Wenn Steine sprechen - neu denken, frisch wahrnehmen. Gerd Köhler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerd Köhler
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783347049956
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erstreckt sich der weite Strand, auf dem ich gehe, ein wirklich großes Universum. Dieses subjektiv erlebte Universum ist wundervoll und einzigartig, und es umfasst weit mehr als nur meine Wahrnehmungen. In diesem erlebten Universum gibt es neben meiner wahrgenommenen Welt auch noch die Welt meiner Gedanken, Gefühle und Träume. In Träumen kann ich auch am Meer spazieren gehen, Mond und Sterne über mir, der Deich links von mir, das Meer rechts und der weite Strand vor und hinter mir. Und auch hier, im Traum, fühle ich mich im Mittelpunkt meines erlebten Universums.

      Wenn ich jetzt sagen würde: Ich bin der Mittelpunkt des Universums, dann könnten Sie sicherlich denken: Es geht doch nichts über einen gepflegten Größenwahn. Aber hier bezieht sich der Begriff Mittelpunkt nicht auf die Frage, ob ich bedeutend und wichtig bin, sondern einfach darauf, dass ich meine Welt um mich herum ganz persönlich erlebe. Mein erlebtes Universum aus Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühlen und Träumen ist einfach da, es ist ungeheuer vielfältig und unermesslich reich. Wie groß dieser Reichtum wirklich ist, wird schnell klar, wenn ich mir vorstelle, was ich alles nicht hätte, wenn ich z.B. blind wäre. Aber selbst dann würde mein erlebtes Universum immer noch vor Reichtum überquellen. Dieser Reichtum steht mir immer und überall zur Verfügung, ich muss nur wirklich hinschauen, anfangen, mich wirklich für mein wahrgenommenes Universum zu interessieren. Wahrnehmen bedeutet wahr-nehmen und so denke ich, dass es im wahr-nehmen auch Wahrheiten zu finden gibt. Ich werde also in den folgenden Kapiteln genauer in meine Wahrnehmungen schauen und versuchen, die offensichtlichen und die verborgenen Wahrheiten zu finden.

      4

      Ich sehe was, was du nicht siehst

      Wie beim Hören braucht es auch bei den anderen Wahrnehmungen bestimmte Bedingungen. Beim Sehen brauche ich z.B. Licht, meine Augen müssen in Ordnung sein und die Sehnerven müssen die Signale in die richtigen Hirnareale weiterleiten. Ähnlich wie beim Hören muss also auch beim Sehen eine Vielzahl von Bedingungen zusammentreffen, damit ich etwas sehe. Nicht zuletzt muss ich zum Sehen die Augen aufmachen. Dann kann ich z.B. meinen Freund sehen, der mir am Tisch gegenüber sitzt. Wenn ich dann meinen Blick ein wenig entspanne, sehe ich aber nicht nur meinen Freund, sondern gleichzeitig mit meinem Freund auch den Tisch, an dem wir sitzen und die Gläser auf dem Tisch. Ich sehe die Wand des Wohnzimmers hinter meinem Freund und das Bild an der Wand, das vom Kopf meines Freundes halb verdeckt ist. Wenn ich jetzt meinen Freund bitten würde zu sagen, was er sieht, dann könnte er vielleicht sagen: Ich sehe dich vor mir sitzen, den Tisch mit den Gläsern und hinter dir die Wand des Zimmers. Das hört sich so ähnlich an wie meine Darstellung, ist aber in wichtigen Punkten doch anders. Ich sehe meinen Freund vor mir sitzen, sehe sein Gesicht. Er sieht sein Gesicht nicht, aber dafür meines und die Wand hinter mir, die ich nicht sehe. Wir sind zwar im selben Raum, aber jeder sieht eine andere Welt. Ich kann sogar noch weiter gehen und sagen, dass ich der Einzige bin, der jetzt dieses Panorama so sieht. Niemand im ganzen Universum sieht es so, wie ich es gerade sehe. Und das trifft nicht nur auf diese Situation zu. Alles was ich sehe, ist in dieser Form nur für mich zu sehen, exklusiv nur für mich, also ganz einzigartig. Ich sehe was, was du nicht siehst... haben wir als Kinder gern gespielt. Und diese Aussage stimmt tatsächlich. Niemand kann genau das sehen, was ein anderer gerade sieht.

      Und dann gibt es da noch eine Tatsache, über die wir uns häufig nicht im Klaren sind. Wenn ich z.B. sage, dass ich gerade meinen Freund sehe, dann ist das nur die halbe Wahrheit. Wie ich eben schon erwähnt habe, sehe ich zusammen mit meinem Freund auch die Wand und das halb verdeckte Bild an der Wand, den Stuhl, auf dem er sitzt. Ich kann meinen Freund gar nicht ohne die Wand und ohne den Stuhl sehen. Und wenn ich dann meinen Blick ein wenig weiter wandern lasse, dann kann ich feststellen, dass kein Ding in meiner Welt allein zu sehen ist. Wenn ich den Stuhl anschaue, auf dem mein Freund sitzt, dann sehe ich gleichzeitig auch den Teppich, auf dem der Stuhl steht. Ich kann das Gesicht meines Freundes nicht sehen, ohne auch seinen Hals zu sehen, seine Hand nicht ohne seinen Arm. In meiner gesehenen Welt hängt alles mit allem zusammen. Ich kann nicht ein einziges Teil meiner gesehenen Welt allein sehen. Und wenn ich nun die Augen schließe, ist diese ganze gesehene Welt verschwunden. Und wenn ich dann die Augen wieder öffne, ist sie auf einen Schlag wieder da. Die Welt ist sozusagen gerade in diesem Augenblick in meiner Wahrnehmung frisch aufgetaucht. Ist das nicht phantastisch? Und ich habe mich dafür nicht einmal anstrengen müssen. Ich muss nur die Augen öffnen und diese ganze farbenprächtige Welt springt heraus wie das Kaninchen aus dem Hut des Magiers.

      5

      Die Achterbahn

      Wenn ich die Welt mit Menschen, Häusern, Autos, und Bäumen sehe, müssen viele Bedingungen erfüllt sein. Sind alle Voraussetzungen erfüllt, erlebe ich meine farbenprächtige Welt. Wenn ich z.B. mein Fahrrad anschaue, das ich gerade vor dem Supermarkt abgestellt habe, dann besteht für mich kein Zweifel, dass es jetzt da steht. Ich bin ja gerade damit hierher geradelt. Dass mein Fahrrad mit solidem Rahmen aus Aluminium, Rädern, Sattel und Lenker dort jetzt vor dem Supermarkt steht, ist eine notwendige Bedingung, dass ich es jetzt sehen kann.

      Wenn ich aber nun ein Foto von meinem Fahrrad mache, und dieses Foto zu Hause auf meinem Laptop anschaue, sehe ich auch mein Fahrrad. Aber diesmal brauche ich kein Fahrrad mit einem soliden Alurahmen als Bedingung, um es zu sehen, es reichen eine Menge verschiedenfarbiger Leuchtpunkte auf dem Bildschirm meines Laptops.

      Wenn ich nun am Abend ins Bett gehe und im Traum auch wieder mein Fahrrad sehe, brauche ich weder das solide Fahrrad noch die vielen Leuchtpunkte auf dem Bildschirm. Trotzdem erscheint das Bild von meinem Fahrrad in meinem Traum. Es entsteht ohne eine materielle Grundlage, und mein Bild vom Fahrrad ist natürlich ebenfalls nicht materiell. Aber ich sehe es, oder besser gesagt: ich erlebe, dass ich es sehe. In meinem Traum ist das Fahrrad Teil einer Welt mit Straße, Autos und Menschen. Ich kann diese Welt im Traum genauso klar und lebendig erleben wie im wirklichen Leben.

      Ich erlebe in diesen drei Beispielen also jedes Mal eine Bilderwelt mit meinem Fahrrad und der Umgebung dazu. Obwohl die Bedingungen für jede der drei gesehenen Welten sehr verschieden sind, ist das Resultat in allen drei Fällen ziemlich gleich. Ich weiß nicht, wie es entsteht, aber ich weiß, dass es entsteht. Ich erlebe es. Das Bild ist ja in allen drei Fällen da. Es ist eine Bilderwelt, die entsteht und vergeht und auch ohne die sogenannte solide Welt da draußen sehr lebhaft und lebendig sein kann, wie z.B. im Traum. Es gibt natürlich neben den Gemeinsamkeiten der drei gesehenen Welten auch Unterschiede. So kann ich z.B. mit dem Fahrrad auf dem Bildschirm nicht zum Supermarkt fahren, während ich mit meinem Fahrrad im Traum eine wunderbare Radtour machen könnte. Ich könnte mich sogar auf meinem Traumfahrrad in die Lüfte erheben und hoch über Wiesen und Felder dahin radeln.

      Früher gab es auf dem Dom, dem großen Jahrmarkt in Hamburg, dieses halbkugelförmige 3D-Kino, in dem mit mehreren Projektoren Kurzfilme auf eine gebogene Leinwand projiziert wurden: Flüge mit dem Hubschrauber durch den Grand Canyon oder Fahrten mit der höchsten Achterbahn der Welt. Ich bin da immer gern reingegangen.

      Ich stehe in der Mitte des kuppelförmigen Zeltes und schaue auf die halbkugelförmige Leinwand vor mir. Wenn der Wagen der Achterbahn dann langsam hochgezogen wird, sitze ich bereits schon drin. Die Spannung in mir steigt. Am höchsten Punkt angekommen, schaue ich in den Abgrund und schaudere. Und dann geht es beinahe im freien Fall in die Tiefe. Ich höre das Kreischen der Menschen und mein Magen rebelliert. Alles wie in der richtigen Achterbahn. Wenn es mir zu viel wird, schließe ich für einen Moment die Augen, und schlagartig ist auch das flaue Gefühl im Magen weg. Dann öffne ich die Augen und bin schon wieder in der Achterbahn. Wenn ich jetzt während der Fahrt auf die Leute neben mir im Kinozelt schaue, dann sehe ich auch etwas Interessantes. Die Zuschauermenge wogt wie die Ähren eines Kornfeldes im Wind, mal alle nach rechts und mal alle nach links. Ihre Körper folgen jeder Kurve, die die Achterbahn macht.

      Die Erfahrung im 3D-Kino oder das Erleben in meinen Träumen zeigt mir, dass ich Bilderwelten und Gefühlswelten lebendig und stark erleben kann, auch wenn keine solide Welt als Grundlage vorliegt. Dieses Erleben fühlt sich für mich dennoch wahr an. Ich habe unbestreitbar im 3D-Kino dieses flaue Gefühl im Magen. Was mich bei solchen Erlebnissen wirklich fasziniert ist, dass ich unter Mithilfe von ein paar Lichtpunkten auf einer Leinwand eine so lebendige Bilder- und Gefühlswelt erleben kann, die sogar meinen Magen zum Mitmachen zwingt. Gleichermaßen faszinierend ist es auch, dass ich intensive Bilder-