Es per E-Mail zu machen war sehr aufwendig und erforderte das Verfassen eines langen Textes. Diesen auf der kleinen Tastatur des Blackberry anzufertigen war äußerst mühsam. Es war jedoch der einzige Weg. Also schickte ich die Familie und die Freunde zum Mittagessen, zog mich in die Strandmuschel zurück und begann zu tippen.
Es dauerte etwa eine Stunde, bis ich einen einigermaßen ausführlichen Text verfasst hatte. Kurz vor der Vollendung kam meine Familie vom Mittagessen zurück, die Kinder hüpften um meine Strandmuschel, die Freunde und meine Frau machten über meine Situation sarkastische Bemerkungen: „Eigentlich könnte er auch den ganzen Tag in der Unterkunft bleiben, vom Strand kriegt er eh nichts mit.“
Ich hörte von meiner Strandmuschel aus, wie mein jüngster Sohn erzählte, dass ich im letzten Skiurlaub selbst auf der Liftfahrt im Schlepplift eingehende E-Mails auf meinem Blackberry las und wir deshalb aus dem Lift gefallen seien. Lustig! Alle lachten. Ich hoffte, dass der CEO meinen Text erhalten und richtig verstanden hatte, so dass er mir eine qualifizierte Antwort geben konnte. Außerdem hatte ich Hunger und würde auch gerne mal eine Runde schwimmen. Also kroch ich aus meiner Strandmuschel und machte mich auf den Weg zum Wasser. Da klingelte mein Blackberry. Die Nummer war mir unbekannt. Ich nahm ab.
„Hi, this is Peter. I think I got the satellite phone to work. Let’s briefly talk about the transaction.”
Hurra! Ich fühlte mich direkt entspannter und setzte an, dem CEO den Sachverhalt zu erläutern. Ich lief zurück zur Strandmuschel, doch auf der anderen Seite wurde es seltsam still.
„Peter, Peter …. hello …. are you there ….?“
Nichts. Schweigen. Die Leitung war zusammengebrochen. Scheiße! Ich machte mich erneut auf den Weg zum Wasser. Das Telefon klingelte. Wieder Peter. Wir wechselten drei Worte. Ende. Die Leitung war tot. Dieses Drama wiederholte sich unter den belustigten Blicken meiner Freunde und den leicht gequälten Blicken meiner Frau noch viermal. Eine weitere Stunde verstrich. Mein Magen knurrte mittlerweile deutlich und mein Stresslevel stieg. Die Kinder quengelten, die Frau murrte, die Freunde machten sich lustig. Irgendwann hatte ich die Schnauze gestrichen voll.
„Scheiß Urlaub!“, rief ich, obwohl der Urlaub ja nichts dafür konnte.
Ich fühlte mich gelähmt und von den Ansprüchen der anderen erdrückt. Um meinen Hunger zu stillen, kramte ich ein paar Stücke geschmolzener Schokolade aus der mittlerweile nicht mehr kühlenden Kühltasche und verschlang sie hastig. Ich verbrachte noch eine weitere Stunde auf meinen Blackberry starrend in der Strandmuschel, bevor wir zusammenpackten und in unser Ferienhaus zurückfuhren.
Kaum angekommen hechtete ich die Treppe hoch in den ersten Stock, um ungestört im Schlafzimmer arbeiten zu können. Ich hoffte inständig, dass das Mobilfunknetz heute Nachmittag stark genug sein würde, um das Herunterladen der Unterlagen meines Mitarbeiters zu ermöglichen. Das Herunterladen einer 8 MB Datei sollte laut meines Telefons etwa 45 Minuten dauern. Ich sah schwarz. Doch im zweiten Anlauf klappte es tatsächlich. Meine Frau erschien plötzlich im Schlafzimmer – ich hatte sie gar nicht reinkommen hören - und fragte, ob ich den Freunden nicht beim Einkaufen helfen wolle. Ok. Nachdem ich einen kleinen Teilerfolg erzielt hatte, konnte ich ja wenigstens mal einkaufen. Eine Antwort von Peter auf meine E-Mail von heute Vormittag stand allerdings noch aus. Nachdem sein Satellitentelefon ausgefallen war, ging jetzt wahrscheinlich seine Internetverbindung auch nicht mehr. Also würde ich das Gespräch mit dem Investor eben ohne vorherige Absprache mit Peter führen müssen. Such is life.
Dieser Tag war der Auftakt zu einem Drama, das sich durch den gesamten Urlaub ziehen sollte. Nachdem der Investor am nächsten Tag mit seinem Jet in der Nähe unseres Feriendomizils gelandet war, wurde ich ihn für den Rest der Zeit nicht mehr los. Es half nichts. Das Eisen war heiß. Ich musste den Verkauf trotz der miserablen Arbeitsbedingungen weiter vorantreiben. Ich tätigte Telefonanrufe und Telefonkonferenzen, versandt Dateien und Unmengen von Mails aus der Strandmuschel, dem Auto oder dem Schlafzimmer unseres Ferienhauses. Ab und zu und meistens zur Unzeit meldete sich Peter aus der Karibik. Wir hangelten uns kommunikativ von einem unterbrochenen Telefonat zum nächsten. Es war die Hölle. Für mich und für meine Mitreisenden. Ein Scheiß-Urlaub, den ich schwor in dieser Form nie mehr zu wiederholen. Hoch und heilig. Doch um dem Elend die Krone aufzusetzen, telefonierte ich zu lange und wir brachen etwas später als geplant zum Bahnhof auf. Die 20 km lange Strecke ließ sich im Normalfall in zwanzig Minuten bewältigen. Doch am Samstag unserer Rückreise dauerte sie eineinhalb Stunden. Es war An- und Abreisetag in Südfrankreich. Der Verkehr auf Autobahn und Landstraße kam in beiden Richtungen zum Erliegen und wir verpassten bei der Rückreise unseren Auto-Reisezug um 5 Minuten.
Glücklicherweise konnten wir auf einen Ersatzzug der französischen Staatsbahnen ausweichen. Denn zu Hause warteten meine Eltern, die sich in unserer Abwesenheit dankenswerterweise um unser Haus gekümmert hatten. Ich freute mich, endlich nach Hause zu kommen und meine Eltern zu sehen. Doch zur Begrüßung schmetterten sie mir ein entsetztes:
„Wie siehst du denn aus?“ entgegen.
Schweigend stellte ich die Taschen und Koffer ab.
„Du siehst ja miserabel aus. Hast du dich denn gar nicht erholt?“
Nein! Hatte ich nicht. Und das Letzte, was ich nach diesem „Urlaub“ und der Nacht im Zug brauchte, war eine Erinnerung daran, mit was ich meine Zeit zugebracht hatte. Zumal der Hinweis auf mein erschöpftes Aussehen während des gesamten letzten Jahres zu einer Standardfloskel in der Begrüßung meiner Eltern geworden war. Der Hinweis versetzte mich jedes Mal in Hilflosigkeit und löste zunehmende Stressgefühle aus. Wie sollte ich darauf reagieren?
Haltet die Klappe, konnte ich ja schlecht sagen. Denn meine Eltern hatten im Prinzip ja Recht. Ich fühlte mich zunehmend erschöpft und ausgebrannt und das sah man mir auch an. Meine Haut war fahl, die grauen Haare mehrten sich. Es half mir aber auch nicht, wenn meine Eltern mich darauf vorwurfsvoll hinwiesen. Am liebsten hätte ich sie angeblafft, dass sie das nichts anginge. Aber sie meinten es ja gut. Außerdem wäre ein Anblaffen meinerseits ein Zeichen von Schwäche, mit dem ich zugeben würde, dass es sich tatsächlich so verhielt. Diese Blöße wollte ich mir nicht geben. Also ließ ich es auf sich beruhen, obwohl ich innerlich kochte.
Jedoch gab es aus dieser unerträglichen Situation kein Entrinnen. Am Montag früh saß ich wieder in meinem Büro. Das Ergebnis des letzten Monats war erbärmlich, noch deutlich schlechter als wir es in der ohnehin schon dürftigen Prognose vorhergesehen hatten. Verantwortlich für diese Fehlprognose war der Finanzchef: ich! Nun musste ich mich erklären, mich rechtfertigen. Das stank mir. Denn in den höheren Instanzen interessierte es niemanden, wie ich mit meinen Kollegen um die Ergebnisprognose gerungen hatte, wie ich am Ende klein beigeben musste, obwohl ich die Lage pessimistischer gesehen hatte und mir obendrein unsere gesamte Strategie missfiel. Gleichzeitig musste ich den Verkauf unserer Tochtergesellschaft weiter voranbringen. Zudem war die Prognose für das nächste Quartal bald fällig, Mitarbeiterbeurteilungsgespräche standen an und die Budgetierung wartete darauf angegangen zu werden, außerdem würde die nächste Geschäftsführungssitzung in der kommenden Woche schon in Mexico City stattfinden. Das war mir alles zu viel.
Doch was sollte ich tun? Ich machte weiter und wählte die Nummer von Peter, dem CEO. War er eigentlich immer noch in der Karibik auf seiner Jacht? Keiner wusste es. Anrufe sowohl auf sein Satellitentelefon wie auch auf sein reguläres Mobiltelefon verliefen erfolglos. Also lud ich meinen Frust in einer längeren Telefonnachricht ab. Meinen angespannten Zustand konnte das jedoch nicht lindern. Es war einfach alles zum Kotzen. Das ging nicht mehr so weiter.
Wie war ich in dieses Elend hereingeraten? Und noch viel wichtiger: Wie kam ich da wieder raus? Es war mir sonnenklar, dass sowohl der