„Bist du schon fertig?“
Alain machte mir gleich Komplimente, ich sähe sehr hübsch aus, und fragte, ob es nicht zu früh wäre, zu gehen, das Fest beginne doch erst später.
„Ich weiß, aber meine Stubenkameradin ist eine anstrengende Zicke. Ich dachte: nichts wie weg hier.“
Alain lachte und meinte, sein Zimmer sei ganz schön mit einem großen Balkon mit Blick auf den Wald, sehr romantisch.
„Und mit wem teilst du ein so romantisches Ambiente?“
Dann lachte Alain noch mal herzlich: „Mit Julien.“ Daraufhin fügte er noch hinzu: „Wir teilen nicht nur die Unterkunft, sondern auch das Bett!“
Neugierig ging ich mit Alain auf sein Zimmer. In der Tat war es heller und größer als meines, ich begutachtete die rustikale Einrichtung mit Vorhängen aus rot kariertem Stoff und robusten, dunklen Holzmöbeln, darunter ein großes Doppelbett. Alain führte mich auf den Balkon, der üppig mit Geranien geschmückt war. Ich lehnte mich an das Geländer und genoss den schönen Ausblick. Alain stellte sich neben mich, blickte ebenfalls auf die Landschaft vor uns, und legte seinen Arm um meine Schulter.
„Es ist eine schöne Überraschung, dass ich dich wiedersehe“, sagte er. „Du hast dich verändert … Du bist irgendwie viel selbstbewusster und hübscher als damals.“
„Danke für die Blumen“, sagte ich, „du hast mich damals gar nicht wahrgenommen, hattest nur Augen für Isabelle. Ich weiß, dass ihr eine Affäre hattet.“
„Wer denn nicht? Isabelle ging doch mit fast allen ins Bett. Du hingegen warst immer brav und ernst, du hast keinen an dich herangelassen. Jetzt sehe ich, wie attraktiv du geworden bist. Bist du vielleicht kein braves Mädchen mehr?“
„Na ja, zehn Jahre in Deutschland hinterlassen eben Spuren.“
„Wo ist dein Freund, damals warst du doch mit einem Typen zusammen?“
„Ich bin jetzt mit einem anderen Mann zusammen, er wollte aber nicht mitkommen, er mag Isabelle nicht besonders. Und was ist mit dir?“
„Ich habe immer Frauen um mich“, lachte Alain, „wie jetzt auch.“ Er drückte mich fester an sich. „Ich liebe Frauen, aber ich bin scheinbar nicht fähig, mich zu binden. Eine feste Partnerschaft halte ich nicht aus. Aber ich bin bestimmt ein guter Liebhaber …“ Genau in dem Moment, als er mich küssen wollte, ging die Zimmertür hinter uns auf. Julien kam herein und entdeckte uns gleich auf dem Balkon.
„He, wenn ich kurz nicht aufpasse, dann baggerst du schon unsere gute Freundin an, du bist aber wirklich unverschämt!“ Julien zog mich zu sich, um mich vor Alain zu „schützen“. Dieser protestierte so nach dem Motto: so ein Spielverderber, der nicht mal unterscheiden könne zwischen einem freundschaftlichen Kuss und Anbaggern. Alain und Julien spielten weiter, als ginge es tatsächlich um mich. Die Albernheit der beiden steckte mich schon an, ich lachte viel. Als Julien ins Bad ging, um sich für das Fest fertig zu machen, nutzte Alain die Gelegenheit, mich doch zu küssen. Ich war nach lauter Albernheiten nicht darauf vorbereitet und sehr überrascht, als er seine Lippen plötzlich auf meinen Mund drückte. Als seine Zunge die meine berührte, wäre ich beinah aufgesprungen, fast elektrisierend wirkte es, aber er hielt mich fest in seinen Armen. Eine Flut der Lust durchströmte mich, es war so unerwartet. Ich genoss wie in Trance die warme, weiche, nasse Zunge von Alain, die sich um die meine schlang. Als Julien aus dem Badezimmer kam, hatten wir uns bereits aus unserer Umarmung gelöst und lächelten uns an wie zwei Komplizen. Ich sagte Alain, jetzt sei er an der Reihe, sich salonfähig zu machen. Julien, der eigentlich ein gut erzogener, schüchterner Typ war, erzählte mir, dass er vor Kurzem von seiner Frau verlassen worden war. Er sei beruflich ziemlich belastet und müsse ständig zwischen Belgien und Deutschland pendeln, und seine Frau verliebte sich in seiner Abwesenheit in einen anderen und ging weg. Das Schlimmste aber sei, dass er sein Kind nicht mehr im Alltag erleben könne. Ich wollte ihn aufmuntern und nahm seine Hand. Schön, dass ich dich wiedersehe, sagte er. Daraufhin küsste er mich flüchtig auf den Mund. Was für ein Tag, staunte ich, es war mir noch nie passiert, dass zwei Männer mich hintereinander küssen wollten, dabei hatten wir noch nicht mal Alkohol getrunken.
Alain kam im schwarzen, seidenen Hemd und einer schwarzen Hose aus dem Bad heraus, und ich ging ebenfalls ins Bad, um mir die Lippen noch mal nachzuzeichnen.
Als wir im Festsaal ankamen, hatten sich fast alle Gäste bereits versammelt. Wir fanden schnell den Tisch mit unseren Namenskärtchen. Nach einer Weile kam Isabelle mit Stefan Hand in Hand herein, alle bewunderten das hübsche Brautpaar. Isabelle trug ein wunderschönes, cremefarbenes Spitzenkleid mit einem tiefen Ausschnitt und strahlte vor Glück. Neben mir hörte ich Alain leise sagen:
„Glückliche Frauen sind so was von unsexy … eine schwangere Braut wirkt nahezu neutral auf mich. Dabei war sie doch so eine geile Frau.“
„Meinst du, dass sie sich geändert hat? Ich meine, wird sie jetzt treu und glücklich als Ehefrau?“
„Ich habe keine Ahnung, und ehrlich gesagt interessiert es mich auch nicht. Viel mehr interessiert mich so was …“
Ich spürte, dass Alain unter der Tischdecke seine Hand unter meinen Rock schob.
„Du bist aber ganz schön frech, sei doch anständig“, sagte ich und genoss eine Weile seine Liebkosung auf meinem Oberschenkel, bis ich seine Hand wegschob. Ich dachte darüber nach, was auf mich anziehend wirkt. Ich fand wahrscheinlich nur solche Männer sexy, die mich als Frau wahrnahmen, wie Alain jetzt, der plötzlich eine erotische Ausstrahlung bekommen hatte, weil er mich anmachte.
„Stefan finde ich in der Tat nicht so sexy, aber Isabelle schon“, sagte ich, „ihr koketter Blick ist noch genau so wie früher. Schau doch dieses tiefe Dekolleté an, so was trägt sie doch, weil sie ihre Weiblichkeit betonen will.“
„Sicher, sie macht sich nach wie vor chic, ist eine hübsche Frau. Aber ihr sexuelles Interesse gilt zumindest jetzt nur ihrem Mann, das macht mich gar nicht an.“
Ich lachte und sagte: „Das ist auch besser so, dass du nicht geil auf die Braut wirst!“ Alain lachte mit, und nach einer Weile sagte er: „Ich finde es ja nur schade, dass viele früher oder später Ehefrau oder Mutter sein wollen statt einfach Frau, das ist tragisch.“
„Na ja, sexy ist man ja, weil man einen Partner finden muss, insofern ist es biologisch vorgesehen, dass man irgendwann damit aufhört, oder?“
„Wollen wir wetten, wie lange Isabelle es aushält?“, fragte Alain, und ich
legte den Zeigefinger an meine Lippen, um ihm „Pst“ zu signalisieren. Dann meldete sich Julien zu Wort, der bis dahin kommentarlos unserem Gespräch gelauscht hatte: „Erklärt mir doch bitte, wie meine Frau dann plötzlich wieder Frau wurde, nachdem sie jahrelang bei mir nur Ehefrau und Mutter verkörperte? Sobald unser Sohn da war, hatte sie keine Lust, sie wollte nicht mehr mit mir schlafen, ich musste immer darum betteln! Es war demütigend und ich war frustriert, aber ich dachte, irgendwann würde sie schon wieder Lust bekommen. Dann hat sie in der Tat wieder Lust bekommen, nur nicht auf mich, sondern auf einen anderen!“
„Das bestätigt nur meine Theorie, dass das Eheleben eben die lebendige Sexualität tötet“, sagte Alain.
„Du kennst keine große Liebe“, behauptete Julien energisch,