Zweieinhalb. Berth Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Berth Mann
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Trilogie : Zweieinhalb
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347123601
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Schlangestehen vor den Amtsstuben der verschiedenen Behörden. Robert war das zwar aus dem Ostland her gewohnt.Besser wurde es dadurch aber auch nicht. So stellte er also keine Fragen. Sondern er stellte sich einfach wie alle anderen brav in den Reihen an, damit er seine Stempel auf dem Laufzettel bekam. Diesen Laufzettel hatte er gleich im Lager bekommen und es waren darauf eine Vielzahl von Behörden aufgeführt bei denen er vorstellig werden musste.

      Um sein Identifikationspapier in einen gültigen Personalausweis der Bundesrepublik Deutschland zu verwandeln war diese Prozedur nicht zu umgehen. In den langen Schlangen standen aber nicht nur die Ausgereisten aus den Ostland, sondern auch eine ganze Menge Leute die aus Polen oder der Sowjetunion stammten. Sie waren nach dem Grundgesetz auch Deutsche und wollten nun genau wie Robert ihr neues Leben im Westland beginnen.

      Für ihn war es aber dann doch recht verwunderlich, als er das große Sprachgewirr aus den verschiedenen slawischen Sprachen hörte und er sich mehr auf einem Basar oder Wochenmarkt wähnte, als in einem deutschen Aufnahmelager. Nun, in der neuen Welt musste er sich sowieso an so viele neue Dinge gewöhnen. Da war diese Tatsache auch nur ein ganz kleiner Teil davon.

      Die Beamten in den Amtsstuben waren wegen ihrer vielen Arbeit auch wirklich nicht zu beneiden. So fleißig sie sich bemühten der Sache Herr zu werden, so wenig Zweck hatte es am Ende doch, denn die Warteschlangen wurden einfach nicht kürzer.

      Es kamen immer wieder neue Leute dazu und es schien fast so, als ob die ganze Welt sich hier versammelt hätte, um ein gültiges Personaldokument der Bundesrepublik zu erhalten. Die Beamten waren auch wirklich fleißig und arbeitetet fast ohne Pause. Aber mit der übergroßen Zahl der Wartenden waren sie dann doch deutlich überfordert. Bei Manchen spürte man diese Belastung dann schon. Sie waren wenig freundlich und erledigten ihre Arbeit nur recht mürrisch und schlechtgelaunt. Nur ganz selten erlebte Robert dann einmal Einen, der ihn anlächelte und nett zu ihm war, wirklich nur ganz selten. Es gab ja auch so viele Anlaufstellen in diesem Lager, wo man sich immer wieder neu anstellen musste, um wieder einen Stempel auf dem Laufzettel zu bekommen, dessen Sinn man eigentlich gar nicht verstand. Da gab es einen Stempel, den man unbedingt benötigte um den nächsten zu bekommen. Eben deutsche Vorschriften und brachiales Beamtentum.

      So waren die Neubürger also jetzt angekommen in der Welt der deutschen Verordnungen, Paragrafen und gesetzlichen Bestimmungen. Preußens Gloria lässt grüßen !

      So vergingen die Tage mit Warten und Anstehen und erst ganz langsam kamen sie ihrem Ziel etwas näher. Einen deutschen Personalausweis mussten sie unbedingt haben. Sonst ging überall ja gar nichts weiter voran und sie blieben so nur weiter eine Nummer im Kataster des Lagers. Deshalb ertrugen sie ihre Last besser mit Geduld und Humor. Das machte die Situation etwas leichter und sie kamen einfach besser damit zurecht.

      Nur nicht schon wieder ärgern müssen! In der neuen Welt sollte doch alles besser sein, da konnten sie gar keinen Ärger gebrauchen. Immer positiv denken und handeln, das haben sie schon gleich am Anfang ihres neuen Weges gelernt, immer positiv.

      Eine ganz wichtige Erfahrung machte die Leute aus dem Ostland in den ersten Tagen aber doch. Wer hier gut organisiert war, der kam schneller voran und verringerte seine Wartezeit deutlich. Wer dazu noch Beziehungen in die Amtsstuben hatte, der war dann sogar noch besser dran und bekam seine Dokumente viel eher als die anderen. Manchmal kam es schon vor das einer aus der Reihe der Wartenden herausgerufen wurde, obwohl er noch gar nicht an der Reihe war. Das rief zwar den Unmut der anderen Wartenden hervor, aber diese Leute machten sich nichts daraus und gingen einfach frech nach vorn.

      So eine Situation kam Robert sehr bekannt vor und er erinnerte sich wieder an sein Roller Rennen. Damals war es auch so gewesen, als der Start dann begann und sich einige vordrängelten, um einen besseren Chance auf den Sieg zu haben. Anscheinend ist das immer so im ganzen Leben; es wird immer wieder Vor Drängler geben, die keine Rücksicht auf andere nehmen und nur sich selbst sehen, reine Egoisten und Ich-Menschen. Die gibt es leider wirklich immer wieder und auch hier traf Robert auf solche Typen. Bei manchen klappten ihre Tricks aber auch nicht und die Wartenden waren empört wegen ihrer Vordrängelei. Die durften sich dann wieder in der Reihe anstellen. Aber diesmal ganz hinten, so wie sie es brauchten.

      Viele aus den Großfamilien die aus Polen oder der Sowjetunion stammten machten das schon geschickter. Sie stellten einen ihrer Angehörigen in die eine Wartereihe, einen anderen Bruder in die nächste Reihe und immer so weiter. Wenn sie dann den einen Stempel hatten, gesellten sie sich keck zu ihren anderen Angehörigen in der nächsten Reihe, diese Methode funktionierte wunderbar. Damit kamen sie wirklich viel schneller voran und ihre Laufzettel war bald voller Stempel, wobei die Anderen das Nachsehen hatten. Mehr als arbeiten konnten die Beamten ja nicht und eine Mittagspause stand ihnen doch zu, manchmal auch eine Raucherpause, aber natürlich. In einer Amtsstube bekamen Robert und Anita sogar etwas Geld für die ersten Tage. Die Friedland-Hilfe gab auch auch noch eine Unterstützung mit dazu. Dafür waren die Neubürger schon dankbar, denn es waren Geschenke für die sie nichts tun mussten. Es war eine großzügige Geste des neuen Landes. Damit sie es schaffen konnten ihr Leben von nun an neu zu gestalten, eine erste kleine Starthilfe. Robert und Anita sind auch sehr sorgsam mit diesem Geld umgegangen und manchmal trauten sie sich gar nicht es auszugeben. An so manchem Kiosk ist Robert vorbeigegangen, ohne ein Bockwurst zu essen, was er eigentlich vorhatte. Die 1,50 DM waren ihm dafür viel zu teuer, denn er rechnete wohl automatisch noch den Wechselkurs in seinem Kopf um. Das wären dann mindestens 7,50 Mark gewesen, viel zu teuer für eine einzige Bockwurst. Gerne wollte er sich aber auch einmal eine bunte Zeitschrift kaufen, oder sogar einen Playboy vielleicht. Nur diese Preise wollte er dafür nicht bezahlen. So blieb er also besser sparsam und hielt sein Geld zusammen, was ja auch nicht unbedingt falsch war. Sie würden es Beide schon noch brauchen können, das war ja gar keine Frage. Mit der Zeit befanden sich auch fast alle notwendigen Stempel auf ihren Laufzetteln und eines war inzwischen auch klar geworden: hier in Berlin durften sie ihren Wohnsitz nicht nehmen, das war nur Ostberlinern gestattet. Also würde ihre Reise nun weitergehen, aber wohin?

      Bevor es mit ihrer Weiterreise aber soweit war blieben noch ein paar Tage Zeit, um sich die schöne Stadt Berlin einmal näher anzuschauen. Nachdem sie auch noch weiter im Aufnahmelager einige Angelegenheiten geklärt hatten, wollten sie die Gelegenheit dazu nutzen einmal ins Zentrum zu fahren, um sich die Sehenswürdigkeiten anzuschauen. Nun mussten sie dazu aber eine andere Route wählen, denn um dorthin zu gelangen gab es verschiedene Möglichkeiten. Warum auch immer, Robert wählte die Fahrt mit der U-Bahn. Dabei hatten sie wohl nicht richtig überlegt und nicht ganz genau auf den Streckenverkauf geachtet. Erst als ihre Fahrt nach einiger Zeit durch menschenleere Stationen ging, fiel ihm auf das hier etwas nicht ganz stimmen konnte. Wo waren sie nur? Das diese Stationen so nicht von den Fahrgästen benutzt wurden, konnte nur damit zusammenhänge, dass hier gar keine Zusteige-Möglichkeiten waren, es sich also um Grenzgebiet handeln musste. Einige U- und S-Bahnstrecken waren ja nach dem Mauerbau 1961 ganz eingestellt worden und andere verliefen eben unterirdisch durch Ostgebiet, wo es dann logischerweise keine Eingänge für Fahrgäste aus dem Ostland geben konnte. Das gesamte Streckennetz gehörte ja der Deutschen Reichsbahn und damit eigentlich zum Osten der Stadt.

      Wenn das mal gut gehen würde Robert? Was hast du dir dabei nur gedacht? Anscheinend nicht sehr viel, denn sonst wäre er doch eine andere Stecke gefahren die viel unspektakulärer gewesen wäre. Zu ihrem ganz großen Schreck fuhren Robert und Anita aber nicht nur durch das Ostgebiet durch, sie kamen sogar wieder dort an. Genau am Bahnhof Friedrichstraße endete ihre Strecke und sie mussten dann wieder in die S-Bahn umsteigen, wenn sie die Fahrt ins Zentrum von West-Berlin fortsetzen wollten. Oh Schreck! Nun waren sie also scheinbar wieder im Osten, was ihnen gar nicht gefallen wollte. Überall sahen sie die Grenzsoldaten, welche die Gleisanlagen genau inspizierten von ihren Beobachtungsplätzen. Überall war Stacheldraht an den neuralgischen Punkten angebracht.Damit ja keiner aus dem Ostteil in dieses Gebiet kommen konnte.

      Wirklich keine schönen Gegend hier. Auf den Emporen waren Scheinwerfer angebracht die bei Dunkelheit das Gelände ausleuchten konnten, damit auch nicht einmal eine Maus hier durchkam. Eine wirklich gespenstische Kulisse. Ein von Stacheldraht umrandeter Wahnsinn, der damals aber leider noch real war und nun auch für Anita und Robert keine Fata Morgana sein konnte. Die Beiden standen zwar bei ihrem Bundesaufnahmeverfahren fast kurz vor ihrem Ziel, aber einen gültigen Personalausweis der