Schwierig wird es dann, wenn ich anfange, jemanden von euch zu mögen. Schaut nicht so überaus skeptisch. Das kann mir unter Umständen schon mal passieren. Auf eine gewisse Art mag ich euch alle. Etwa so, wie ihr Hunde mögt. Sorry, das war herablassend. Aber nicht so beabsichtigt. Und ich verspüre jetzt auch keine Lust dazu, euch das so auszuführen, dass ihr wieder besänftigt seid.
Denn es geht jetzt um das, was ihr Liebe nennt und schon längst millionenfach durch Klischees und Kommerz missbraucht, gefoltert und verkrüppelt habt. Ich bleibe dennoch bei diesem Begriff, sonst überfordere ich euch.
Aber wir sprechen dennoch über verschiedene Gefühle. Wenn ihr jemanden liebt, dann wollt ihr eigentlich nur jemanden, der euch liebt. Ihr sucht euch einen Partner danach aus, wie sehr ihr euch von ihm gemocht und begehrt fühlt. Da ist nichts Verwerfliches daran. Im Gegenteil.
Es war jedenfalls ziemlich einfach, sie mir abzugewöhnen, die Liebe, aber wie mit allen schlechten Gewohnheiten: Zuerst einmal muss man beinahe daran verrecken, bevor man sich überwinden kann, damit zu brechen.
Dafür hatte ich dann leichtes Spiel mit dem Rest dieser nervigen Gesellschaft: Hass, Wut und Angst waren ziemlich easy zu eliminieren. Behalten habe ich die Einsamkeit.
Davor hat sie mich aber so was von kalt erwischt, diese Scheiß Liebe. Und für einen Moment fühle ich mich mit euch solidarisch, mit jedem von euch, der seinen ersten Liebeskummer durchlebt hat. Wir sind vielleicht von unterschiedlichen Planeten, aber was das betrifft, haben wir alle schon mal gelitten wie verrückt.
Damals jedoch hätte ich nicht damit gerechnet, dass mich jemals so was treffen würde. Nennt das ruhig Arroganz. Ich nenne es eine Bildungslücke.
Das kommt davon, wenn man sich bereits als kleines Mädchen mehr für Serienkiller als für Märchenprinzen interessiert.
Und wenn man dann völlig unvorbereitet nach Norwegen stolpert und in die Arme von jemandem fällt, der aussieht wie Legolas und einem sagt, wie süß er einen findet.
Hätte ich nur auf meine Kusinen gehört, die mich ständig zu Pyjama Partys mit High-School-Liebesfilm-Marathon einluden. Hätte ich nur Frauenzeitschriften gelesen anstatt Romane. Oder wenn schon Romane, dann wenigstens Jane Eyre und nicht Jack London. Hätte ich mich nur von Moritz küssen lassen, anstatt ihm eine reinzuhauen.
Dann wäre ich vielleicht ein klein wenig besser auf alles vorbereitet gewesen. Oder auch nicht. Ihr tut schließlich all diese Dinge und wollt dann trotzdem unbedingt sterben, wenn ihr unglücklich verliebt seid.
Davor kommt aber immer erst mal das Glück. Das Glück, jemanden entdeckt zu haben, der so hell für dich leuchtet, dass du erst daran merkst, wie dunkel es davor eigentlich war.
Das war Finn für mich. Ein Licht in einer Einsamkeit, die erst durch ihn einen Namen bekam.
Der Tag unserer Ankunft jedenfalls war strahlend hell. Ich stand wieder mal mit meinem gesamten Gepäck vor dem Bus herum und schämte mich. Diesmal waren die Gründe dafür leichter zu benennen: Ich befürchtete, Finn könne den positiven ersten Eindruck von mir längst bereut haben, nachdem ich mich im Bus wie eine Idiotin aufgeführt hatte.
Zum Glück waren wir bereits ohne viel Zögern in zwei Gruppen nach biologischem Geschlecht aufgeteilt worden. Trotz den verwirrenden Gefühlen von Scham, Schwindelresten und Glück, konnte ich es mir nicht verkneifen, diese Aufteilung als albern einzustufen.
Diese Besessenheit, Menschen nach der Form ihrer Genitalien zu ordnen, war albern. Und nein, das ist kein Plädoyer für die Gender-Debatte. Die Gender-Debatte ist ebenso albern. Die gleiche Besessenheit, Menschen bloß nicht nach der Form ihrer Genitalien zu ordnen. Radikales Gedankengut, die eine wie die andere Seite. Es gibt nun mal zwei verschiedene biologische Geschlechter und ein paar Ausnahmen dazwischen. Na und? Kein Grund, sich deswegen fertigzumachen.
Als viel bedeutsamer stufte ich zum Beispiel die Vorliebe für politische Ansichten ein. Und ein sinnvolleres Auswahlkriterium wäre immer noch sogar so was wie der gleiche Musikgeschmack anstatt der Tatsache, dass wir alle eine Vagina hatten.
Außerdem hätte dann die Chance bestanden, mit Finn in ein Zimmer zu kommen. Dies mochte dazu beitragen, dass ich so herzhaft über die Trennung von Mädchen und Jungen fluchte. Ein ganz klein wenig bestimmt.
So hielt ich mich an die sportliche Streberin, ihr erinnert euch an sie?
Sie hatte immerhin eine Vagina, gehörte also in meinen Club, und löste in mir latente Sympathiegefühle aus. Das schafften schon mal wenige Menschen, gleich welchen Geschlechts. Da war ich für faire Gleichberechtigung.
Außerdem machte sie den Eindruck von immenser Schüchternheit. Das gefiel mir auch. Mit schüchternen Menschen konnte ich gut umgehen, weil ich nicht schüchtern war, es aber längst überzeugend spielte. Also witterten sie in mir eine Leidensgefährtin und waren gleichzeitig dankbar dafür, wenn ich dann die Führung übernahm.
„Wollen wir zusammen in ein Zimmer?“, fragte ich freundlich. Dafür hatte ich ein Extra-Lächeln entwickelt, das nicht nur harmlos, sondern auch vertrauenerweckend wirkte. Hoffte ich wenigstens.
Bei dem Mädchen mit den schwarzen Zöpfen funktionierte es. „Ja, gern“, sie lächelte so dankbar zurück, dass sie mir ein wenig leidtat. Mädchen wie sie waren das ideale Opfer für jeden charmanten Psychopathen.
Zum Glück für sie war das einzige Furchtbare, was ich mit ihr vorhatte, eine funktionierende soziale Bindung auf Zimmergemeinschaftsbasis. Und ihre Stimme war klar und angenehm, sie roch nicht seltsam, sie las Bücher, sie würde sich eignen.
„Ich heiße Lily“, sagte ich immer noch sehr freundlich.
„Und ich Lotta“, erwiderte sie.
„Fängt beides mit L an, das passt doch!“ Ich war stolz auf mich. Gemeinsamkeiten zu finden und herauszuheben förderte die Bindung zwischen Personen. Ich wusste das, war aber normalerweise trotzdem nicht gut darin.
„Luna fängt auch mit L an!“, krähte es da hinter uns. Ich zuckte zusammen. Das Mädchen, das einfach meine Taktik zur Verschwesterung klaute, hatte sich irgendwie dazu geschlichen. Oder nein, jemand wie sie schlich nicht. Jemand wie sie stampfte. Nicht, weil sie zufällig klein und dick war und nicht anders gehen konnte, sondern weil sie gehört werden wollte.
Obwohl sie nicht viel älter als wir sein konnte, hatte sie etwas von einer 50-Jährigen. Das mochte an ihrer halblangen blonden Dauerwelle liegen. Oder dem bunten Blumenkleid und den Gesundheitssandalen. Oder an der Art wie sie redete.
„Ich wurde nach der Mondgöttin benannt, weil meine Mutter fand, ich war schon gleich nach der Geburt so weiß und golden“, plapperte sie. „Habt ihr vielleicht ein Hustenbonbon für mich? Mein Hals ist sehr empfindlich, und die Luft auf der Fähre war total feucht. Bestimmt sehe ich ganz schlimm aus nach der langen Fahrt, habt ihr geschlafen? Ich habe kein Auge zugetan, bestimmt schlafe ich erst mal 20 Stunden!“ Sie lachte so fröhlich, als wäre das eine echt gute Nachricht für alle.
Ich mochte sie nicht. Aber ich fand sie interessant. Und es war immer praktisch, jemanden im Team zu haben, der gern und viel redete.
„Magst du auch zu uns ins Zimmer, Luna?“, fragte ich, etwas bemühter freundlich diesmal, und verkniff mir jeden Kommentar zu Müttern, die ihre Töchter nach einer Mondgöttin benannten.
„Oh, das ist so lieb von euch! Ich hatte schon Angst, dass hier alle so arrogant sind! In meiner Klasse sind alle ziemlich arrogant, das sind ganz schlechte Schwingungen! Ich hab auch viel Schokolade dabei, falls das Essen hier schlecht ist. Schokolade ist sehr wichtig bei Nährstoffmangel, sagt meine Mutter.“
Einen winzigen Moment erstarrte mein Lächeln, als sich auf der Zunge dahinter folgende Worte bildeten:
„Hast du bereits einmal in Erwägung gezogen, die geistige Gesundheit deiner Mutter in Frage zu stellen? Die Kriterien sowohl bei der Auswahl deines Namens als auch deiner Frisur und Kleidung legen dies