Er packt sie an den Hüften und bringt sie dazu ein paar Tanzschritte zu vollziehen. Die kleine Küche bietet jedoch nicht viel Raum und so lässt er es wieder sein. Er schaut ihr tief in ihre blassgrünen Augen.
- Ich hab's geschafft!
- Was hast du geschafft?
- Na das, woran ich schon seit Wochen arbeite. Mensch, stell dich doch nicht so an. Deine Begriffsstutzigkeit grenzt ja schon an Beleidigung gegenüber meiner Erfindung.
- Du arbeitest doch an so vielen Projekten gleichzeitig. Woher soll ich denn wissen, welches jetzt gerade geklappt hat?
- Ok, beginnt er mit beherrschter, leiser Stimme. Demonstrativ schaut er sich um, als ob er fremdes Mithören vermeiden wolle:
- Ich habe den Betonverflüssiger erfunden!
Er schaut sie erwartungsvoll an.
- Und wozu soll das gut sein?
Enttäuscht über so wenig Verständnis und Begeisterung für seine Erfindung, lässt er sie los, geht zum Küchenschrank, holt zwei Weingläser und eine Weinflasche heraus und schenkt sich und Sybille jeweils ein Glas Rotwein ein.
- Jetzt pass mal auf! Wie lange hat es gedauert, bis sie den Palazzo di Prozzo abgerissen hatten?
- Palazzo di Prozzo? Was ist oder was war denn das?
- Das war der Palast der Republik, in Berlin … in der DDR!
- Aha! Hat man den so genannt? Tja, weiß nicht, vielleicht 6 Monate oder so. Der war doch recht groß.
- Über ein ganzes Jahr hat das gedauert. Und mit meinem Betonverflüssiger wäre das in einer Woche gegangen. Draufkippen und das ganze Gebäude verwandelt sich in eine flüssige Masse, die langsam von oben nach unten abfließt.
- Wow!
- Na endlich, jetzt hast auch du es verstanden. Er reicht ihr ein Glas. Können wir jetzt darauf anstoßen? Auch wenn ich bescheiden bleibe, ehrlich, aber ich glaube, dass diese Erfindung die Welt verändern wird.
Er lässt mit seinem Glas ihres erklingen, beginnt dann genüsslich
den Wein zu kosten.
- Gehört die Erfindung denn dir?
Fast hätte Carsten sich verschluckt, abrupt stellt er das Glas auf den
Tisch.
- Die schönsten Momente kannst du einem ja versauen. "Gehört die Erfindung denn dir?" äfft er sie nach. Natürlich gehört sie mir, ich habe sie ja schließlich erfunden!!
- Ok, das hast du doch aber im Rahmen deiner Arbeit als Ingenieur in deiner Firma erfunden, oder nicht?
- Eigentlich nicht. Nein, eigentlich überhaupt nicht, gar nicht. Wirklich nicht. Ich habe an etwas ganz anderem gearbeitet und dabei habe ich das dann, sagen wir mal, zufällig entdeckt.
- Und woran hast du gearbeitet?
- Sag mal, wird das jetzt ein Verhör? Du hättest wirklich Rechtsanwalt werden sollen. Mensch, ich mach doch auch nicht so ein Theater, wenn du eine neue Melodie komponierst oder so was.
- Ja stimmt, aber ich auch nicht…
- Was soll das denn jetzt heißen? Mensch, Sybille, was soll das alles denn jetzt? Ich freue mich, weil ich eine tolle Erfindung gemacht habe und du laberst hier rum und redest alles runter. Wie sagt Jana dazu? Total uncool! Genau, völlig UNCOOL!
Sybille nimmt nachdenklich einen Schluck aus dem Weinglas.
- Ok, du hast ja recht… aber das mit dem Kündigen, das hat mir eben Angst gemacht. Du bekommst doch ein faires Gehalt, Wovon sollen wir denn leben, wenn du bei den Betonwerken kündigst? Von meinem 600€ Halbtagslehrerjob etwa?
Carsten schüttet sich den Rest des Weines in den Mund.
- "Faires Gehalt… hahaaa." Jetzt hatte ich doch fast gedacht, du hättest alles verstanden, aber nein, gar nichts hast du kapiert.
- Dann erklär's mir doch bitte.
- Dieser verdammte Betonverflüssiger ist DIE Erfindung des Jahrhunderts. Es gibt den Erfinder des Zements, dann den des Spannbetons. Und ich habe das Mittel gefunden, mit dem man das alles wieder problemlos vernichten kann. Und damit werde ich ganz, ganz dick Geld machen, verstehst du's jetzt? Wenn das vermarktet wird, dann werden wir dermaßen reich, dass …. dass… alles nur noch COOOOL ist.
Carsten entfährt das Wort "Cool" schon beinahe als verzweifelter Schrei. Sybille scheint das aber nicht zu bemerken.
- Ok, aber was ist, wenn die Erfindung nun doch nicht dir gehört?
3.
Carsten hat genervt das Haus verlassen und ist zu seiner Firma gefahren.
Da es Sonntag ist, sind alle Arbeitsplätze verlassen, seine Schritte verhallen, als er die Gänge bis zu seinem Labor abläuft.
Mit gemischten Gefühlen betrachtet er seinen Experimentiertisch, auf dem unzählige Reagenzgläser, Kolben, Röhrchen zu einer unübersichtlichen Anlage aufgebaut sind, zusammengehalten von einem komplexen Stahlgestänge aus Halterungen und Schraubzangen. Hier und da ein Bunsenbrenner oder eine Mischanlage.
Dazwischen entdeckt er den kleinen Betonwürfel, auf dem er immer wieder aufs Neue mittels einer Pipette Tropfen verschiedener Lösungen geleert hatte, bis es endlich geklappt hat. Der Beweis für den Durchbruch ist das kleine Loch in dem Klötzchen.
Er nimmt den Würfel in die Hand, betrachtet ihn lächelnd, hebt ihn vors Auge und schaut durch das Loch aus dem Fenster in den Firmenpark.
Wieso kann Sybille sich nie für etwas begeistern? Hat sie denn überhaupt kein Feuer im Hintern? Warum ist sie bloß immer eine + - 0 Frau? Immer ruhig, immer verhalten, immer abwartend, immer ausgeglichen.
Er holt einen Glaskolben aus einem Schrank und füllt diesen bis zu einem Messstrich mit einer goldbraunen Lösung aus einer mit einem Totenkopf versehenen Flasche.
Nervig! Ok, er muss sich ja eingestehen, dass es genau diese Ruhe war, diese ruhige, ausgeglichene Erscheinung, die ihn anfangs an ihr so fasziniert hatte. Damals war sie neu in die 12.Klasse gekommen. Madonnenhaft schön war sie gewesen, mit langen, sehr langen blonden, strähnigen Haaren und einem ruhigen, fast ein bisschen streng wirkenden Blick, der noch verstärkt wurde durch die schmalen farblosen Lippen. Die meisten Jungs aus der Klasse hatten sich daher nicht so richtig an sie herangetraut oder in ihrer Anwesenheit nur irgendwelches dummes Zeugs gefaselt. Sogar die Mädchen hielten einen gewissen Abstand zu ihr, auch wenn man nicht sagen kann, dass Sybille nicht aufgenommen wurde in die Klassengemeinschaft. Sie hatte es sofort geschafft zur Klassensprecherin gewählt zu werden, und das nach nur einem Monat als neue Schülerin.
Carsten hatte damals gleich gesehen, dass sie intelligent war, und das liebte er an ihr von Anfang an. Ihre ruhige Art und ihre einsichtsvolle Anmut, was auch immer er darunter verstand. Als begabter und scharfsinniger Draufgänger hatte er es geschafft, sie "rumzukriegen", wie das damals hieß. Wohl hatte auch sie ein Faible für 'seine’ Intelligenz gehabt. Er hatte sie dann voll begehrt, hatte heftig um sie geworben, bis er sie endlich soweit hatte. Aber sie, was hatte sie eigentlich damals empfunden? Er wusste es damals schon nicht und weiß auch bis heute diese Frage nicht zu beantworten.
Carsten gibt sich einen Ruck und öffnet den Kühlschrank, holt einen Eiswürfel heraus und lässt ihn in den Glaskolben fallen.
Was er nie verstanden hat, ist, dass sie dann Musik studieren musste. Musik! Er hatte gedacht, dass sie etwas zusammen studieren würden. Chemie wie er, oder auch zu Physik wäre er bereit gewesen, oder Biochemie. Aber Musik?
Er hat nichts gegen Musik, in seinem Labor plärrt ja den ganzen Tag ein Radio mit einem Musiksender ohne Nachrichten.
Erst als sie schon fast ein halbes Jahr zusammen waren, hatte er rein zufällig auf einer Geburtstagsparty entdeckt, dass sie sich am Klavier gar nicht schlecht anstellte. Sie hatte in jazziger Improvisationstechnik ein