Windmar. Ben Jansen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ben Jansen
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Sophie & Alexander
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783347125285
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Bald aber waren sie in das erste Haus in einem Dorf gezogen, und seitdem hatten sie fast immer auf dem Land gewohnt.

      Nur einmal wohnten sie zwischendurch für fast ein Jahr in einem Reihenhaus in einer kleinen Stadt. Die Gegend war ärmlich und heruntergekommen. An den Häusern war der Putz abgebröckelt, und manchmal regnete es durch das Dach. Alex hatte sich dort mit zwei Brüdern aus der gleichen Straße angefreundet, die etwas älter waren. Dauernd hatte er mit denen auf einem leeren, dreckigen Grundstück Fußball gespielt, und Sophie war allein geblieben.

      Das war kein schönes Jahr gewesen, weil sie sich oft gestritten hatten. Auch Alex wurde mit seinen Kameraden nie wirklich glücklich, und manchmal hatte er sich mit den Brüdern geprügelt. Irgendwann aber war die Familie mit den beiden Jungen wohl in Schwierigkeiten geraten. Eines Morgens hatte die Polizei den Vater abgeholt, und die Mutter zog mit ihren Söhnen woanders hin, ohne dass die Alex auch nur auf Wiedersehen gesagt hätten. Sehr bald darauf waren sie auch selbst wieder umgezogen.

      Für kurze Zeit lebten sie sogar in einer kleinen, windschiefen Kate unmittelbar an der Steilküste, ganz im Süden. Die Fenster gingen direkt zur See hinaus, und immer wehte ein starker Wind, der nach Meer und Salz roch. Das waren aufregende Wochen gewesen. In dem alten Haus gab es noch nicht einmal elektrisches Licht! Eine enge Holztreppe ging an der Klippe entlang nach unten bis an einen schmalen Kieselstrand, und es war dort, wo die beiden zu guten Schwimmern geworden waren. Nicht einmal in eine Schule mussten sie gehen, und Sophie durfte sich um eine Ziege im Garten kümmern. Margaret hatte die Kinder oft abends allein gelassen, weil sie in einer nahegelegenen Stadt zu tun hatte. Alex hatte stundenlang vor dem Kamin gelesen, und einmal war er dabei sogar auf dem Sofa eingeschlafen. Was hatte das für einen Ärger gegeben, als Margaret im frühen Morgengrauen nach Hause kam! Er erinnerte sich nicht gerne daran.

      Das letzte Dorf, in dem sie gelebt hatten, lag ganz oben im Norden. Dort gab es niedrige, graue Häuser, und die kargen Wiesen waren von alten, verwitterten Steinmauern umgeben. Auf den Wiesen standen kleine Rinder mit ganz langen, braunen Haaren. Der Winter war kalt, und es gab viel Schnee. Die Menschen sprachen einen harten und oftmals schwer verständlichen Dialekt. Wie hier hatten sie im Garten einen kleinen Schuppen gehabt, in dem manchmal eine alte dicke Katze schlief.

      Ansonsten aber war das neue Zuhause in Windmar ganz anders. Hier sahen die Häuser freundlicher aus, die Sonne stand höher und es war viel wärmer. Die Landschaft bestand aus sanft geschwungenen Hügeln und kleinen Wäldern. Es gab blühende Obstbäume, und die Wiesen hatten eine satte, dunkelgrüne Farbe. Selbst die Rinder waren größer, und hatten ein kurzes schwarzes Fell.

      Im Norden hatten sie ganzes Schuljahr gewohnt, und Margaret hatte angefangen, sehr viel Wert auf gute Noten zu legen. Laufend ließ sie sich die Hausaufgaben zeigen und verlangte, dass die Kinder zu den jeweils besten in ihrer Klasse gehörten – selbst wenn das lange Abende mit den Schulbüchern am Küchentisch bedeutete. Einmal hatte sie sogar die Schule von Sophie besucht, weil sie fand, dass das Mädchen eine ungerechte Note für die Hausarbeit erhalten hatte. Die Kinder hatten nie herausgefunden, was Margaret der Lehrerin gesagt hatte. Die aber hatte die Bewertung geändert, und war für den Rest des Schuljahres besonders nachsichtig mit Sophie gewesen.

      4 Tiger

      Margaret besaß ein Auto. Es war hellblau und hatte nur zwei Türen. Es war ein besonderer Wagen; er hatte runde Scheinwerfer, und der Kofferraum befand sich vorne – da, wo bei anderen Automobilen normalerweise die Motorhaube war. Hier aber saß der kleine Motor am Heck. Das Armaturenbrett bestand aus Holz und hatte nur die nötigsten Instrumente. Die Polster waren mit schwarzem Leder bezogen, und man konnte den Beifahrersitz nach vorne umlegen, um auf die sehr enge Rückbank zu klettern. Das Auto war alt, aber gut gepflegt. Und es funktionierte einwandfrei – sie waren damit auch von ihrem alten Haus nach Windmar gefahren. Die Fahrt hatte fast zehn Stunden gedauert.

      Neben der Bäckerei hatte Windmar einen kleinen Gemischtwarenladen mit Lebensmitteln und allerhand Haushaltsbedarf – betrieben von einer älteren, sehr dicken Dame, die die meiste Zeit auf einem Stuhl vor der Eingangstür saß, während sie auf Kunden wartete. Den wöchentlichen Einkauf aber erledigte Margaret in der nächsten Stadt. Dort gab es eine Art Einkaufsmarkt oder Kaufhaus mit billigeren Preisen, und neben Essen und Getränken konnte man dort auch Seife, Zahnpasta und Reinigungsmittel kaufen. Sogar Kleidung, Gartenbedarf und Küchengeräte hatte das Geschäft im Angebot.

      Es wurde zur Routine, dass das alte Auto jeden Mittwoch von der Plane befreit wurde. Margaret fuhr morgens früh los und kam nach zwei oder drei Stunden wieder zurück, den Kofferraum und manchmal auch die Rücksitze beladen mit Lebensmitteln und allem, was man bis zur nächsten Fahrt brauchen würde. Ansonsten aber stand der Wagen die meiste Zeit auf der rechten Seite des Hofes geparkt. Immer von einer alten Persenning bedeckt, die am Boden mit Steinen beschwert war, aber vollgetankt und in Fahrtrichtung die Straße hinunter.

      Die Einkaufsliste wurde am Dienstagabend geschrieben. Während Alexander und Sophie nach dem Abendessen den Abwasch erledigten, saß Margaret am Küchentisch. „Sophie – haben wir noch Seife“, wollte sie wissen. „Ja; einen ganzen Karton. Ich habe ihn unter der Treppe.“ Alex wollte einen Wunsch anmelden. „Ob der Markt wohl auch Limonade hat?“, meinte er. „Und es wäre schön, mal Kekse zu haben.“ Margaret wusste, dass die im Dorfladen ziemlich teuer waren. „Von mir aus“, sagte sie. „Ich schaue, was ich mitbringen kann.“ Für sich selbst schrieb sie eine Flasche Wein auf.

      An diesem Mittwoch gab es eine große Überraschung. Ohne besonderen Anlass nämlich bekam Sophie genau das Geschenk, das sie sich so lange schon sehnlichst zu jedem Geburtstag und Weihnachtsfest gewünscht hatte – ihre eigene Katze!

      Auf dem Rückweg vom Einkaufen hielt Margaret bei einem Bauernhof. Dort suchte sie eines der vier kleinen Kätzchen aus, die die Hofkatze kürzlich geworfen hatte. Es war ein kleiner Kater, grau-schwarz getigert. Er hatte einen weißen Bauch und weiße Pfoten, und seine Augen waren noch blau, wie bei allen ganz jungen Katzen.

      Margaret nahm sich Zeit, um das richtige Tier auszuwählen. Zusammen mit der Bäuerin stand sie in der warmen, halbdunklen Scheune und beobachtete die kleinen Kätzchen eine Weile. Der getigerte Kater schien sowohl schlauer, abenteuerlustiger und auch stärker als die anderen zu sein.

      Die Katzenmutter war auf einen Tisch gesprungen, und alle Katzenkinder versuchten, ihr hinterher zu klettern – der Tisch jedoch war zu hoch. Nachdem der Getigerte aber wie die anderen ein paar Mal vom Tischbein abgerutscht war, suchte er sich einen anderen Weg. Und während die Geschwister noch immer laut miauend auf dem gestampften Erdboden saßen, war er schon über einen umgedrehten Eimer und eine Kiste nach oben gesprungen. Von dort aus sah er Margaret stolz an.

      „Den da nehme ich, der passt zu uns“, entschied sie. Ohne Furcht ließ sich das Tier am Nacken hochheben, und krallte sich gleich in ihrem Kleid fest. „Ich suche mir immer die schlauesten aus“, sagte Margaret zu der Bäuerin und lächelte. „Wer mit mir lebt, muss stark sein und sich zu helfen wissen.“ Sie strich durch das Fell des Katers und sah ihn liebevoll an. Die Frau war froh, eines der Tiere losgeworden zu sein, und es war ihr egal, welches. Uber den Geldschein, den Margaret ihr gab, freute sie sich aber trotzdem.

      Im Einkaufsmarkt hatte Margaret bereits einen flachen, billigen Korb gekauft – und eine leichte, bunte Wolldecke, die eigentlich für ein Kinderbett gedacht war. Beides lag auf der Rückbank des Autos bereit, und sie setzte das Tier hinein. „Da bleibst Du, bis wir daheim sind. Dass du mir nicht im Auto herumkletterst, während ich fahre!“, befahl sie. Der Kater aber war sowieso zu klein, um das Fenster zu erreichen, und das Fahrtgeräusch ließ ihn schnell einschlafen.

      Zuhause trug sie den Korb in die Küche und rief nach den Kindern. Sophie konnte nicht an sich halten und weinte vor Freude, als sie den Korb mit dem Kater sah. Margaret wurde normalerweise böse, wenn sie das tat – sie mochte kein mädchenhaftes Getue, und war auch hart zu sich selbst. Heute aber war es ihr egal. Die Kinder konnten sehen, wie sehr sich Margaret selbst freute, dass sie nun ein Tier hatten. Sie kniete sogar neben Sophie auf den Boden. Gemeinsam kraulten sie den Kater und kicherten, wenn er sie in die Finger biss.

      „Wie heißt der Kater?“, fragte Sophie. „Das darfst du bestimmen“, sagte Margaret. Sophie überlegte und schaute