Theaterherz. Stefan Benz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Benz
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Herr-Beck-Krimis
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347069312
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„Lass mich raten: Klinikum Dahlienhof! Das sind die Besten, da war auch mein Vorgänger nach seinem zweiten Infarkt.“

      „Das war doch nach seinem Schlaganfall“, fuhr Gitta dazwischen.

      „Nein, davor! Ist aber auch egal.“

      Der multimorbide Polizeipräsident a.D. kam Beck jedoch sehr gelegen: „Sehe schon, im Dahlienhof wird man erst so richtig krank. Deshalb ist die gute Nachricht: Da gehe ich nicht hin.“ Kunstpause. Erwartungsfrohe Verwunderung blickte ihm schweigend entgegen. „Ich gehe ins Kurhotel Nehoda Imperial.“ Die Verwunderung verwandelte sich in stilles Staunen, bis Gitta als Erste die Sprache wiederfand. „In Weinfurt? Aber das ist keine Klinik.“

      „Nein, aber vier Sterne Superior mit Wellnessbereich und zu Fuß durch den Park gar nicht weit zu den Festspielen.“

      Ausgerechnet Franz, der die ganze Zeit nur Obstkuchen gemampft hatte, blickte am schnellsten durch: „Du fährst nach Bad Weinfurt, um Theater zu gucken?“

      „Richtig. Es gibt nichts, was mir besser täte. Und außerdem lass ich mich dann im Hotel von Kopf bis Fuß verwöhnen.“

      „Aber Du hast doch gehört, was Doktor Reinheimer gesagt hat.“ Paula war konsterniert, und wenn Beck es richtig sah, bildete sich gerade eine winzige Wasserlache am unteren Lid ihres linken Auges.

      „Hör mir auf mit diesem Reinheimer“, erwiderte Beck patziger, als er vorgehabt hatte. „Ich sag Dir: Doktor Hofmannsthal und Professor Zuckmayer behandeln mich an der frischen Luft. Das ist für mich die beste Medizin.“ Und dann erklärte er seinen Freunden, dass das Hotel in der Kurstadt bereits gebucht sei. Mit seiner Redaktion hatte er abgesprochen, dass er über die vier Premieren der Festspiele berichten werde. Die hatten im Kulturteil zwar bislang nie interessiert, weil in Weinfurt über 24 Jahre hinweg ein Theaterverein mit engagierten Laien-Aufführungen zwar respektable, jedoch kaum erwähnenswerte Arbeit geleistet hatte. Nun aber war zum Jubiläum ein neues Team am Start. Ein auch nicht mehr ganz junger Regisseur, dem das Prädikat angehängt worden war, allzeit radikal wild zu sein, hatte die Intendanz übernommen. Neue Sponsoren hatten dafür gesorgt, dass etliche Schauspieler aus dem Nachmittagsfernsehen auf der Kurstadtbühne ihre künstlerische Sommerfrische genießen konnten. Bei aller wilden Radikalität sollte es doch vor allem ein Publicity-Spektakel mit vielen Galas werden. Und weil Beck nun schon mal dort kuren wollte und ‒ was Spesen und Honorare betraf ‒ strenge Diät hielt, hatte die Chefredaktion grünes Licht für seinen Einsatz gegeben.

      Für das wenige Geld, das sie ihm überweisen wollten, würde er in der Zeit vielleicht dreimal gut essen gehen können. Aber das war ihm egal, und dem Chefredakteur war es auch deshalb recht, weil die „Neue Post“ in der Kurstadt sonst nicht viel zu melden hatte. Dort saß nur ein strafversetzter Ressortleiter, dem die Redaktion weggespart worden war und der seine Artikel meist bei der größeren Kurstadtzeitung abschrieb. Da konnte ein wenig zugereiste Kulturkompetenz nicht schaden.

      Beck war von seinem eigenen Vortrag über feuilletonistische Perspektiven der Provinzpublizistik selbst ganz hingerissen, dabei hörte vor allem Paula gar nicht richtig zu. Gitta schüttelte den Kopf und Bernd nuschelte „Ich weiß ja nicht“ in sich hinein. Nur Franz, der sich bereits dem vierten Stück Obstkuchen zugewendet hatte, schien zufrieden, vor allem, als Beck ankündigte, ihn als kommissarischen Geschäftsführer im Weinkontor einsetzen zu wollen. „Cool, geht klar“, krümelte es aus ihm heraus, die Gabel noch im Mund. Zwischen Massage, Fango und Premieren wollte Beck auch die Winzer der Kurstadt besuchen und schauen, ob er nach dem Auslaufen der i.vive-Lizenz seinen Laden nicht als Direktvermarkter regionaler Tropfen weiterführen könnte. Vor allem Hermann Castus, den größten Winzer am Ort, der zugleich die Festspiele unterstützte, hatte er dabei im Auge

      Noch einmal raffte sich Paula zu einem Einspruch auf: „Aber, Dein Herz…“ Weiter kam sie nicht.

      „Ja, Paula, genau an den Sachen hängt mein Herz, deshalb mache ich meine Theaterkur mit Weinproben.“

      Auch Gitta versuchte es noch mal: „Du sollst aber doch keinen Wein…“

      „Ich muss ihn nur schmecken, nicht trinken. Wenn das Eure größte Sorge ist: Ich spuck alles aus, versprochen!“ Sie schienen es glauben zu wollen, dabei musste Beck schon innere Widerstände überwinden, wenn er korkenden Wein wegkippte. Aber das fiel jetzt gerade keinem ein, weshalb die Sache buchstäblich gegessen war, als Franz auch das letzte Stück Obstkuchen auf seinen Teller schob.

      Paula und ihre Mitstreiter hatten resigniert. Gitta versprach noch, Wander- und Radführer für die Weinberge rund um Weinfurt zu besorgen, Paula räumte still ab, Franz kaute zufrieden, und Bernd war drauf und dran, sich in der Festspielzeit zu einer Weinprobe mit Beck zu verabreden. Aber nur, wenn er dann nicht mitkommen müsse ins Theater.

      Mit den letzten Tellern war das ganze Thema abgeräumt. Franz, auf dessen Stirn sich unter dem Pflaster mittlerweile deutlich eine Beule abzeichnete, wollte seinen leichten Kopfschmerz auskurieren und versprach, anderntags wiederzukommen. Gitta und Paula beratschlagten noch, was mit dem vielen Gemüse anzustellen war, während Bernd anfing, Beck von Elektrofahrrädern vorzuschwärmen. Das wäre doch was für ihn! Beck nickte halbherzig, dabei dachte er aber nur daran, wie er seinen alten Saab noch bis in die Kurstadt und über den TÜV kriegen sollte. Er ließ es sich aber nicht anmerken. „Elektro! Ganz schön schnell, was? Ich denk drüber nach.“ Damit war Bernd zufrieden, und im nächsten Moment standen seine Gäste im Treppenhaus und verabschiedeten sich.

      Puh, dachte sich Beck, als die Haustür zufiel und er wieder allein war. Das war geschafft. Er atmete tief durch, griff sich mit der rechten Hand an die linke Brust und spürte, dass sein Herz leicht war. Langsam streifte er durch seine Wohnung, im Schlafzimmer zog er an der Schublade mit den langen Unterhosen, fingerte ganz nach hinten und zog eine Flasche Portugieser raus. Gedankenverloren ging er in die Küche, griff wie ferngesteuert zum Korkenzieher, füllte sich ein Glas randvoll, nippte daran und lief dann weiter in Julianes Arbeitszimmer, vorbei am Trümmerhaufen aus Brettern und Büchern.

      Die Sonne schien, wärmte schon kräftig durch die Scheibe. Es würde ein guter Theatersommer werden. Das spürte er. Unten auf der Straße sah er Paula, Franz, Bernd und Gitta. Sie redeten, die Frauen wirkten aufgeregt, die Männer standen regungslos daneben und schienen nur darauf zu warten, endlich wegzukommen. Dann ging jeder seiner Wege, und als Paula nach rechts um die Ecke abgebogen war, schien es Beck, als wäre ihr eine junge Frau in einem weißen Kleid mit roten Punkten entgegengekommen. Aber als Beck das Fenster geöffnet hatte, um besser rausschauen zu können, war die Straße menschenleer.

      4„Du siehst so anders aus.“ Paula musterte ihn von unten nach oben und wieder nach unten. Es kam ihr vor, als habe er sich verkleidet, als wolle er bei den Festspielen nicht nur zuschauen, sondern auch selbst auftreten. „Also, ich weiß nicht.“

      „Natürlich. Es muss ja auch anders werden. Das hab ich auch verstanden“, sagte Beck und zuppelte an seiner Weste.

      „Ja, aber der Arzt hat das nicht modisch gemeint, sondern medizinisch.“

      „Das hängt alles zusammen“, erwiderte Beck und knöpfte seine Weste zusammen.

      „Ich weiß auch nicht, ob Dir das steht.“ Vor ihr stand ein altes mageres Hähnchen, das sich Pfauenfedern aufgesteckt hatte. „Kannst mich doch mitnehmen beim Einkaufen.“

      „Was meinst Du denn, ist doch klassisch englisch.“ Beck blickte an sich herab: Weste mit graubraunem Karo, hellbraune Stoffhose und eine Baumwollfliege mit blauen Streifen, die zugegebenermaßen auch ein gefaltetes Taschentuch hätte sein können. Aber irgendwie passte es doch, dachte sich Beck, setzte sich die Tweed-Kappe auf und schlang den roten Schal um den Hals.

      „Was machst Du denn jetzt?“ Paula griff zur Fliege, Beck wich zurück. „Zieh das doch aus. Ist doch alles viel zu warm. Du schnürst Dir ja die Luft ab. Und diese Frisur.“ Sie lüftete seine Kappe, wuschelte durch sein Haar und strich es dann wieder glatt. Seine Haare widersetzten sich. Paula tat einen Schritt zurück, stemmte die Hände in die Hüften. „Was ist denn das? Hast Du Dir eine Welle reinmachen lassen. Soll das ein Minipli sein?“

      Da hatte sie