Wenigstens von seinem Job verstand er etwas, das musste man ihm lassen. Es dürfte sie etliche Anstrengungen kosten, die Lücke zu schließen, die durch sein Ableben in der Kanzlei zweifellos klaffen würde. Zunächst jedenfalls. Aber sei’s drum, etwas Schwund ist immer.
Am nächsten Tag hatte Rebecca nur wenig zu tun. Die Akte abschließen, den Mandanten vom juristischen Fehlschlag ihrer Parisreise informieren – das war’s. Da blieb Zeit genug für eine Verabredung mit der besten Freundin im Café unter den Palmen. Die waren genau so falsch wie die angebliche Aufrichtigkeit von Ellen, die sich dort regelmäßig mit Rebecca traf. Immerhin machte das Ambiente was her und Ellens Techtelmechtel mit Friedrich war für Rebeccas Plan geradezu ein Geschenk des Schicksals. Der Mensch braucht eben Freunde – vor allem solche, die so leicht zu durchschauen und manipulierbar sind wie Ellen.
Nach zwei Prosecco und einem bisschen belanglosem Weibergewäsch, wie Friedrich es bezeichnet hätte, ging Rebecca erbarmungslos in medias res: „ Schau, mein Schatz, “ flötete sie zuckersüß, „ich weiß, dass du seit langem ein Verhältnis mit meinem Mann hast.“ Ellen wechselte die Farbe und verschluckte sich prompt. Tomatenrot stand ihr gar nicht – zumindest nicht im Gesicht. „Lass nur“, tröstete Rebecca rasch, schlug der hustenden Freundin hilfreich auf den Rücken und wartete in Ruhe ab, bis Ellen sich wieder etwas gefasst hatte. „Reg dich ab. Kein Grund zur Aufregung mehr. Sicher, es gab eine Zeit, da habe ich ziemlich gelitten. Mein Mann und meine beste Freundin. So etwas tut weh. Aber du weißt ja, ich bin Realistin. Schließlich warst du nicht sein erster Seitensprung. Aber du könntest sein letzter sein, wenn du möchtest.“ Erst als Ellen sie fassungslos anstarrte, begriff Rebecca, wie ungewollte eindeutig ihre Bemerkung gewirkt haben musste. Sie lachte und ergriff die Hand, die vor ihr auf dem Tisch gefährlich nah am Prosecco-Glas zitterte. „Meine Güte, Ellen, du liest wohl zu viele Kriminalromane. Nein, ich dachte eher daran, dass du Friedrich möglicherweise ganz für dich allein haben möchtest. Schau mal, wir beide – er und ich – haben uns längst auseinander gelebt. Er liebt dich. Davon bin ich überzeugt. Ich hab das längst begriffen – und überwunden. Allerdings … Wir müssten eine Regelung finden – hinter seinem Rücken natürlich – die mich auch finanziell absichert. Schließlich arbeiten wir in einer Kanzlei. Da kann ich mich nicht ausbooten lassen. Das verstehst du doch?“ Ellen konnte nur heftig nicken und kippte den Prosecco in einem Zug hinunter. War auch besser so, fand Rebecca, bevor das Zeug noch auf der Tischdecke landete.
Ellen, das wusste sie, ging es finanziell nicht besonders. Auch sie war Volljuristin, aber für die Übernahme in den Staatsdienst hatte ihre Examensnote nicht gereicht, und als Anwältin fehlte ihr eine gute Portion Überzeugungskraft – und eine Menge Kapital für den ersehnten Einkauf in eine Sozietät. Rebecca konnte förmlich sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete: Den Mann bekommen, den sie – aus welchen Gründen auch immer – liebte. Dazu noch eine berufliche Chance in der Zusammenarbeit mit einem bekannten Strafverteidiger – Herz, was willst du mehr?
Aber umsonst ist eben nur der Tod. Und selbst der sollte wie üblich das Leben kosten. Friedrichs Leben. Aber darauf wäre Ellen allerdings nicht in ihren kühnsten Träumen gekommen, die Rebecca nun mit ihrem bekannten Pragmatismus rüde unterbrach: „Hör zu. Es ist ganz einfach. Du kannst nur profitieren. Es gehört lediglich ein kleines Stück Nervenstärke dazu. Und die wirst du ja wohl aufbringen können. Schließlich bist du mir etwas schuldig.“ Ellen nickte und schaute die Freundin mit waidwundem Blick an, harrend der schrecklichen Dinge, die da kommen sollten. Und als sie dann endlich quasi auf dem Tisch lagen, strahlte Ellen vor Erleichterung und Dankbarkeit. Das sollte alles sein? Vor lauter Euphorie orderte sie spontan noch zwei Prosecco und erklärte sich sogar großzügig bereit, die Rechnung zu übernehmen – selbst als Rebecca noch zwei Cognac zusätzlich in Auftrag gab. Ein seltenes Angebot. Und das war alles an diesem Nachmittag – bis auf die kleine Pappschachtel mit dem blauen Wunder, die Rebecca ihr unter der Hand versteckt über den Tisch schob. Ein Kinderspiel. Viva Viagra. Ellen würde lediglich in Rebeccas Abwesenheit ihren Friedrich überreden müssen, das blaue Wunder zu schlucken, auf dass sie es dann beide ungeniert erleben könnten. „So klappt’s bestimmt“, hatte Rebecca versichert. „Mit dem Zeug intus ist er machtlos gegen jede Verführung – und da wirst du dich ja wohl auskennen, nehme ich an. Und wenn ich dann in eure Orgie platze, kann er sich gegen ein vernünftiges Arrangement nicht mehr wehren.“ Rebecca kicherte voller Vorfreude: „Stell dir nur vor, was ihm in dem Augenblick durch den Kopf gehen muss: Der Skandal! Bekannter Strafverteidiger mit der besten Freundin der Ehefrau im Bett erwischt! So eine Schlagzeile kann er sich nicht leisten.“ Stattdessen – so hatte es Rebecca Ellen erklärt – könne man sich schiedlich friedlich einigen. Rebecca würde mehr bekommen, als er ihr ohne diesen Druck zu geben bereit wäre, und alle könnten gute Freunde bleiben – und ihr kleines, unfeines Geheimnis hüten.
Drei Tage später war Ellens Geburtstag und Rebecca hatte sie verabredungsgemäß zu einem feinen Abendessen zu dritt ins traute Heim eingeladen. „Du hast doch wohl nichts dagegen?“, fragte sie scheinheilig ihren Friedrich, „immerhin ist sie meine beste Freundin. Da kann ich sie doch an so einem Tag nicht allein lassen.“ Friedrich sah das natürlich voll und ganz ein und erkundigte sich lediglich, was es denn zur Feier des Tages zu essen gäbe. „Überraschung“, lachte Rebecca, warf ihm eine Kusshand zu und entschwand in die Küche. Hier waltete dann die züchtige Hausfrau, während Friedrich, der den Eindruck, eventuell helfen zu wollen, gar nicht erst aufkommen ließ, in froher Erwartung zu einem Spaziergang aufbrach.
Als er zurückkehrte, war die Überraschung wirklich perfekt. Rebecca empfing ihn in heller Aufregung. „Es tut mir so unendlich leid für Ellen, aber ich muss sofort zu Astrid fahren. Sie ist kreuzunglücklich und glaubt, Frank betrüge sie. Dabei haben wir ihn immer für einen Mustergatten gehalten. Vor allem du. Vielleicht ist ja auch nichts dran, aber ich muss auf jeden Fall hinfahren. In solchen Situationen brauchen Töchter ihre Mütter. Das verstehst du doch, Schatz.“
„Und das Essen?“ Klar, dass die Interessen ihres holden Gatten eher auf leibliche, als auf seelische Bedürfnisse ausgerichtet waren. „Kein Problem“, strahlte Rebecca, „ich hab bereits mit Ellen telefoniert. Sie kommt vorbei und wird alles richten. Bitte, kümmere dich um sie. Du weißt ja, sie hat Geburtstag und ich werde frühestens morgen zurück sein.“ Insgeheim stellte sie resignierend fest, dass Friedrich wenigstens zum Schein ein bisschen traurig hätte aussehen können. Vor Gericht ein Meister des Mimikry, aber zu Hause – nicht einmal das war sie ihm noch wert.
Beim Hinausgehen traf sie auf Ellen. Sie umarmte die Freundin und sagte sibyllinisch: „Schön, dass du mich nicht im Stich lässt und dich um Friedrich kümmerst. Das werde ich dir nicht vergessen. Macht euch einen richtig schönen Abend.“ Und weg war sie. So, nun brauchte sie nur noch ein wenig Glück. Aber warum sollte ausgerechnet bei Friedrich nicht klappen, was bis 1998 schon 16 Amerikanern den Tod brachte? Rebecca hatte sich im Internet ausführlich über die Gefahren von Viagra informiert. Die Potenz-Pille war unbedenklich – falls man gesund war. Wer aber, wie Friedrich Herzprobleme hatte und ständig Nitroglyzerin einnehmen musste, ging ein tödliches Risiko mit dem blauen Wunder ein. Würde ihr werter Gatte das in Kauf nehmen? Sie konnte es nur hoffen und auf Ellens Verführungskünste bauen. Und die war dank Rebeccas Überredungsgabe wild entschlossen, ihm die Nacht der Nächte zu bereiten. Vor ihr würde er sicherlich nicht den Kranken spielen wollen. Dann schon lieber den jugendlichen Helden. Es musste einfach klappen. Im Augenblick