»Jöm-jöm!! Rösinen!«, hört Ole den Schneeti aus der Packung jubeln, die plötzlich gefährlich zu wackeln beginnt.
»Holy Moly!«, ruft Ole, springt auf, fängt die kippende Packung auf und versteckt sie mitsamt dem Schneeti im Kühlschrank. Oles Vater linst zu Ole herüber und Ole gibt sich alle Mühe, so zu tun, als wäre es das Normalste von der Welt, morgens wie ein Türsteher vorm Kühlschrank zu stehen.
»Ole, fehlt was? Dann nimm es dir und setz dich bitte wieder an den Tisch«, sagt Oles Vater und vertieft sich wieder in seine Zeitung. Da tönt plötzlich ein fröhliches Jauchzen aus dem Kühlschrank:
»Öh! Töll! Jöghurt! Jöm-jöm!«
Oles Vater horcht auf und schaut Ole über seiner Lesebrille mit einem Irgendwas-stimmt-hierdoch-nicht-Blick an.
»Äh, toll, Joghurt! Ich möchte Joghurt!«, ruft Ole und versucht, dabei so unschuldig dreinzublicken wie Samson, der Zwergdackel seiner ehemaligen Nachbarin Frau Wussel.
»Fein! Lang zu! Joghurt ist gesund«, sagt Oles Papa und erklärt: »Beim Wort Joghurt liegt die Betonung übrigens auf dem Selbstlaut O. JO-ghurt. Und jetzt du, Ole: JO-ghurt.«
»JO-ghurt«, spricht Ole seinem Vater nach.
Seit Oles Papa die Umschulung zum Logopäden macht, nimmt er es mit der deutlichen Aussprache sehr genau. Etwas zu genau für Oles Geschmack.
»Super!«, lobt Oles Vater. »Ich bin ja froh, dass du wieder ordentlich frühstückst. Seit dem Umzug hast du gegessen wie ein Spatz. Mama und ich, wir haben uns schon Sorgen gemacht.« Oles Papa setzt seine Brille ab und reibt sich über die müden Augen. »Wir müssen uns alle neu eingewöhnen. Die neue Schule … Mamas neuer Job … meine Umschulung …«, sagt Oles Vater und schenkt sich aus der Thermoskanne einen dampfenden Becher Kaffee ein. »Gibst du mir mal bitte die Milch aus dem Kühlschrank?«,
»Ähm«, antwortet Ole, denn er hält die Sache mit der Milch für keine gute Idee.
»Schnuffelsocke, träumst du? Die Milch bitte.«
Vorsichtig öffnet Ole die Kühlschranktür einen Spaltbreit und als das Kühlschranklicht angeht, glaubt er nicht, was er da sieht: Zwischen all den säuberlich ausgeschlabberten Joghurtbechern, den leeren Oliven-, Gurken- und Senfgläsern, den angeknabberten Möhren und der ausgetrunkenen Ketchupflasche sitzt der Schneeti im Käsefach und beißt in den höllisch stinkenden Stinkbombenkäse, den Oles Mama und Opa Ottokar so gerne essen.
»Harzer Röller!!! Jöm-jöm, willst du auch mal pröbieren?«, fragt der Schneeti mit vollen Backen.
Sprachlos schüttelt Ole den Kopf. Genüsslich schleckt sich der Schneeti zum Nachtisch einen Rest Mangojoghurt von den Pfotentatzen, als sich plötzlich seine kleinen Nasenlöcher weiten.
»Ka-Ka-Kaffeee!!!«, jauchzt der Schneeti und schnüffelt wie hypnotisiert Richtung Küchentisch. Und noch ehe Ole dem kleinen Vielfraß die Kühlschranktür vor der Schnüffelnase zuschlagen kann, ist der Schneeti schon mit einem dreifachen Salto über Oles Kopf hinweg auf den Frühstückstisch gehopst und trinkt den randvollen Kaffeebecher in einem Zug leer. Und dann passiert alles rasend schnell: Der Schneeti rollt mit den Augen, plustert sich auf und zischt wie ein schneeweißer Blitz durch die Küche. So schnell, dass Ole ihn kaum sehen kann. Der Schneeti hopst vom Tisch auf den Küchenschrank, vom Küchenschrank auf den Kühlschrank, vom Kühlschrank aufs Gewürzregal, vom Gewürzregal in die Petersilie, von der Petersilie in den Ofenhandschuh, vom Ofenhandschuh auf die Thermoskanne, hoch auf die Küchenlampe, runter in Oles Pulloverkragen.
»Aufhören! Das kitzelt!«, kreischt Ole, als der kaltwarme Schneeti unter seinem Pullover vom linken zum rechten und vom rechten zum linken Ärmelbündchen saust wie ein Meerschweinchen mit Raketenantrieb. Ole schüttelt sich vor Lachen. Da haut sein Vater, der sich bei dem Radau überhaupt nicht mehr konzentrieren kann, mit der Zeitung auf den Tisch. »Ole, hast du einen Clown gefrühstückt oder was ist heute mit dir los?«
»Los? Genau … Du sagst es, Papa! Haha! Ich … ich muss jetzt ganz schnell lo-hos!« Ole schnappt sich seine Brotbox und die Kühltasche mit der Kanada-Flagge und läuft kichernd aus der Küche.
»Ole! Hast du meinen Kaffee getrunken?
Kein Wunder, dass du so aufgekratzt bist! Kaffee ist nichts für Kinder!«, hört Ole seinen Vater schimpfen, als er im Rekordtempo in seine riesige Opa-Strickjacke schlüpft. Mit offenen Schnürsenkeln und einem aufgekratzten, kitzelnden Schneewesen unterm Pullover, verlässt er schnell die Wohnung, bevor sein Vater auch noch das Chaos im Kühlschrank entdeckt.
Im Unterricht blättert Ole heimlich im Schülerlexikon. Er findet »Schnee«, »Schneemensch«, »Schneetiger«, aber nichts über den Schneeti.
»Eine unbekannte Spezies«, murmelt Ole nachdenklich vor sich hin, da hört er unter seiner Bank ein verdächtig lautes Schmatzen. Unauffällig linst er in die Kühltasche, in der es sich der Schneeti gemütlich gemacht hat, und glaubt nicht, was er da sieht. Der Schneeti hat sich nicht nur Oles Banane und sein Marmeladenbrot, sondern auch die Pausenbrote der ganzen Klasse gemopst!
»Nicht so laut«, zischt Ole in die Kühltasche, als plötzlich seine neue Klassenlehrerin Frau Lümmerling hinter ihm steht.
»Wer hat dir denn so eine schöne Jacke gestrickt? Mit Schneekristallen und Rentieren! Toll! Deine Oma?«
Ole schüttelt den Kopf. »Mein Opa!«
»Dein Opa? Oha!«, sagt Frau Lümmerling erstaunt und schlägt vor: »Vielleicht kann dein Opa ja mal in unseren Textilunterricht kommen und uns ein paar Tricks beibringen. Das wäre doch toll! Siehst du deinen Opa an Weihnachten?«
»Mein Opa wohnt in Kanada«, antwortet Ole.
Frau Lümmerling schwärmt: »Kanada! Da muss es wunderschön sein!« Sie lächelt. »Jedes Jahr vor den Weihnachtsferien führen wir hier in der Gebrüder-Grimm-Schule vor den Eltern ein Weihnachtsmärchen auf. Dieses Jahr ›Frau Holle‹. Du hast dich noch gar nicht gemeldet, in welcher Gruppe du mitmachen willst.«
Ole ist zwar felsenfest davon überzeugt, dass er bald nicht mehr in Frau Lümmerlings Klasse gehen wird, aber eine Antwort muss er ja trotzdem geben.
»Gibt’s was mit Basteln?«, fragt er und Frau Lümmerling nickt.
»Ja allerdings. Wir haben die Gruppe Bühne und Kostüm. Ich trage dich ein!«
Oles Tischnachbarin Rafif strahlt bis über beide Zahnlücken: »Dann sind wir ja zusammen in einer Gruppe!«
Da hört Ole Rocco hinter seinem Rücken grölen: »War ja klar, der Spinner und die Streberin Rafiffikus basteln die Kostüme. Passt auf, Leute, nachher strickt auch noch der Opa mit und die Kostüme sehen so uncool und opamäßig aus wie Oles olle Jacke – na dann, gute Nacht!«
Da reißt dem Schneeti der Geduldsfaden und plötzlich landet – platsch – ein riesiger Schneeball mitten auf Roccos Kopf. Rocco verschlägt es die Sprache und die ganze Klasse kriegt vor Staunen den Mund nicht mehr zu. Nur Ole muss grinsen. Besonders als er den kleinen Schneeti aus der Kühltasche singen hört: »Öléölé-ölé-ölé, hier kömmt der Schneeti-Schnee, ölé!«
Rafif staunt. »Das war cool! Supercool!«