"Milch oder Tee zum Frühstück?" "Ein Glas Wein bitte.". Jan Putzas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jan Putzas
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783982187518
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bist du doof!«, sagt meine Schwester und schlägt sich währenddessen synchron, wenn ich das richtig erkenne, mit ihrer Schwägerin die Innenseite der flachen Hand vor die jeweilige Stirn.

      »Also wenn Malvin solche Granaten raushaut«, feixt sie anschließend, »dann kann ich das ja noch verstehen. Der kommt aus den alten Bundesländern und weiß es nicht besser, weil die keine großen Freunde unterm roten Stern hatten. Aber du?« Sie schüttelt mit dem Kopf. »Hattest alle Voraussetzungen und sieh an, was aus dir geworden ist!«

      Danach stößt sie mit meiner Frau an und die beiden trinken einen Schluck Wein. Da halten sie zusammen, die »Weiber«.

      »Ja, ja. Schon klar«, sage ich und winke ab. »Aber lassen wir das mal beiseite. Also war es im Endeffekt so, dass auf der Liste ganz oben Moskau und mit gehörigem Abstand weiter darunter viermal: Kacke, wer will denn dahin? stand. Sehe ich das richtig?«

      »Warst du schon mal in einer dieser Städte?«, fragt meine Frau und hebt dabei tadelnd eine Augenbraue.

      »Nö«, antworte ich. »Muss ich das denn, um mir ein Urteil zu bilden?«

      »Im klassischen Sinne schon«, äfft meine Schwester. »Aber in deinem Fall machen wir eine Ausnahme und verbuchen das Ganze in der Rubrik: Typische Ressentiments eines Dorftrottels.«

      »Also ich war zumindest schon in Kiew, was die Liste betrifft«, erzählt meine Frau. »Das ist allerdings beinahe 30 Jahre her und damals war die Stadt grau und ziemlich hässlich. Mittlerweile hat sich bestimmt vieles geändert, so wie das mit den meisten Städten bei uns in Ostdeutschland auch der Fall ist.«

      »Wieso sagt eigentlich fast jeder prinzipiell erstmal: Der Russe!«, nehme ich den ursprünglichen Gesprächsfaden nach einer kurzen Weile der Ruhe und des Kauens wieder auf. »Ich meine, die Sowjetunion war riesig und das waren doch nicht alles Russen. Laut einiger der heutigen Kabarettisten und ein paar Rentnern, die den letzten Weltkrieg noch erlebt haben, ist der Russe der, der früher immer bei uns vor der Tür stand. Wichtig, im Singular. Nicht die Russen standen vor der Tür, sondern der Russe. Wahrscheinlich, weil er die ganze deutsche Übermenschenherrlichkeit eines Tages zum Kotzen fand und dem dritten 1000-jährigen Reich schon mal nach läppischen zwölf Jahren ein Ende setzte oder, wie es die Alten meistens formulieren: ´Hier alles kaputt gekloppt hat!´ Dass die allerdings vergessen haben, dass der Deutsche in erster Instanz schon ein paar Jahre vorher beim Russen vor der Tür stand und bei dem ´Alles kaputt gekloppt hat!´, ist wahrscheinlich Altersdemenz oder plötzlich eintretender retrograder Amnesie geschuldet.«

      Es kommen keine Reaktionen der Damen. Ich überlege kurz, dann rollt er weiter, der Monolog, oder anders formuliert, der Frage- und Antwort- Reigen mit mir selbst.

      »Und wo kam er eigentlich her, der Russe

      An dieser Stelle ploppt unerwartet und geisterhaft ein asiatischer Kellner neben mir auf, was mich an eine Szene aus irgendeinem James-Wan-Horrorfilm erinnert.

      Mit der dämonenhaften Stimme eines Individuums kurz vorm Exorzismus - hier stellt man sich am besten Loki Schmidt, falls man noch weiß, wer das war, (wenn nicht, das war die Frau von Altkanzler Helmut Schmidt, der so unvergessene Weltklassesprüche herausgehauen hat, wie: »Wenn ich Visionen habe, gehe ich zum Arzt!«, und meinte eigentlich Halluzinationen.), nach dem Verzehr von zwei Litern Bohnenkaffee und einer Stange Zigaretten zum Frühstück vor – rasselt der Gruselkellner folgenden Text heraus: »Lussland ist mit 17 Millionen Quadlatkilometeln flächenmäßig del glößte Staat del Welt, del gleichzeitig in Eulopa und Asien liegt. Die Gebilgskette des Ulals bildet die natülliche Glenze zwischen beiden Kontinenten. Zwei Dlittel del lund 144 Millionen Einwohnel Lusslands leben westlich des Ulals auf eulopäischel Seite. Hauptstadt ist Moskau.«

      Als er fertig ist, sieht mich der Kellner an und verleiert die Augen. Anschließend hält er sich seinen Zeigefinger so, als dünke es ihm, sich damit zu erschießen, seitlich an die Stirn und schüttelt gleichzeitig den Kopf. Vermutlich will er mir so zu verstehen geben, dass diese Szenerie an Plattheit nicht zu unterbieten ist. Danach verschwindet die Erscheinung so unerwartet, wie sie aufgetaucht ist.

      »Äh, habt ihr das gerade auch gesehen?«, frage ich die Frauen erschrocken, während ich mir die Sehorgane reibe.

      »Was meinst du?«, entgegnet meine Schwester und zuckt die Schultern.

      »Ach nichts«, antworte ich eine Spur zu hastig.

      »Dann guck nicht schon wieder so blöd«, sagt meine Frau.

      Ich leere meine Flasche japanischen Biers der Marke Kirin in einem Zug und versuche, mich zu beruhigen.

      »Oder hör auf zu saufen«, mahnt meine Schwester. Beide Grazien grinsen so bösartig, dass ich mir sicher bin, sie haben den Kellner doch gesehen, wenn nicht sogar herbeigerufen. Ich behalte diese Gedanken lieber für mich, fummle stattdessen mein Telefon aus der Hosentasche und tippe eine Nachricht in Frageform auf die virtuelle Tastatur. Anschließend drücke ich auf das Symbol zum Absenden. Keine zehn Sekunden später, während sich meine Frau noch darüber aufregt, dass ich dieses Scheißding, wie sie mein Handy zu nennen pflegt, wegpacken solle, weil sie es sonst in der Tom-Yum-Gung-Garnelensuppe der links von ihr sitzenden, fremden Futterfließbandnachbarin versenken würde, brummt mein Smartphone bereits und ich erhalte eine Antwort. Ich schiele auf das Display und sage: »Also Towarisch Penkov ist der Ansicht, Russland sei aus der Kiewer Rus entstanden. Einem mittelalterlichen Großreich.«

      »Dies gilt doch allgemein als russische Entstehungsgeschichte«, formuliert meine Schwester, »Und wer ist Towarisch Penkov?«

      »Ex-KGB«, erwidere ich gelassen und wippe meinen Kopf ein paar Mal von links nach rechts, weil ich leichte Verspannungen im Nacken- und Schulterbereich verspüre.

      »Na klar!«, sagt meine Schwester und verzieht ihr Gesicht zu einer Grimasse, »Wer soll das auch sonst sein?«

      »Nicht hinhören«, flüstert meine Frau kopfschüttelnd zu ihr und grinst dabei. »Einfach bloß nicht hinhören.«

      Ich ignoriere das Gesagte der Damen und äußere hingegen: »Also, ich habe in einem Bericht gesehen, Russland wurde von Wikingern gegründet.«

      »Wikinger?«, fragt meine Schwester in ungläubigem Tonfall.

      »Ja«, sage ich. »Die sollen aus dem Norden über die Flüsse gekommen sein.«

      »Mit Booten?«

      »Nee, mit Volvos. Na klar mit Booten!«, feixe ich.

      Ihr Mittelfinger schnellt nach oben. Diese Performance hat sie echt drauf. Da macht ihr keiner etwas vor.

      Das Essen im Sakura ist in der Tat mehr als genießbar. Sicher, es gibt Leute, die haben immer etwas zu bemängeln. Zu denen gehöre ich aber keineswegs. Ich bin dahingehend ziemlich einfach gestrickt. Ich war mal Zeuge eines Gespräches auf irgendeiner ländlichen Party im südlichen Harz. Da wurde geäußert, dass die Qualität im Sakura deutlich nachgelassen habe und es mittlerweile lediglich einer gewöhnlichen Massenabfertigung gleiche. Und dreckig wäre es. Das gehe gar nicht!

      »Was nehmen Sie denn da als Referenz?«, fragte ich damals den mir fremden bornierten Herren, dessen Bodymaßindex weit über 30 lag, was dazu führte, dass seine mit simplem Windsorknoten schlecht gebundene Krawatte nur bis kurz über Höhe des Bauchnabels reichte. Jedenfalls sah er mich daraufhin etwas verkniffen an, weil er mit derlei Frechheiten wohl nicht gerechnet hatte.

      »Ah«, sagte ich, grinste und zeigte augenzwinkernd mit einem Finger auf ihn. »Wenn Sie natürlich das Satsuki in New York City meinen, dann muss ich Ihnen recht geben. Aber die beziehen ihre Zutaten auch direkt vom Tsukiji-Markt in Tokio. Da ist es immer schwer, für andere Restaurants mitzuhalten.« Ich unterbrach mich für eine kurze Pause, um an meinem Heineken zu nippen, dann fuhr ich fort: »Oder meinen Sie das Douzo in Boston? Da ist es natürlich auch nicht schlecht. Da muss ich Ihnen ebenfalls recht geben. Dort ist es auch besser als im Sakura

      »Ich war weder in dem einen noch in dem anderen«, presste zu kurzer Schlips sichtlich genervt zwischen seinen geschlossenen