„Ich muss leider auch zurück zu meiner Großmutter.“
„Wie wäre es, wenn ihr morgen früh um zehn zu mir ins Pfarrhaus kommt?“
Beide Jugendlichen nickten. „Schön, dann bis morgen, ich habe nämlich einen Plan .. “
Andreas machte ein geheimnisvolles Gesicht, winkte den beiden und verließ die Kirche.
„Ich gehe noch ein Stück mit dir, wenn du nichts dagegen hast?“ Stefan schaute Magdalena fragend an.
„Ganz und gar nicht, wohnst du denn in meiner Nähe?“
„Ja, eine Querstraße vor eurer steht das Haus meiner Großmutter.“
Magdalena dachte, dass sie das merkwürdig fand, dass Stefan wusste, wo sie wohnte, zuckte dann aber mit den Schultern und setzte sich in Bewegung.
„Ich habe Dich hier im Dorf noch nie gesehen, Stefan?“
„Das kommt daher, dass ich die meiste Zeit des Jahres im Internat lebe. Ich komme auch nicht jedes Wochenende heim. Ich habe zuviel in der Schule zu tun. Ich habe dich schon gesehen bei einem Konzert deiner Mutter. Daher weiß ich auch, wo du wohnst.“
Magdalena schaute den Jungen sinnend an. „Ist das nicht schrecklich, im Internat zu wohnen?“
„Es geht nicht anders. Hier in der Nähe gibt es keine geeignete Schule für mich.“
„Aha, keine geeignete Schule …“
„Ich erzähle dir ein anderes Mal, was das bedeutet. Ich - ähm - ich gehe noch ein Stück mit. Meine Großmutter ist bei einer Freundin.“
Wieder sah Magdalena ihn sinnend an und ihr Gesicht rötete sich ein wenig. „Ich freue mich, wenn du mich begleitest.“
Jetzt war Stefan an der Reihe rot zu werden. Als sie sich beider ihrer Färbung bewusst wurden, fingen sie an zu lachen. „So ein Quatsch, dass man nicht zu dem stehen kann, was man gern will. Also, Magdalena, ich finde dich riesig nett und gehe jetzt einfach mit bis zum Gartentor. Dann muss ich heim und noch ein bisschen Ordnung machen.“
Magdalena steckte ihre linke Hand unter seinen arm und sie gingen schweigend weiter. „So, da sind wir leider schon, Stefan. Wir sehen uns dann morgen?“
„Ja, ich freue mich auf das Treffen. Tschüß, Magdalena!“ Er drückte noch einmal ihre hand an seinen körper, drehte sich um und verschwand eilig an der nächsten Ecke.
Sonntag, 2. Dezember
Nachdem Magdalena sich gestern von Stefan verabschiedet hatte, war sie den ganzen Tag damit beschäftigt, mit Sina das Haus in Ordnung zu bringen. Am späteren Nachmittag hatten sie noch ein Lebkuchenrezept ausprobiert. Immer wieder ging Magdalena die Orgelmusik durch den Kopf und sie hatte das Gefühl, dass da mehr dahinter steckte als nur musikalisches Interesse.
Sie hatte ihrer Schwester erzählt, dass sie den heutigen Vormittag im Pfarrhaus verbringen wolle. Sina hatte das schweigend zur Kenntnis genommen und sich mit einer Freundin verabredet. Die Landschaft hatte sich noch mehr verändert. In der Nacht hatte es wieder heftig geschneit und Magdalena konnte von ihrem Fenster aus ihren Vater beobachten, der sich mühte, der Schneemassen Herr zu werden. Auch heute fuhr er wieder ins Labor, eine Erfindung seiner Firma stand kurz vor der Patentvergabe und er war wesentlich daran beteiligt.
Magdalena machte sich auf den Weg. An der Querstraße, in der Stefan wohnte, zögerte sie kurz, warf einen Blick nach rechts, sah nichts und ging leicht enttäuscht weiter. als sie in der Nähe der Kirche war, hörte sie ihren Namen rufen. Stefan kam angeschliddert, ruderte mit beiden Armen, um nicht hinzufallen und lachte das hübsche Mädchen an. „Hallo Magdalena, ich habe dich verpasst. Großmutter wollte noch, dass ich die Kellertreppe fege und Holz für den Ofen reinschaffe. Das hat mich in meinem Zeitplan etwas durcheinander gebracht. Wie geht es dir?“
Die Frage traf Magdalena etwas unvermittelt. „Hm, ganz gut …Was Pater Andreas wohl von uns will?“
„Keine Ahnung! Ich habe gestern mal ins Internet geguckt. Wenn es der Andreas ist, für den ich ihn halte, hat er früher einmal bei einer international bekannten Rockband gespielt. Die Songs gehen ganz schön unter die haut. Wenn du willst, kannst du nachher noch mit zu mir kommen und wir hören uns ein paar von den Krachern an. Auf einem Videoclip war der Drummer zu sehen. Das muss Andreas sein. Er grinst über das ganze Gesicht, der Schweiß steht ihm auf der Stirn und er hat nur eine Lederweste an. Sieht echt cool aus. Und jetzt ist er Pater.“
„Danke für die Einladung. Ich komme gerne mit.“ Magdalena konnte ein leichtes Kribbeln im Magen spüren.
Verlegen schaute Stefan auf seine Stiefelspitzen. Magdalena folgte seinem Blick und meinte lachend: „Da unten gibt es nichts zu sehen außer Schnee in kompakter, in wässriger, in gefrorener und was weiß ich welcher Form. Wie alt bist du denn?“
„Ich bin gestern sechzehn geworden. Und wie alt bist du?“
„Ah, na dann noch herzlichen Glückwunsch, Stefan. Ich bin fünfzehn. Warst du gestern deshalb so gut drauf an der Orgel?“
„Nein, an der Orgel bin ich immer gut drauf. Es ist, wie wenn man ein ganzes Orchester gleichzeitig spielt und ist.“
Sie waren am Pfarrhaus angekommen und Magdalena drückte die Klingel. Ein Summer ertönte und die Tür sprang auf. „Den Gang runter und dann links“, rief eine dröhnende Stimme aus dem Hintergrund.
Magdalena und Stefan zogen Ihre Jacken und Stiefel aus, suchten vergebens nach einer Garderobe und hängten dann kurz entschlossen alles auf ein Treppengeländer.
Sie folgten der Anweisung des Paters und standen bald in einer gemütlich eingerichteten Küche, in der es nach frischen Plätzchen und Kaffee duftete.
„Hallo Magdalena, hallo Stefan, nehmt Platz, ich komme gleich!“ Aus einem Nebenzimmer hörten sie Rumoren und Rascheln. Sie setzten sich, nachdem sie zwei Stühle von Zeitungen befreit hatten.
Magdalena musste schmunzeln. „Ich glaube, hier fehlt eine Haushälterin“, flüsterte sie Stefan zu. Der nickte nur und sah sich interessiert die CD-Sammlung an, die in einem Regal über der Eckband stand.
„So, da bin ich, entschuldigt bitte die Unordnung, es sah heute morgen noch schlimmer aus. Ich bin ein alter Junggeselle. Das ist zwar keine Entschuldigung, aber meine einzige Ausrede.“ Pater Andreas hatte eine große Schüssel in der Hand, aus der die verschiedensten Plätzchen herauslugten. „Jetzt, am Anfang des Advents kann ich das alles noch essen, in zwei Wochen hängt es mir zum Hals raus. Ich kriege so viel geschenkt, dass es für eine Großfamilie reichen könnte. Ich habe mir einen Kaffee gekocht. Wollt ihr Kakao oder Tee oder …“
Der Mann in Schwarz stellte seine Schüssel ab und sah dabei die Zeitungen an, die jetzt auf dem Sofa lagen. „Äh, habe ich die auch nicht weggeräumt? Von wegen: Es ist alles bereit im Hause meines Vaters. So, das war der letzte Bibelspruch für heute, jetzt rede ich wieder normal.“
„Ich würde mich auch über einen Kaffee freuen. Wenn ich das richtig sehe, brauen Sie Italienischen?“
„Sehr richtig, mein Junge. Und du, Magdalena?“
„Ich trinke Kakao. Aber, lassen Sie mich das selbst machen. Es steht ja schon alles bereit.“
„Nichts da, ich bin der Gastgeber!“ Pater Andreas setzte einen Milchtopf auf den Herd und löffelte Kakaopulver in eine Kanne. als er sich wieder zum Tisch drehte, sah er Stefans Blick auf den CDs ruhen. „Das entspricht nicht ganz dem Armutsideal, aber ich kann mich nicht so leicht von meiner Vergangenheit lösen. Musik war mein Leben und ist es auch geblieben!“
Magdalena sprang vom Stuhl und riss den Topf von der Platte, die auf die höchste Stufe eingestellt war. „Exakt ist genau genug.“ meinte Andreas und zwinkerte dem Mädchen zu. „Danke, dass du mich vor einer großen Sauerei bewahrt hast.“
Magdalena