Zunächst können wir jedoch festhalten, dass die Idee der Wechselwirkung zwischen der menschlichen Einflussnahme und der Umwelt, die diese Anschlussfragen ermöglicht hat, überhaupt erst durch unsere Feststellung möglich wurde, dass der Mensch kein abgeschlossenes System ist. Aus diesem Grund sollten wir klären, ob der Mensch von seiner Umwelt auf eine Weise beeinflusst werden kann, aufgrund derer sich sein Handeln und seine Bedürfnisse hieran anpassen.
Freiheit und Autonomie
Bei der Vorstellung einer den Menschen beeinflussenden Umwelt wird man sich fragen, ob der Mensch nicht frei und autonom ist. Der Begriff Autonomie und die ihm entliehenen Begriffsverständnisse sind Ausdruck eines Selbstverständnisses, dem es in der Ermangelung einer abweichenden Perspektive unmöglich ist, eine Projektion auf etwas zu sein, das nicht seiner selbst dient. Das Selbstverständnis schafft es nicht, sich dem Zwang der Perspektive auf eine Art und Weise zu widersetzen, bei der die Ansicht der Welt weder Selbstsinn noch Selbstzweck hat. Die Wahrnehmung der Umwelt ist das Erleben unserer selbst in der Umwelt, nicht das Erleben der Umwelt.
Um aber das Verhältnis zwischen dem Menschen und seiner Umwelt darstellen zu können, müssen wir uns in unserer Denkweise von uns selbst lösen, wenn wir verhindern wollen, dass unsere Darstellung alleine der Selbstbezogenheit unserer Perspektive unterliegt. Diese Art der perspektivischen Selbstwahrnehmung in Form des Selbsterlebens beziehungsweise der Unmöglichkeit des Erlebens eines Selbst, das kein Ich ist, führte vom Fehlen einer von sich selbst losgelösten Art des Nachdenkens, hin zu einer sich selbst bestätigenden Annahme von Autonomie. Aus diesem Verständnis heraus kann es keinen Austausch und kein Bewusstsein für eine Welt geben, in der Kausalzusammenhänge als etwas erkannt werden könnten, das nicht unserer selbst wegen passiert.
Das Verständnis von Autonomie, die Art des Denkens, die Art der Vorstellung von uns selbst, die sich in dem Begriff Autonomie niedergeschlagen hat, versucht auszudrücken, dass der Mensch nicht durch seine Umwelt beeinflussbar ist, dass er frei von inneren und äußeren Zwängen ist. Möglicherweise halten wir dieses Verständnis von Autonomie aus unserer heutigen Sicht für aus der Zeit gefallen, als hätte sich der Begriff zu einer Zeit entwickelt, in der es den Menschen noch nicht möglich war, die Dinge um sie herum in einem von sich selbst losgelösten Prozess des Nachdenkens zu betrachten.
Tatsächlich können wir jedoch sehen, dass wir immer noch erhebliche Probleme damit haben, aus dem Begriff der Autonomie, seiner Entwicklung und seiner Widerlegung die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wir glauben sowohl an die Rationalität unserer Entscheidungen als auch an die Beeinflussung dieser Entscheidungen durch unsere Umwelt. Dieser Widerspruch lässt sich nur auflösen, indem wir an den ungetrübten Blick glauben, durch den wir eine wahre Erkenntnis über die innere und äußere Gestalt der Dinge erhalten. Eine rationale Entscheidung können wir nur unter der Prämisse treffen, dass die Dinge so sind, wie sie sich uns anzeigen.
Einerseits sind wir uns also darüber im Klaren, dass unsere Entscheidungen von unserer Umwelt beeinflusst werden, andererseits sind wir uns jedoch sicher, dass sich uns diese Beeinflussung als das anzeigt, was sie ist. Durch diesen Hütchenspielertrick bleibt uns ein Teil jenes überholten Verständnisses von Autonomie auch heute noch erhalten. Denn während sie uns glauben lässt, von uns entlarvt worden zu sein, liegt sie in Wirklichkeit weiter im Dunkeln.
Doch der Gedanke daran, dass wir von der Umwelt, die uns umgibt, auf eine Weise vereinnahmt werden, die uns bislang völlig unbemerkt blieb und uns zugleich wie fremdgesteuerte Wesen erscheinen lässt, ist nicht sonderlich schmeichelhaft. Das Selbstverständnis des Menschen würde sich als Lüge offenbaren, die unsere Existenz mit einem Handstreich überwinden und beiseite fegen kann. Auf diese Weise kollidiert der Begriff der Autonomie mit der Frage nach einer existenziellen Freiheit des Menschen.
Man könnte sagen, dass der Mensch bis zu seinem Tod nicht frei ist, da er von seiner Umwelt beeinflusst wird und sich diesem Einfluss nicht entziehen kann. Doch er kann seiner Umwelt entkommen, indem er das, was ihn von ihr abhängig macht, überschreitet. Er muss sich ihr selbst entziehen, um frei zu sein. Doch ist er frei, weil er über die Möglichkeit verfügt, sich ihr jederzeit entziehen zu können? Oder ist er erst frei, wenn er diese Möglichkeit verwirklicht?
In einer ganz ähnlichen Ausgangslage haben wir uns bereits bei dem Begriff der Autonomie befunden. Die absolute Vorstellung von Autonomie, bei der der Mensch durch nichts beeinflussbar ist, trifft hier auf eine absolute Vorstellung von Freiheit, bei der der Mensch erst frei ist, wenn er sich von allen weltlichen Dingen befreit hat. In beiden Fällen ist das jeweils absolute Begriffsverständnis unbrauchbar, weil es uns genau an den Stellen ein kompromissloses Ende bereitet, an denen wir voranschreiten wollen.
Immerhin scheint es augenscheinlich sinnlos, erst sterben zu müssen, um frei zu sein. Die absolute Vorstellung von Freiheit muss subjektiviert werden, um für uns einen Sinn ergeben zu können. Durch diese Subjektivierung des absoluten Begriffsverständnisses kommt der Betrachtungsweise unserer Freiheit eine andere Bedeutung zu: Der Maßstab, mit dem wir unser Verständnis von Freiheit betrachten, relativiert sich, indem er versucht, sich an einem Standard auszurichten. Dieser Standard macht die Tatsache, dass wir alle den Einflüssen unserer Umwelt ausgesetzt sind, zu einem Normativ dieser relativierten Freiheit.
Doch auch die Relativierung des absoluten Begriffsverständnisses führt uns, wie wir sehen werden, in eine Sackgasse. Denn wie sollen wir die Freiheit in einem Standard ausdrücken können, ohne dabei dem Problem ausgesetzt zu sein, eine Abgrenzung und Bewertung der Umstände vorzunehmen, die für oder gegen diesen Standard sprechen?
Die Betrachtungsweise unserer Begriffsdefinition über einen Standard ist daher zwangsläufig eine Pauschalierung von Gesellschaften. Jede Abweichung von der Norm, die wir auf einer Seite feststellen können, führt unweigerlich zur Setzung eines neuen Standards auf der anderen Seite.
Auf das Bewertungs- und Abgrenzungsproblem bei der Auslegung des mehrheitlichen Standards stoßen wir also nicht nur bei Individual- und Ausnahmeerscheinungen, sondern auch bei Gruppen, die zwar für sich genommen homogen sein mögen, bei einer Gegenüberstellung aufgrund ihrer abweichenden Standards jedoch nicht vergleichbar sind. Der mehrheitliche Standard, auf den man sich deswegen einigen kann, ist jener, der auf alle Menschen in Form von Grundbedürfnissen zutrifft.
Auch das Freiheitsempfinden des Einzelnen und die daraus abgeleitete Vorstellung der Art und Weise subjektiver Freiheit lässt sich, zumindest teilweise, in einem Standard ausdrücken. Wir selbst haben ein Gefühl und eine Vorstellung unserer eigenen subjektiven Freiheit. Eine Veränderung der gewohnten Freiheit wirkt sich auf diesen Standard und unsere Vorstellung von Freiheit aus.
Ein ähnliches Problem, wie es sich auch bereits bei dem absoluten Autonomiebegriff und der Relativität des mehrheitlichen Standards zeigte, finden wir auch innerhalb des Freiheitsempfindens des Einzelnen, denn dem Grunde nach haben wir nicht nur eine Vorstellung unserer eigenen Freiheit, sondern auch eine Vorstellung der Freiheit im Allgemeinen und der Freiheit eines jeden anderen (perspektivischer Überwurf). Wir können unsere eigene Freiheit betrachten und aus dieser Betrachtung heraus die Freiheit der anderen beurteilen, ohne dabei die Freiheit der anderen tatsächlich betrachten zu müssen. Auch können wir die Freiheit eines anderen betrachten und aus ihr Rückschlüsse für unsere eigene Freiheit ziehen.
Erinnern wir uns an die Redewendung Jeder ist seines Glückes Schmied. In unserem Fall steht diese Redewendung sinnbildlich für den perspektivischen Überwurf, denn eigentlich impliziert der Betrachter, dass die Probleme, die ein anderer hat, gelöst werden könnten, wenn dieser nur endlich richtig handeln würde. Diese Jeder-ist-seines-Glückes-Schmied-Mentalität ist eine Erscheinungsform des perspektivischen Überwurfs, bei der die Freiheit des Einzelnen und seine Ausgangslage bewusst ignoriert werden, weil sich nach eigenen Maßstäben bemessen gar kein Problem ergibt.
Wir sehen, dass sich hinsichtlich des Standards auch aus der Perspektive des Einzelnen