Die Zeit wurde knapp und wir bepackten uns in Eile mit dem Gerät, inklusive Boxen, die mir verdammt schwer erschienen. Ich sagte nichts, nahm es so hin, allerdings konnte sich unser Lehrer beim Verstauen des Gepäcks eine Bemerkung nicht verkneifen. „Sagt mal, warum sind die Boxen denn so schwer?“
Mein Freund schaute ihn überrascht an: „Tja, des is hald High-Qualidäd.“ Er hatte die Boxen aufgeschraubt und den Hohlraum mit Alkoholflaschen befüllt – für die Party. Ach ja, den Plattenspieler nutzten wir, aber mit dem neumodischen CD-Player konnten wir nichts anfangen. Niemand von uns besaß eine CD, und schon gar nicht hatte jemand eine mitgebracht.
Ein anderer Freund überraschte mich eines Tages mit einem Schlüssel, der jedes Mercedes-Modell entsperren konnte. Ich begleitete ihn, als er an einem Abend mindestens einhundert Autos aufschloss. Ich betone „aufschloss“ und sage nicht, dass er was klaute. Das fällt juristisch nicht unter Einbruch. Das fällt unter „Spaß haben“, oder?
Als weniger spaßig kam die Sache im Supermarkt an. Ich war zehn, vielleicht elf Jahre alt. Und warum es gerade Spielkarten sein mussten, die wir als Clique klauten? Keine Ahnung. Ich trug die damals hippen Hosen, unten zum Zuschnüren und mit seitlichem Lederbesatz, ziemlich cool. Die Karten stopfte ich bequem durch den Hosenbund. Von dort rutschten sie direkt bis zur Wade. Der Kassiererin allerdings konnte ich nichts vormachen. Sie hatte einen scharfen Blick und sagte: „Junge, bleib mal steh’n und leer deine Taschen aus!“
Ich tat so, als sei nix gewesen, zuckte gleichgültig die Schultern und stülpte ohne zu murren die Hosentaschen von links nach rechts.
Die Frau musterte mich irritiert: „Und wo stecken deine Freunde?“
Ich deutete mit einer Hand in eine bestimmte Richtung: „Ach, die sind längst um die Ecke verschwunden.“ Im gleichen Atemzug schrie ich laut: „Haut ab, die haben uns erwischt!“ Ich setzte ebenfalls zum Spurt an, rannte aus dem Laden, meine Kumpels mir nach. Der Spontanklau schien gerade noch mal gut gegangen.
Allerdings verhielt ich mich am nächsten Tag ziemlich naiv. Meine Oma drückte mir einen Einkaufszettel und Geld in die Hand, damit ich in besagtem Supermarkt einkaufen sollte. Ich tat, wie mir geheißen. Wahrscheinlich dachte ich nicht einmal über mögliche Konsequenzen nach. Die Kassiererin jedenfalls erkannte mich sofort wieder und meinte: „Ha, du gehörst doch zu der Clique!“ Mehr musste sie nicht sagen. Ich wusste auch so, wie sie das meinte.
Sie machte keinen Aufstand, rief auch nicht die Polizei, erteilte mir jedoch Hausverbot.
Ich will nicht sagen, dass ich mit dabei war, aber ich wusste zumindest, dass einige meiner Kumpels im Laufe der Zeit Hunderte BMX-Fahrräder zusammengeklaut hatten, diese Kulträder mit relativ niedrigem Rahmen und einem verhältnismäßig hohen Lenker, der sich einmal um sich selbst drehen lässt, um Tricks springen zu können. Technisch gesehen kannte ich mich aus. Ich fuhr ja selbst so ein Rad.
Der Vorfall wurde aufgedeckt und stand in der Presse, weil jemand aus der Gang seine Kumpels verpfiffen hatte. Daraufhin fanden in der Gegend Hausdurchsuchungen statt, auch in dem Haus, in dem ich mit meinen Großeltern sowie zwei weiteren Familien wohnte. Nein, nein, die Polizisten fanden nichts, was dem leitenden Beamten nicht besonders gefiel. Er vermutete … Ach, ist ja auch egal. Jedenfalls konnte keinem etwas nachgewiesen werden und alle Beteiligten kamen mit einem blauen Auge davon.
Tag für Tag in der Gitterbox
Ich glaube kaum, dass mich jemand aus meiner Familie einmal gefragt hat, was ich später werden möchte. Und wenn, wäre mir diese Frage sicher verhasst gewesen, denn als Fünfzehnjähriger hätte ich darauf keine Antwort gewusst. In der neunten Klasse wurde mir diese Frage dann aber doch gestellt. Ich zuckte hilflos mit den Schultern. Der Lehrer versuchte, mir auf die Sprünge zu helfen: „Vielleicht was mit Technik? Was mit Menschen? Mit Medien …?“
Am liebsten hätte ich eine weiterführende Schule besucht. Doch ein Wirtschaftsgymnasium wäre trotz meiner mittlerweile super Noten – in allen Fächern eine Eins, bis auf Deutsch und Englisch – aus finanziellen Gründen gar nicht möglich gewesen. Es war kein Geld da, um es auszugeben. Ich musste welches verdienen.
Die Gespräche in der Schule brachten mich nicht weiter, und als ich meiner Oma davon erzählte, meinte sie ungewohnt geschäftig: „Du, da fahr‘n wir zum Arbeitsamt, dort gibt‘s eine Beratungsstelle.“
Der Berufsberater war mindestens sechzig, jedenfalls schien er mir uralt. Würde mir dieser alte Mann mit einer bestimmt völlig anderen Denkweise wirklich helfen können?
Oma und ich hatten vor seinem Schreibtisch Platz genommen und warteten gespannt, was er uns zu sagen hatten. Er sah sich mein Zwischenzeugnis an, schien zufrieden. „Ja Bursch, das sind alles sehr gute Noten!“ Er überlegte einen Moment: „Du musst was mit Elektronik machen. Der Elektronik gehört die Zukunft.“
Ich nickte zustimmend, brachte aber kein Wort heraus. Was hätte ich auch sagen sollen?
„Interessieren dich Computer?“
Endlich eine Frage, die ich klar mit Ja beantworten konnte.
„Optimal. Da hab ich was für dich.“ Er suchte in seinen Unterlagen und holte eine Broschüre hervor, in der er kurz las. „Interessierst du dich mehr fürs Grobe oder fürs Feine?“
Eine seltsame Frage, wie ich fand, die ich mit „fürs Grobe“ beantwortete.
„Alles klar, dann machst du Energieanlagenelektroniker.“
Der Beruf klang modern, auch wenn ich mir nichts darunter vorstellen konnte. „Und, was ist das?“
„Da arbeitest du nach der Ausbildung als hoch qualifizierte Fachkraft mit umfangreichem Wissen über die Wirkungsweise sowohl elektrischer Energieanlagen selbst als auch über Maschinen und Anlagen, die durch elektrische Motoren angetrieben werden.“ Nein, so erklärte er es nicht. Er sagte: „Da machst du was mit Computern und Elektrik.“
Er druckte mir drei Adressen aus, Firmen, bei denen ich mich bewerben sollte: Bosch, Siemens und die Deutsche Bundesbahn.
Meine Oma schien entzückt über den Vorschlag und sah mich bereits als Chef in einer Vorstandsetage. In ihren Augen war ich zu Höherem berufen. Schließlich würde ich nicht nur die Hauptschule erfolgreich abschließen, sondern eine richtige Ausbildung machen. Das hatte noch keiner aus ihrer Familie geschafft.
Mangels Alternativen – mir fiel wirklich nichts ein, was ich hätte lernen können oder mich interessiert hätte – schickte ich drei Bewerbungen raus, und wurde zweimal zum Eignungstest eingeladen. Mit den Fragen über Allgemeinwissen, Physik und Chemie kam ich noch klar. Bei den mathematischen Tests dagegen fühlte ich mich teilweise überfordert. Die Aufgaben schienen für Abiturienten gedacht. Es gab Begriffe, die kannte ich überhaupt nicht. Meine Chancen hätten sich womöglich in einem Vorstellungsgespräch erhöht, doch die Einstellung hing einzig und alleine von den Prüfungsergebnissen ab.
Bosch hatte sich überhaupt nicht mehr gemeldet, Siemens sagte mir ab, und von der Deutschen Bundesbahn rief mich jemand an: „Also Herr Götz, beim Test lief es ja nicht so super. Wir würden Ihnen daher gerne eine Ausbildung zum Industriemechaniker anbieten. Und wenn bei den Energieanlagenelektronikern keiner besser abschneidet, finden wir dort sicher noch eine Möglichkeit.“
Mir war es egal. Und als mich wenige Tage später ein weiterer Anruf erreichte, die Ausbildung zum Energieanlagenelektroniker würde jetzt doch klappen, konnte ich mich nicht so richtig freuen.
Am 1. September begann ich meine Ausbildung bei der Deutschen Bundesbahn. Meine Großmutter war begeistert und dachte bereits an das „Altersruhegeld“, das ich als verbeamteter Bahnmitarbeiter einmal erhalten würde. Nicht nur sie, meine gesamte Familie schien stolz auf mich. Ich wurde gefeiert, als hätte ich bereits eine beachtliche Karriere gemacht. Dabei war noch nicht einmal klar, ob ich den ersten Arbeitstag überleben würde. Wie sich schnell herausstellte, hatten alle anderen Auszubildenden Mittlere