich fast verdoppelte. Dabei kam es dann gehäuft auch zum Einzug der hiesigen Wehrpflichtigen in regional ganz „fremde“ Einheiten.
2. Mobilmachung
Am 1. August wurde die Mobilmachung befohlen, der 2. August war erster Mobilmachungstag; die Urlauber und Reservisten wurden zu ihren Einheiten berufen. Während die Reservisten noch ihre Sache packten, beim Fotografen letzte Aufnahmen von sich machen ließen und sich alsdann zu ihren Sammelplätzen aufmachten, wurden die beiden aktiven hannoverschen Regimenter (deren Soldaten ohnehin bereits Urlaubssperre hatten), das FR 73 und IR 74, sofort alarmiert und bereits am zweiten August aus ihren Kasernen per Bahn von Hannover nach Westen abtransportiert. Diese beiden Regimenter und das Jägerbataillon 10 sollten nach den Mobilmachungsplänen bereits ab dem fünften des Monats einen frühzeitigen Angriff auf die starke belgische Grenzfestung Lüttich, die den Zugang nach Belgien hinein sperrte, durchführen. Diese Operation war Teil des „Schlieffen-Plans“, der geplanten Schwenkung des rechten deutschen Armeeflügels durch Belgien und Nordfrankreich.
Die übrigen Regimenter erhielten erst ab dem 4. August ihre vorgefertigten Marschbefehle und erfuhren erst jetzt aus den zuvor streng geheim gehaltenen Unterlagen, wann sie verladen und wohin sie transportiert werden würden. Am selben Tage trafen die Reserveoffiziere in den Kasernen ein. Ab dem 6. August waren auch die meisten Unteroffiziere und Mannschaften dort angekommen, so dass jetzt mit den letzten Vorbereitungen begonnen werden konnte. Am siebten Mobilmachungstag erfolgte der Waffen-, Munitions- und Verpflegungsempfang. Am Tag darauf standen ein Eingewöhnungsmarsch und ein Übungsschießen auf dem Programm. Dann erfolgte der Abtransport an die Front. Das II. Bataillon des RIR 74, das sich in Nienburg gesammelt hatte, verlud am Nachmittag des 10. August auf dem dortigen Bahnhof mit 22 Offizieren und 980 Mann auf einen Sonderzug und zog Richtung Westen in den Krieg.
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