Whiskey-Ballett. Peter Faszbender. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Faszbender
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783347125797
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drückt die Verbindung weg, kickt einen weggeworfenen Kaffeebecher über eine Hecke und hastet in das Krankenhaus.

      Kapitel 3

      Mit großen Schritten eilt Kriminaldirektor Seidel über den Flur in den Besprechungsraum.

      »Alle da?« Er lässt den Blick über die versammelte Runde gleiten, knöpft das Sakko seines grauen Zweireihers auf und setzt sich auf einen der schäbigen alten Stühle. Ganz hinten kauert eine sonnenbebrillte junge Frau am Tisch, die Kapuze ihres Hoodies tief in das Gesicht gezogen.

      Seidel fixiert sie einen Moment. »Sarah, ist es für Sie vorstellbar, in dieser fensterlosen Räumlichkeit auf Ihre Sonnenbrille zu verzichten?«

      Sie schiebt die Kapuze nach hinten, gibt dabei die Locken ihres feuerfarbenen Haarschopfs frei und nimmt die Brille ab. Dunkle Ringe liegen unter den von roten Äderchen durchzogenen, verquollenen Augen. Das Weiße ist kaum mehr zu erkennen, die grüne Farbe der Augen nur zu erahnen.

      Seidel atmet schwer. »Sarah, tun Sie mir und uns allen einen Gefallen und setzen Sie die Brille bitte doch wieder auf. Was hatten wir denn dieses Mal? Einen weiteren Feiertag Ihrer irischen Altvorderen?«

      »16. Juni«, gesteht Sarah Molony leise. Seidel starrt sie ratlos an, genauso die anderen Kollegen.

      »Juni, der 16.«, sagt sie lauter.

      »Ja, und heute ist der 17. Wie wäre es mit ein wenig mehr Kontext, Sarah?«

      »An dem Tag, am 16. Juni 1904, spielt der Roman ›Ulysses‹ von James Joyce. Weltliteratur aus Irland – man sollte auch mal über den deutschen Tellerrand hinausschauen.«

      »Das muss ja ein äußerst interessantes Buch sein, wenn es jemanden noch im Jahr 2018 in einen solchen Zustand bringen kann«, sagt Seidel, den Blick fest auf Sarah gerichtet.

      »Das Buch handelt von einem Tag im Leben des Leopold Bloom in Dublin, eben der 16. Juni. Gelesen habe ich das Buch nicht, aber der Tag, Bloomsday, wird von den Leuten gefeiert – in Dublin und überall auf der ganzen Welt. Von einigen zumindest, im Irish Pub und so …«

      Aufkommendes Gelächter unterbricht ihre Ausführungen.

      »Ruhe, meine Damen und Herren«, mahnt Seidel mit erhobenen Händen und fügt zu Sarah gewandt hinzu: »Ich verstehe … Ihre Anwesenheit dabei war natürlich absolut unverzichtbar. Das Werk zu ehren, indem Sie es entspannt zu Hause lesen, ist Ihnen diese Möglichkeit jemals in den Sinn gekommen, Sarah?«

      »Ja, nein, aber …«

      »Danke, Kriminaloberkommissarin Molony, genug der literarischen Plauderei. Wir haben hier ernsthaft zu arbeiten. Anerkennenswert, dass Sie es heute wenigstens geschafft haben, pünktlich zu sein, und zudem ansprechbar – zumindest ansatzweise. « Er schaut sie einige Augenblicke wortlos an. »Wenn ich es recht bedenke, brauchen wir Sie hier bei der Dienstbesprechung momentan nicht. In einer Dreiviertelstunde kommt eine Kollegin vom Zoll wegen der versuchten Tötung vom Wochenende zu Ihnen ins Büro.« Er blättert in seiner Kladde. »Der Fall Timo Brenner. Der Mann ist anscheinend nicht nur Opfer. Er ist nach bisherigen Erkenntnissen des Zolls in der Schwarzbrennerszene unterwegs. Kein unbeschriebenes Blatt also, er hat schon einiges auf dem Kerbholz. Versuchen Sie doch bitte, bis die Dame hier eintrifft, sich in einen vorzeigbaren Zustand zu bringen.«

      Sarah zieht die Kapuze wieder über, schiebt rumpelnd ihren Stuhl zurück, drückt sich mit beiden Händen auf der Tischplatte hoch und trottet wortlos zur Tür. Die stummen Blicke der Kollegen folgen ihr, bis sie den Raum verlassen hat.

      »Gut«, unterbricht Seidel die Stille. »Dann kümmern wir uns jetzt mal um das Tagesgeschäft.«

      Kapitel 4

      Sarah sitzt am Tisch des Bereitschaftsraums, löst zwei Päckchen Magnesiumgranulat in einem großen Glas Wasser auf und leert es in einem Zug. Sie bleibt noch einige Minuten starr sitzen, schleppt sich dann langsam zur Umkleide, zieht ihre zerknitterten Klamotten aus und wankt in die Duschkabine. Regungslos lässt sie das heiße Wasser minutenlang auf ihren Körper herabprasseln. Dampfschwaden steigen in die Luft wie dämonische Gestalten, die Sarahs Körper nach und nach verlassen. Erst jetzt erwachen allmählich ihre Lebensgeister aus der Starre, die Vitalität des flüssigen Elements scheint sich auf Sarah zu übertragen. Sie seift sich ein und schamponiert ihre Haare, duscht sich noch einmal gründlich ab. Leichten Fußes steigt sie aus der Duschkabine, trocknet sich hastig ab. Lässt heiße Luft aus dem an der Wand montierten Haartrockner durch ihre Locken pusten, wickelt sich in ein Frotteehandtuch und eilt zu ihrem Spind mit der Wechselkleidung. Über das legere Baumwollhemd gurtet sie das Schulterholster, steigt in robuste Boots und wirft die Lederjacke über. Die Zeitschrift »Whisky & Meat« klemmt sie unter den Arm.

      »Jetzt erst einmal anständig frühstücken«, murmelt sie vor sich hin und folgt dem Kaffeeduft durch die Flure.

      »Molony, du siehst ja fast wieder aus wie ein Mensch«, ruft ihr der Kollege Jesper quer durch die Cafeteria zu. »Und? Welcher Feiertag steht heute an?« Feixend stößt er mit dem Ellbogen den Polizisten neben sich an, der ganze Tisch stimmt prustend in das Lachen ein.

      »Du kannst mich mal, Jesper, bei dir zu Hause ist doch jeden Abend Kirmes, fetter Heimsäufer«, röhrt Sarah durch den Raum. »Was glotzt ihr denn so blöd? Irgendwelche Kommentare, die Herren? Nein? Gut, Jungs, ist auch besser so.«

      Sie greift sich an der Theke zwei Mettbrötchen, füllt einen großen Pott mit Kaffee, bezahlt in aller Ruhe an der Kasse und schlendert Richtung Büro.

      Kapitel 5

      Langsam öffnet er die Augen und blinzelt dem kalten Licht der Leuchtstoffröhren entgegen.

      »Wo bin ich?« Timo Brenner schaut auf einen weiß gekleideten Mann, auf Apparaturen und Maschinen, mit denen er durch Schläuche und Kabel verbunden ist.

      »Sie sind im Krankenhaus der Heiligen Fabiola von Rom in Münzstadt und ich bin Oberarzt Doktor Weiss. Sie sind dem Tod gerade noch einmal von der Schippe gesprungen. Aktuell haben Sie relativ große Chancen, die Sache zu überstehen. Ob in Ihrem Körper noch mehr Schäden angerichtet wurden, müssen wir aber im Rahmen von weiteren Untersuchungen noch klären.«

      Brenner schaut Doktor Weiss mit großen Augen an. »Ich erinnere mich nur, dass ich auf dem Heimweg war – und jetzt bin ich hier. Was ist denn passiert? Ein Unfall?«

      »Sie haben eine beträchtliche Dosis Thallium abbekommen, die für die meisten Menschen tödlich wäre. Man könnte sich fast schon genötigt sehen zu sagen: noch mal Glück gehabt! Haben Sie beruflich mit dem Stoff zu tun?«

      »Womit? Mit Thallium? Was ist das überhaupt?«

      »Ah ja, also nicht. Thallium ist ein Metall, ein extrem giftiges Metall. Zum Glück gibt es Gegenmittel, wenn man die Vergiftung frühzeitig erkennt.«

      »Wie kann das denn passieren? Oder glauben Sie etwa, jemand hat mich vergiftet?«, fragt Brenner.

      »Wenn Sie mit Thallium sonst keinen Kontakt haben, dann ist das nach Lage der Dinge die wahrscheinlichste Option.« Doktor Weiss kritzelt in die Krankenakte. »Einen dummen Zufall kann man natürlich nie ausschließen. Die Menschen gehen zugegebenermaßen manchmal recht sorglos mit Giftstoffen um.«

      Doktor Weiss blickt auf. »Oder kennen Sie jemanden, der ein Interesse daran hat, Sie über einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen elendiglich verrecken zu lassen?«

      »Was? Wieso denn das?«, kreischt Brenner.

      »Sagen wir es mal so: Thallium ist nicht der Stoff, den man einem guten Freund gibt, um ihn schnell von einem unheilbaren Leiden zu erlösen. Aber das wird die Polizei sicherlich noch eingehend mit Ihnen besprechen. In solchen Fällen sind wir selbstredend verpflichtet, umgehend die entsprechenden Behörden zu informieren.«

      Timo Brenner dreht wortlos den Kopf auf dem Kissen weg von Doktor Weiss.

      »Ja, ruhen Sie sich weiter aus, es war eine harte Zeit für Ihren Körper«, sagt der Doktor. »Das wird schon werden, Sie scheinen eine überaus gute Kondition zu haben, sonst lägen Sie längst bei uns im