Der Winterkönig. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Jörg Olbrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jörg Olbrich
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Geschichten des Dreißigjährigen Krieges
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783862825301
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fort. Auch wenn Anton fast jede der geforderten Antworten nennen konnte, geriet er allmählich ins Schwitzen. Hatte er Zeidler in den ersten Wochen seiner Tätigkeit einen Grund geliefert, ihn auf die Probe zu stellen? War am Ende vielleicht sogar seine Anstellung im Schloss in Gefahr?

      »Hol uns etwas zu trinken«, sagte Zeidler schließlich und lächelte seinen Schüler an.

      »Wir haben noch Wasser hier.« Anton hatte mit der nächsten Frage gerechnet. Die Aufforderung seines Lehrmeisters kam für ihn völlig überraschend.

      »Ich habe von Wein gesprochen.«

      Anton beeilte sich nun, Zeidlers Auftrag auszuführen. Auch wenn er noch immer nicht so recht verstand, was heute in den Alten gefahren war, sah er es als positives Zeichen an, dass er mit seinem Schüler ein Glas Wein trinken wollte. Dabei war es noch nicht einmal Mittag. Seitdem Anton gemeinsam mit Zeidler in der Bibliothek tätig war, hatte der sich allenfalls einmal ein Gläschen am Abend gegönnt. Und selbst das konnte Anton an den Fingern einer Hand abzählen.

      Auf dem Weg in die Küche zerbrach er sich weiter den Kopf darüber, was das Besondere an diesem Tag sein konnte. Gestern war der Alte noch völlig normal gewesen. Am heutigen Morgen war es zum ersten Mal vorgekommen, dass Zeidler nach seinem Schüler in die Bibliothek gekommen war. Irgendetwas musste vorher geschehen sein.

      Als Anton mit dem Wein zurückkehrte, saß Zeidler in einem Sessel und tat so, als würde er in einem Buch lesen. Sein Schüler wusste aber ganz genau, dass die Augen seines Lehrmeisters inzwischen viel zu schlecht waren, als dass er bei dem dämmrigen Licht im Raum auch nur einen Buchstaben erkennen konnte. Wenn der Alte las, hatte er immer mindestens eine Kerze brennen und hielt sich die Schrift direkt vor das Gesicht.

      Anton stellte die Gläser auf dem Tisch ab und füllte sie mit Wein. Dann setzte er sich wieder auf seinen Platz und wartete auf Zeidlers Reaktion. Der ließ seinen Schützling noch einen Moment schmoren und erhob dann sein Glas.

      »Heute gibt es einen Grund für uns beide, miteinander anzustoßen.«

      Sag mir endlich, was du wirklich von mir willst, dachte Anton, der die Spannung nicht mehr lange würde ertragen können. Dennoch wagte er es nicht, seinen Lehrmeister zu drängen und sah ihn nur erwartungsvoll an.

      »Ich hatte heute Morgen bereits ein Gespräch mit König Ferdinand«, sagte Zeidler nach einer Weile.

      »Um was ging es dabei?«, fragte Anton, der noch nicht verstand, was das mit den vielen Fragen zu tun hatte, die ihm sein Lehrmeister heute gestellt hatte.

      »Er wird in einer Woche nach Pressburg reisen und dort am 01. Tag im Monat Juli zum König von Ungarn gekrönt werden. Er hat den Kaiser gebeten, ihm während seiner Reise einen Schreiber zur Verfügung zu stellen.«

      »Das bedeutet, ich werde alleine in der Bibliothek sein«, stellte Anton fest. Insgeheim war er enttäuscht. Warum machte der Alte so ein Theater, wenn es nur darum ging, dass Anton alleine in der Bibliothek bleiben und für den Kaiser bereitstehen sollte.

      »Du hast mich nicht verstanden.«

      »Dann erklärt mir bitte, was Ihr mir sagen wollt.«

      »Ich bin zu alt für eine solche Reise. Meine Augen werden von Tag zu Tag schlechter und meine Knochen beginnen bereits zu schmerzen, wenn ich nur an die lange Fahrt in der Kutsche denke.«

      Endlich verstand Anton die Richtung, in die das Gespräch mit seinem Lehrmeister lief. »Ich soll König Ferdinand nach Pressburg begleiten?«

      »So ist es. Ich habe dir deshalb heute so viele Fragen gestellt, weil ich wissen wollte, ob du dieser Aufgabe gewachsen bist.«

      Antons Herz machte einen Sprung und er spürte den Stolz in seiner Brust. Er konnte es kaum glauben. Seit seinem ersten Tag in der kaiserlichen Bibliothek hatte er immer mehr den Eindruck gewonnen, es seinem Lehrmeister in nichts rechtmachen zu können. Jetzt sollte er den König von Böhmen als Schreiber nach Ungarn begleiten, wo der die Krone erhalten sollte. Antons Gedanken überschlugen sich. Die Reise würde seine bisher größte Bewährungsprobe darstellen. Man musste kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass Ferdinand irgendwann auch Kaiser über das Heilige Römische Reich Deutscher Nation werden würde. Wenn sich Anton in Ungarn bewährte, würde er sein Vertrauen gewinnen und auf eine dauerhafte Anstellung am Kaiserhof hoffen dürfen. Dann musste er sich niemals wieder Gedanken um seine Zukunft machen und hätte ausgesorgt.

      »Wie entscheidest du dich? Wirst du das Angebot annehmen?«

      »Natürlich werde ich das!«, antwortete Anton aufgeregt. »Es wäre eine Dummheit, es nicht zu tun.«

      »Das wäre es zweifellos«, stimmte Zeidler lächelnd zu. »Bevor du nach Pressburg aufbrichst, werde ich dich noch vieles über das Königreich Ungarn lehren. Heute gebe ich dir aber den Rest des Tages frei. Das hast du dir redlich verdient.«

      »Ich bin Euch sehr dankbar.« Zum ersten Mal zeigte Zeidler menschliche Züge. Anton hatte immer gehofft, dass sich hinter der rauen Schale seines Meisters ein weicher Kern befand. Heute hatte er die Bestätigung dafür bekommen. Er begann, den alten Griesgram zu mögen. »Darf ich in die Stadt gehen und meine Eltern besuchen?«

      »Heute steht dir frei zu tun, was auch immer du willst. Denk aber daran, dass du mit niemandem über die Dinge sprechen darfst, die du am Kaiserhof erfährst. Auch über deine Fahrt nach Pressburg wirst du schweigen.«

      »Selbstverständlich werde ich das.«

      Anton war mehr als erleichtert, als er die Bibliothek verließ und zum Ausgang des Schlosses ging. Bei der Prüfung hatte er es mehrfach mit der Angst zu tun bekommen und nie erwartet, dass sich der weitere Tag so für ihn entwickeln würde. Jetzt freute er sich darauf, nach über drei Wochen seine Eltern wiederzusehen. Sicher machten auch die sich Sorgen um ihren Sohn und würden erleichtert sein, wenn er sie einmal besuchen kam.

       Prag, 23. Juni 1618

      »Die Mitglieder des Direktoriums wissen offenbar selbst nicht so recht, wie es im Reich weitergehen soll«, sagte Diepold von Lobkowitz, der gerade von einem Gespräch mit Graf Wilhelm von Ruppau zurückkehrte.

      »Was ist passiert?«, gab Polyxena zurück. Die Gräfin saß gemeinsam mit Philipp im Arbeitszimmer, wo sie ein paar eingegangene Schriften durchgearbeitet hatten.

      »Nichts ist passiert«, antwortete ihr Gemahl. »Das ist ja das Problem. Die protestantischen Stände haben durch ihre Rebellion die Macht im Reich übernommen, wissen nun allerdings selbst nicht damit umzugehen. Das Direktorium will den Frieden für das Reich bewahren und akzeptiert derzeit auch noch die Vormachtstellung der Habsburger. Graf von Thurn dagegen vergrößert seine Armee. Täglich kommen neue Landsknechte hinzu und bald wird nicht mehr genug Platz in der Stadt sein, um sie alle unterzubringen.«

      »Warum verpflichtet von Thurn so viele Männer?«, fragte Philipp.

      »Wenn es nach ihm ginge, würde er alle Habsburger und Jesuiten aus Böhmen vertreiben und mit seiner Armee bis zum Kaiserhof vordringen.«

      »Die anderen Reichsfürsten werden ihm nicht dabei zusehen und warten, bis Böhmen an Macht gewinnt«, sagte Philipp.

      »Natürlich nicht«, stimmte Diepold zu. »Auch in Wien wird die Armee verstärkt. Darüber hinaus bin ich mir sicher, dass Maximilian von Bayern ebenfalls Soldaten bereitstellen wird. Mit Graf von Tilly hat er einen Feldherrn an seiner Seite, der über eine große Erfahrung verfügt und in der Lage ist, von Thurn mit seinem Heer in seine Schranken zu verweisen. Gelingt es dem Direktorium nicht, den Grafen unter Kontrolle zu behalten, wird sich ein Krieg in Böhmen nicht mehr lange verhindern lassen.«

      »Ich hatte vor einem Monat schon erwartet, dass König Ferdinand mit einer Armee gegen Prag vorrücken würde«, sagte Polyxena.

      »Das hätte er auch getan«, stimmte Philipp zu. »Der Kaiser und Kardinal Klesl haben das allerdings verhindert. Ich weiß, dass Ferdinand bald zum König von Ungarn gekrönt wird. Danach wird er sein Augenmerk wieder auf Böhmen richten und alles daran setzen, die Macht über das Reich zurückzugewinnen.«

      »Auch