Celeste - Gott und der König. Sabrina Kiefner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sabrina Kiefner
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Celeste
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783347121324
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ich heranwuchs, im Seitsitz auf der Kruppe des Pferdes, wie die spanischen Frauen. Doch zuvor musste ich mir auf einem der Ponys, die ein schottischer Freund der Familie von den britischen Inseln importierte, meine Sporen verdienen. Auf seinen Koppeln standen wunderschöne Zuchtstuten zum Verkauf, die es in verschiedenen Größen gab; sie sahen geradezu aus wie Miniaturpferde. Diese Rasse galischen Geblüts wurde Welsh genannt. Unser Freund bot auch winzige, rundliche Ponys mit dicken Mähnen an, die bis dahin in unserer Gegend gänzlich unbekannt waren: die liebenswerten Tierchen entstammten den Shetland-Inseln im Norden Schottlands.

      Mein Vater sagte, sie seien äußerst beliebt bei den Arbeiten in der Kohlengrube von Montrelais, was meine junge Seele in Aufruhr versetzte. Es kam nur selten vor, dass der Pferdehändler sie an Familien verkaufte, zur Freude derer Kinder. Die kleinen Vierbeiner erwiesen sich als sehr vielseitig, und wir spannten die Stuten binnen kurzem vor eine Karre, und meine Brüder führten sie stolz der Familie vor. Im Sommer ritten wir über niedere Hecken und Wassergräben. Ich lebte nur für die langen, hellen Tage auf unserem Landsitz und langweilte mich während der langen Wintermonate in unseren städtischen Gemächern, wenn ich, über Stickereien gebeugt, den Geigenlektionen meiner Schwester zuhörte.

      Wenn mein Vater Marquart, unseren alten Stallmeister, losschickte, um die Kutsche anzuspannen, rannte ich glücklich in unser Zimmer, um mich umzuziehen, bevor ich mich in den Pferdestall aufmachte. Ich war kaum groß genug, um die vier Füchse striegeln zu können, aber der Geruch ihres Fells, vermischt mit dem frischen Heus, war mir lieber als all die Blumenessenzen, die meine Schwestern in winzigen Flakons auf ihren Toilettentischchen sammelten…

      Reiten Sie eigentlich, Aurore?“, fragt die Erzählerin unvermittelt.

      Die junge Frau blickt auf, als sie ihren Namen hört. Ganz auf ihre Notizen konzentriert, hat Aurore den Redefluss ihrer Gastgeberin in präzisen Sätzen zusammengefasst und fühlt sich ihr bereits sehr viel näher. Sie hat Verständnis für deren Vorliebe für die Natur, die Freude über einen schnellen Galopp, bei dem das von der Geschwindigkeit berauschte Herz so schnell klopft wie das des Pferdes. Sollte sie der illustren Dame gestehen, dass sie bei ihrem Reitmeister regelmäßig darauf bestanden hatte, im Herrensattel reiten zu dürfen? Irgendwann hatte der alte Herr nachgegeben und geknurrt: „Aber nur in der Reitbahn!“

      Der Einzelunterricht war ihr teuer zu stehen gekommen.

      Nach einer nachdenklichen Pause antwortet die junge Frau: „Nun, ich bin früher sehr viel geritten, aber ich bin weit davon entfernt, mich mit ihren Reitkünsten messen zu können. Nach dem furchtbaren Unfall meines Vaters behielt meine Großmutter nur ihr Jagdpferd und die Kutschpferde. Sie ließ mich dennoch weiterhin in die Reitkunst einweihen und ab und zu ritten wir aus.“

      Von ihrem Vater bleibt Aurore nur noch eine verblichene Vorstellung, sie war erst vier Jahre alt gewesen, als er starb. Die Zeit hatte die wirklichen Erinnerungen durch Portraits und Erzählungen ihrer Nächsten ersetzt. Die Erwachsenen hatten in den Himmel aufgesehen, wenn sie von ihm sprachen und Aurore hatte ganze Stunden ihrer Kindheit damit zugebracht, die Wolken anzustarren, um eine Spur dieses ständig abwesenden Vaters zu erblicken.

      „Natürlich beherrschen Sie das Reiten“, erwidert Céleste. „Ah, Ihre Großmutter…wie konnte ich Marie-Aurore nur vergessen? Sie brennen sicher darauf, mehr über sie zu erfahren, Mademoiselle. Verzeihen Sie mir bitte, wenn ich Ihre Geduld weiterhin strapaziere. Ich habe meine Notizen vorbereitet und würde gerne dem roten Faden meiner Geschichte folgen, die sich darauf beschränkt – das verspreche ich Ihnen – einige Szenen aus meinem langen Leben unter die Lupe zu nehmen. Ich bin mir im Klaren darüber, dass es zu viel zu sagen gibt, um Ihnen weiterhin von meiner Kindheit zu erzählen. Es war mir wichtig, Ihnen eine Skizze meiner Herkunft anzufertigen. Sie könnte Ihnen helfen, ein Portrait zu erstellen, das Ihren Dienstherrn überzeugen wird, meine Biographie zu veröffentlichen. Sie wird nicht nach jedermanns Geschmack sein; nichtsdestotrotz wünsche ich, dass sie erzählt wird. Es geht mir dabei weniger um mich selbst, ich bin mir längst nicht so wichtig, wie es vielleicht den Anschein erregt! Ich werde bald friedlich sterben, jedenfalls habe ich alle Chancen, darauf zu hoffen. Sehr viel wichtiger sind mir meine Freunde, die fast alle auf dem Schlachtfeld gefallen sind; meine Memoiren sind ihrem Andenken gewidmet. Es ist für mich unwesentlich, welche Meinung die Nachwelt über mich hat, wenn ich nicht mehr da bin. Ich möchte für ein misshandeltes Volk plädieren, das in einem hoffnungslosen Kampf gegen die Neuerungen seiner Epoche unterlag. Ich denke, es ist noch lange nicht genügend Tinte geflossen über die mutigen Partisanen der Vendee, die in ihrer wenn auch etwas rüpelhaften Eigenart oberflächliche Höflichkeiten durch Offenheit und Großzügigkeit ersetzen, wie sie nur den Menschen eigen sind, denen das Herz an der rechten Stelle sitzt. Es ist ein stolzes und würdiges Volk, das seine tausend Jahre alten Traditionen beibehalten wollte..“

      „Es tut mir leid, wenn ich Sie unterbrechen muss, fügt Aurore ein, aber mein Tintenfass ist leer.“

      Celeste zeigt auf einen Sekretär aus Ebenholz am Fenster ihres Schlafzimmers: „Würden Sie die Güte haben, das Fässchen zu holen, das auf meinem Schreibtisch steht?“

      Die alte Frau zieht an der Glocke für die Hausangestellte und fügt hinzu: „Ich werde Agnès bitten, uns Tee zu kochen. Sie muss in der Küche zu tun haben.“

      Aurore setzt sich wieder zu ihrer Gastgeberin, die sich erkundigt: „Gelingt es Ihnen denn, der Erzählung zu folgen und gleichzeitig Notizen zu machen?“

      „Jawohl, Madame, ähm, Verzeihung, Celeste“, antwortet Aurore, „ich habe ihren Sätzen so gut wie nichts hinzuzufügen, sie scheinen mir klar und präzise. Ich befürchte fast, Ihnen Ihr Werk zu stehlen! Ich werde den Text später überarbeiten, um ihn auf Unstimmigkeiten zu überprüfen. Es genügt manchmal, die Reihenfolge von Sätzen oder Abschnitten zu vertauschen, damit der Leser sie besser verstehen kann; ich werde alle Veränderungen notieren.“

      „Sie sind wirklich eine rare Perle, meine Liebe, M. Latouche hatte Recht, auch wenn ich Ihnen seine Komplimente nicht verraten sollte!“

      Aurore fühlt sich geschmeichelt vom Lob ihres griesgrämigen Direktors. Ihre Bewunderung für den Verleger grenzt an einen Kult. Celeste fährt fort : „Es gibt eine andere Sache, die mir nennenswert erscheint, bevor wir mit der Arbeit fortfahren. Mein lieber Gemahl hat mir aufgetragen, Sie zu grüßen. Ich soll Ihnen ausrichten, dass er sich schon im voraus dafür bedankt, dass Sie sich diesem Projekt widmen, dessen Auslöser er übrigens war. Er begab sich letzte Woche auf eine Wasserkur in die Alpen. Es gibt ein paar Feinheiten in meinen Memoiren, die meinen Gatten verstören könnten. Deshalb wünsche ich, dass meine Geschichte nicht vor meinem Tod herausgegeben wird. Ich versichere Ihnen, dass dieser mir unmittelbar bevorsteht, mein Arzt bestätigt dies übrigens.“

      Aurore hat ihre Feder beiseite gelegt und hört aufmerksam zu, ihre Hände ruhen auf den Falten ihres langen, dunkelblauen Rocks.

      „Hören Sie, meine Teure, ich muss Ihnen ein Geständnis machen“, fährt Celeste zögernd fort, indem sie ihre Gesprächspartnerin, neugierig auf deren Reaktion, beobachtet. „Ich habe bei meiner Hochzeit den Behörden – und meinem Mann – mein wirkliches Alter verschwiegen. Das ist fast dreißig Jahre her!“ Die zwei Frauen tauschen ein komplizenhaftes Lächeln aus, bevor die ehemalige Kriegerin weiter ausführt: „Ich werde sicherlich in meiner Erzählung darauf zurückkommen. Sie werden leicht verstehen, wie heikel es wäre, wenn mein Gemahl mein tatsächliches Alter und andere Neuigkeiten dieser Art in der neuesten Ausgabe des Figaros erfahren würde!“

      Celeste bricht in ansteckendes Gelächter aus, bevor sie fortfährt: „Mein Mann war erst dreiunddreißig Jahre alt, als er um meine Hand anhielt, ich aber stand kurz vor meinem fünfzigsten Lebensjahr. Ich sah wohl sehr viel jünger aus, was alle bestätigten, also war ich so kokett, ihm einige Jahre zu unterschlagen. Das war nicht die größte meiner Sünden, die der Herr, so hoffe ich, mir in seiner Güte vergeben wird. Das ist der Grund, warum ich nicht möchte, dass meine Lebensgeschichte vor meinem Tode an die Öffentlichkeit kommt.“ Sie seufzt und fügt hinzu: „Aurore, versprechen Sie mir, darauf zu achten, dass diese zweite Klausel des Vertrags mit M. Latouche eingehalten wird. Denn es gibt noch weitere Einzelheiten, die mein Gatte nicht kennt. Wenn ich einmal nicht mehr auf der Welt bin, wird er meine