Licht in die Stille von Weihnachten. Volker Tesar. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Volker Tesar
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347098060
Скачать книгу
mit meiner Schwester Sina kommen?“

      „Sicher, deine Eltern kannst du auch mitbringen.“

      „Die haben dafür keine Zeit …“

      Frieda schaute kurz auf, beschloss dann jedoch, das Thema nicht weiter zu verfolgen. Nach dem Essen übernahmen Stefan und Magdalena den Abwasch, während sich Großmutter für ein Stündchen aufs Ohr legte.

      „Geschafft“, meinte Stefan, rieb die Spüle noch trocken und hängte die Handtücher in die Nähe des Ofens. „Ich zeig dir jetzt mal mein Zimmer und die Musik von unserem Pfarrer.“

      Sie gingen eine Treppe nach oben. Stefan öffnete eine dicke Tür und ließ das Mädchen eintreten. Vor ihr lag ein ordentliches Zimmer, in dem es von Musikinstrumenten nur so wimmelte.

      „Du hast ja gar kein Bett.“

      „Doch, das ist dort in dem Schrank versteckt. Ich brauche hier Platz. Wenn ich das Bett hochklappe, kann ich hier einen Schreibtisch ausfalten und so ist der Raum optimal genutzt. Für die paar Wochen im Jahr, in denen ich zu Hause bin, reicht das.“

      „Es tut mir leid, was mit deinen Eltern passiert ist, Stefan.“

      „Ich habe keine Erinnerungen mehr an sie. Großmutter ist an ihre Stelle getreten und mir geht es gut bei ihr. Wenn ich von meinen Klassenkameraden höre, was sie alles mit ihren Vätern gemacht haben am Wochenende, denke ich: Schade, dass ich keinen mehr habe. Dann kommen mir aber auch Zweifel, ob diese Väter wirklich so viel mit ihren Söhnen machen. Ich habe den Eindruck, dass ich glücklicher bin als sie. Von meinem Vater gibt es einen Bruder, der in Schweden ein Hotel hat. Dort bin ich die Hälfte der Ferien und ich gehe dann mit meinen Vettern angeln und Bootfahren. Aber am liebsten bin ich hier bei Großmutter, mache Musik von früh bis spät und kümmere mich um meine Bildung.“ Das letzte sagte er mit einem Grinsen. „Großmutter kann weder Latein noch Französisch, in Mathe ist sie auch keine Leuchte, da muss ich mich selbst durchbeißen. Sie ist ein toller Mensch, lieb und aufmerksam und – immer da, wenn ich sie brauche.“ Stefan schluckte und schaltete seine Stereoanlage ein. „Gut, hier haben wir ein Beispiel aus Pater Andreas Vergangenheit.“ Er startete eine CD und ein Schlagzeugsolo erklang. In das Solo mischten sich weitere Instrumente bis ein Bass einen durchgreifenden Rhythmus erzwang und eine Sängerin zu den Rockrhythmen ein Liebeslied sang. „Nicht schlecht, meinst du nicht auch? Die Lieder habe ich heute Nacht gefunden und gebrannt. Es wird noch heftiger.“ Er tippte das nächste Stück an und eine E-Gitarre rockte los. Magdalenas Augen wanderten zwischen den Boxen und Stefan hin und her. Dieser hatte die Augen geschlossen und bewegte sich leicht zum Beat. „Ja, das ist auch Musik, nicht nur Bach oder Händel.“ Nach dem Lied schaltete er die Anlage wieder aus und ging zu einem Tasteninstrument. Als er die Decken davon entfernte, kam eine elektronische Orgel zum Vorschein.

      „Wow, das ist ja eine Hammondorgel.“

      Überrascht wandte er den Kopf. „Du kennst dieses Teil?“

      „Papa hat auch so eine im Keller stehen. Wenn er wider mal erfolgreich ein Projekt zu Ende gebracht hat, sitzt er stundenlang davor und spielt Lieder von damals, wie er es nennt.“

      „Ich wollte dir noch einmal mein Musikstück von gestern vorspielen, darf ich?“

      „Oh ja, gerne. Ich setz mich dort drüben hin.“

      Magdalena ließ sich auf einen dicken Teppich nieder und lauschte.

      Stefan spielte mit großer Leidenschaft und Sensibilität für das Besondere in den beiden Liedern. Dann war es ganz lange still. Schließlich sagte er: „Ich kann morgen Abend gar nicht ins Pfarrhaus kommen, muss ja in die Schule, leider. Sehen wir uns nächstes Wochenende wieder? Vielleicht hast du bis dahin schon was auf die Beine gestellt.“

      „Komm doch am Freitagabend gleich zu uns, da kannst du Papa und meine Schwester kennen lernen. Ich freue mich darauf.“

       Montag, 3. Dezember

      Der nächste Tag war für alle, die aufstehen mussten, ein schwerer Tag. Der Schnee lag zu großen Haufen zusammengeschoben auf der Straße und den Gehwegen und die Kinder wären lieber zum Schlittenfahren gegangen als in die Schule.

      Magdalena und Sina verließen das Haus gemeinsam. „Wann kommst du denn heim, Sina?“

      „Um drei Uhr, wir haben heute Mittag Sport im Nachbardorf. Und du?“

      „Ich bin um sechs zu hause, dann müsste ich mal kurz ins Pfarrhaus. Könntest du einkaufen gehen. Ich habe einen Zettel an die Pinnwand gehängt.“

      „Klar, bis später, Magdalena.“

      Die beiden Schwestern trennten sich und Magdalena trabte zum Bahnhof.

      Der Tag verging schleppend, die Lehrer hatten keine neuen Ideen und beschränkten sich auf Wiederholungen. Magdalena war froh, als sie endlich wieder im Zug saß. Ihre Gedanken schweiften hin und wieder zu Stefan und zu seiner Großmutter. Sie hatte den Nachmittag in dem gemütlichen und warmen Haus sehr genossen. In den Pausen las sie im Manuskript von Pater Andreas und musste mehrmals hellauf lachen. Ihre Schulkameradinnen drängten sich um sie und wollten wissen, worum es ging. Magdalena machte ein geheimnisvolles Gesicht und weihte ein paar Mädchen, die aus ihrem Dorf stammten, in die Geschichte ein.

      Es war keine besondere Weihnachtsgeschichte, nur hatte der Pater es verstanden, die Dialoge witzig zu gestalten und so fand Magdalena die ersten Mitspielerinnen.

      Auf dem Rückweg vom Bahnhof klingelte sie am Pfarrhaus. Wieder erklang der Summer und sie trat ein.

      „Magdalena, ich bin hier oben in meinem Büro. Komm nur herauf, du kannst deine Schuhe auch anlassen.“

      Dennoch entledigte sich Magdalena ihrer Stiefel und stieg in den ersten Stock hinauf. Der Treppe gegenüber lag ein offenes Zimmer. Wie ein Wilder hämmerte der Pater auf einer Computertastatur herum und pfiff vor sich hin.

      „Hi, Magdalena, schön, dass du gekommen bist. Stefan kann ja nicht kommen, ist ja im Internat, das hatte ich nicht bedacht. Wie gefällt dir das Manuskript?“

      „Ganz toll, ich habe auch schon ein paar Mitspielerinnen. Genovevas Mutter ist Schneiderin. Die wird auch eingespannt für die Kostüme. Jetzt brauche ich noch ein paar Jungs, aber das findet sich. Morgen habe ich nur zwei Stunden Unterricht, dann gehe ich in Sinas Schule und spiele Rattenfänger.“

      „Schön, hier gegenüber wohnen Sebastian und Terry, die spielen bestimmt auch mit.“

      „Ist Terry der schwarze Junge aus Nigeria?“

      „Ja, genau. Der ist jetzt drei Jahre alt, wäre doch was für die Rolle eines der Straßenkinder.“

      „Meinst du wirklich?“

      „Ach was, das passt schon, nicht nur wegen der Hautfarbe. Was meinst du denn, wie lange du brauchst, bis du alle zusammen hast?“

      „Das schaffe ich in dieser Woche locker. Am Samstag könnten wir uns das erste Mal treffen. In der Kirche ist es aber ziemlich kalt, Andreas.“

      „Nein, die Kirche ist dafür nicht geeignet. Unten im Pfarrhaus gibt es einen großen und warmen Raum. Er ist leer und super geeignet für ein Krippenspiel.“

      „Andreas, darf ich dich noch etwas fragen?“

      Der Pater speicherte sein Dokument und drehte sich vom PC weg. „Worum geht es denn?“

      „Hast du früher einmal in einer Rockband gespielt, Schlagzeug?“

      Pater Andreas nickte langsam und seine Gesichtszüge wurden ernst. „Wir waren sehr erfolgreich. Das haben manche von uns nicht verkraftet und so gingen nach und nach die Freundschaften zu Bruch. Ich bin mit 28 Jahren zu den Franziskanern gegangen und habe seitdem kein Schlagzeug mehr angerührt. Es hängen sehr schmerzhafte Erinnerungen daran. Wenn ich jetzt sehe, mit wie viel Herz Stefan Orgel spielt, was für ein Talent in ihm steckt, tauchen wieder die alten Bühnenbilder auf und es juckt mich in den Fingern. Im Keller habe ich mein Schlagzeug in Kisten eingemottet. Vielleicht, eines Tages …“ Ein Leuchten