Könnte schreien. Carola Clever. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carola Clever
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347059184
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für ihre Anwesenheit, genoss ihre Abhängigkeit. Wie schön es doch war, gebraucht zu werden! Sonnenschein schlief entspannt in ihrem Bettchen, der Babysitter auf der Matratze davor. Ich erkannte Monika, die sechzehnjährige Nachbarin, schlich mich zur Couch, lud meine Vierbeiner ein, legte sie vor meinen Bauch und schlief erschöpft ein.

      Noch war es draußen leicht gräulich. Das Licht wechselte. Der Tag drängelte sich vor, schickte als Vorboten sein grelles Licht. Ich bewegte mich nicht, denn die Vierbeiner schliefen noch. Ich überlegte: Wieso ging ein Tag, das Leben weiter, als wenn nichts gewesen wäre. Alles lief weiter wie gehabt. Die Erde drehte sich. Die Nacht wurde vom Tag abgelöst. So wie jeden Tag standen Menschen auf und gingen zur Arbeit. Keiner wusste, wie ich mich fühlte. Kein Hahn krähte danach, wer wie wann fühlte.

      Ich lag auf der Couch mit dem schalen Gefühl, dass ich seit gestern betäubt war und heute mit dem Wachzustand zu kämpfen hatte. Ich nahm das Telefon vom Beistelltisch, stellte es seitlich auf die Armlehne, wählte ihre Nummer. Ella meldete sich.

      „Ella Behrmann“, kam es bedrückt.

      „Hallo Ella, ich bin es. Mein herzliches Beileid.“ Schon schluchzte ich. Meine Worte verzehrten die Vokale.

      „Danke! Wo bist du?“

      „In Toronto!“

      „Du bist nicht zur Beerdigung deiner Großeltern gekommen!“, klagten ihre Worte vorwurfsvoll.

      „Ich weiß“, antwortete meine Trauer.

      „Du weißt? Ist das alles, was du dazu sagen kannst? Seit Tagen haben wir uns die Finger blutig gewählt. Tag und Nacht. Du warst wie vom Erdboden verschwunden! Wo warst du? Ich brauche dich. Jetzt! Hier!“

      Ich weinte bitterlich, denn ich fühlte mich schuldig. Ella weinte mit.

      „Wann kommst du?“, fragte sie erschöpft.

      „Keine Ahnung, kann hier nicht weg.“

      „Wie? Du kannst nicht kommen?“, kreischte sie in den Hörer.

      „Mein über alles geliebter Sohn, dein Bruder ist tot. Meine geliebten Eltern, deine Großeltern sind tot und du kannst nicht kommen? Das höre ich doch wohl nicht, oder?“

      „Ich weiß, Ella. Wünschte mir nichts lieber, als zu kommen. Sitze fest. Keiner meiner Freunde, die ich um Hilfe bitten könnte, ist da. Alle sind unterwegs. Ich mache derzeit Babysitter bei meinen Freunden, passe im Gemüseladen auf. Mrs. Clark ist vor Kurzem verstorben. Ich habe eine Katze und seit vier Wochen auch einen Hund“, flehte ich kläglich um Verständnis. „Weil ich nicht zu Hause war, habe ich die Nachricht auch erst gestern erhalten. Ich brauche Zeit, um meine Abwesenheit zu organisieren, bin genauso frustriert und traurig wie du. Was soll ich deiner Meinung nach machen?“

      „Vergiss es!“ Ella legte den Hörer auf.

      Ich starrte den Hörer erstaunt und vorwurfsvoll an. Hatte Ella aufgelegt oder war die Verbindung unterbrochen worden? Ich wählte noch mal.

      „Martin Behrmann“, ertönte eine tiefe Stimme.

      „Hallo Martin! Ich bin es, Hummel.“

      „Wir haben dir ein Telegramm geschickt“, drohte auch seine Stimme.

      „Ich weiß, habe es gestern gelesen.“

      „Wieso gestern erst? Gestern war die Beerdigung. Wir haben auf dich gewartet, auf dein Kommen gezählt. Du hast uns bitterlich enttäuscht“, peitschten seine Worte vorwurfsvoll auf mich nieder.

      „Das tut mir wirklich leid. Das war doch keine Absicht“, baten meine Worte um Verständnis. „Wenn ich es vorher gelesen hätte, wäre ich doch gekommen!“

      „Das brauchst du jetzt auch nicht mehr.“

      „Wieso hat sich Alex das Leben genommen? Als er hier wegflog, machte er mir einen glücklichen Eindruck!“

      „Nun, der täuschte. Wahrscheinlich war es eher ein Abschiedsbesuch.“ Stille. „Stell dir vor, er hat sich in unserem Keller mit der Bügelschnur erhängt! Wie konnte er uns das nur antun?“

      „Was? Erhängt?“ Ich ließ meinen Tränen freien Lauf. „Was hast du ihm angetan, dass er diesen Stritt gewählt hat?“

      „Ich?“, kreischte Martin wütend in den Hörer. „Wieso ich? Ich habe ihn nicht aufgehängt!“

      Ich sprang auf. Wie ein Panther ging ich im Zimmer auf und ab. „Kein Mensch hängt sich einfach so auf, weil sein Leben schön ist, er glücklich und zufrieden ist. Er fühlte sich bestimmt mit seinen Problemen alleingelassen. Fühlte sich nicht wertgeschätzt, ignoriert, belächelt. So wie es schon immer war.“

      „Was hat das mit mir zu tun? Wir alle haben Sorgen und Probleme, müssen doch alle sehen, dass der Rubel rollt. Das Leben ist teuer und der Monat geht schnell vorbei. Das hätte er bedenken sollen, als er sich von seiner Frau und seinen Kindern getrennt hat, als er gleich im Bett bei der Nächsten aufgewacht ist. Scheidungen kosten nun mal Geld. Wer bekommt schon alle Erwartungen im Leben erfüllt? Das Leben ist doch kein Wunschkonzert … oder eine Pralinenschachtel! So spielt das Leben. Hummel!“

      Ich hasste Hummel. Es hatte sich ausgehummelt.

      „Bei dir ist alles reduziert auf Geld und Verstand. Es gibt noch mehr als das“, blökte ich zurück. „Du hättest Alexander aushelfen können, bis er sich gefangen hätte. Er ist euer Sohn! Was macht dich eigentlich so heilig? Hast du noch nie Fehler gemacht? Du willst doch wohl nicht behaupten, dass du ein tolles Vorbild als Mann oder Vater für ihn warst, oder?“ Ich ließ ihn nicht zu Wort kommen, holte noch weiter aus. „Deine Prügel-Attacken waren doch legendär. Deine Aggression basierte auf deinem eigenen Konstrukt aus Defiziten. Beim Fremdgehen, Lügen, Betrügen warst du doch der Weltmeister. Wieso wirfst du hier den ersten Stein?“, schrie ich laut in die Muschel. „Bist zu unfehlbar?“

      „Willst du mir Vorwürfe oder gar Vorschriften machen? Kümmer dich um deine eigenen Sachen! Ich lasse mir doch nicht von einem Dreikäsehoch das Leben erklären. Wir sind immer noch deine Eltern, ja?“

      So bissen sich seine Worte in mein Gehör. Ich setzte mich aufrecht hin, drückte meinen Rücken durch.

      Es war definitiv leichter, Martin aus räumlicher Distanz und am Telefon meine Meinung zu sagen. Ich fasste all meinen Mut zusammen.

      „Vielleicht hättest du dich mehr um ihn kümmern sollen, als dauernd nach Österreich zu deiner Geliebten zu fahren. Er hätte einen liebenden Vater gebraucht, der ihm das Leben erklärt, der großzügig mit Worten und Taten ist, der ihn liebevoll unter seine Fittiche nimmt. Du hast sicherlich auch schon Fehler in deinem Leben gemacht, wärst auch froh gewesen, wenn deine Richter milde mit dir gewesen wären!“, hörte ich mich sagen.

      „Was weißt du schon von meinen Richtern, meiner Geliebten. Ich verbitte mir jegliche Anspielung und Anzüglichkeiten. Hörst du?“

      Angewidert warf ich den Hörer auf die Gabel. „Arschloch!“, rief ich ins Zimmer. „Riesen-Arschloch!“

      Es klingelte wieder. „Ja“, bellte ich kampfbereit in den Hörer.

      „Hier ist deine Mutter“, kam es gequält, leise über Ellas Lippen. „Bleib, wo du bist. Er ist unerträglich. Besser, du bleibst da. Melde mich. Tschüss, Kind.“ Schluchzend legte sie den Hörer auf.

      Stocksteif saß ich auf der Couch, schlug mit der Faust auf die Polster ein. Ich vibrierte innerlich. Meine Wut hätte ganze Schaumbäder füllen können. Beide Vierbeiner rasten erschrocken von den Polstern, versteckten sich unter der Kommode.

      Irgendwie war ich perplex. Es war das erste Mal, dass ich meine Stimme erhoben und Martin Fakten an den Kopf geschleudert hatte. Mmh es fühlte sich gut an. Ich musste mir sein Gesülze und dummes Geschwätz nicht länger anhören, kuschte nicht mehr vor diesem Lügner, Fremdgänger, Großkotz. Ich legte mich auf den Boden. Auf dem Kopfkissen liegend, stellte ich mir vor, wie Alex an der Bügelschnur baumelte. Grauenhafte Vorstellung! Welche Aussage wollte er damit machen? Ihr Keller, ihre