»Dass das an dir liegt, schon immer lag, kam dir noch nie in den Sinn?«
»Mach mich nicht für dein Leben verantwortlich«, antwortete Marlies. »Ich habe dir immer alles gegeben. Du solltest es besser haben als meine Generation. Free of all this patriarchalischem Nazi…«
»Ich habe keine Lust, mir das wieder und wieder anzuhören.« Herbert Förster stand auf. »Es ist dieselbe Leier wie vor zehn Jahren, und vor zwanzig und vor dreißig. Wenn du auch nur ein Mal auf mich und meine Bedürfnisse eingegangen wärst, aber nein, es musste immer nach dir gehen. Wer steckt seinen Sohn denn bitte in diesen grauenhaften antiautoritären Kindergarten, den deine Kifferfreunde aufgemacht haben? Ich habe das gehasst! Ich wollte nicht dort sein. Nie. Ich denke, ich habe meine Abneigung nicht nur in Worten deutlich gemacht, sondern auch darin, dass ich tagelang nur gekotzt habe und ständig Nasenbluten hatte.«
»Du hast schon immer gerne dramatisiert, Junge«, sagte Marlies gleichgültig. »You never knew, was gut für dich ist.«
»Du auch nicht, Mutter!«, brüllte Herbert. Zu seiner Frau gewandt fuhr er leiser fort: »So, zufrieden? Es hat keinen Sinn.« Er rauchte hektisch.
»Ja, ich habe versagt«, sagte Marlies weinerlich. »Ich wollte dich zu einem free spirit, zu einer großen Seele erziehen. Alles, wirklich alles habe ich dafür gegeben. Du solltest dich frei entwickeln können. In alle Richtungen. And now? Ein verklemmter, kleingeistiger philistine, wie sagt man gleich auf Deutsch? Spießer. Just like dein Vater.«
»Solange du Vaters Geld hattest, war er gar nicht so spießig, oder?«, giftete Herbert zurück.
»Kükenschredderer!«, rief Marlies aus. »Flauschige, kleine gelbe Lebewesen, die noch nicht einmal einen Sonnenaufgang erlebt haben …«
»Das hast du gewusst, als du ihn geheiratet hast«, antwortete ihr Sohn. »Und es hat dir nicht geschadet, als du dich hast scheiden lassen. Im Gegenteil. Die zerschredderten kleinen Flauschwesen haben dir deine Ashrams und Aurareinigungen bezahlt und deine Yogalehrer, die dir alles Mögliche beigebracht haben, was nicht nach Yoga aussah!«
»Das war Tantra.«
»Ich war ein Kind! Verdammt noch mal. Kein Kind möchte seine Mutter nackt verknotet mit einem langhaarigen Hungerhaken sehen.«
»Ich sag es doch, Spießer. Du bist eine einzige Enttäuschung für mich. Du hattest alle possibilities und hast dich für das hier entschieden.« Sie spuckte die Worte regelrecht aus und machte eine umfassende Handbewegung. »Money, money, money. Und jetzt krönst du das alles noch, indem du für diese Nazipartei in den Stadtrat gehst!«
»Das ist die CSU!«, brüllte Förster.
»That’s what I say«, antwortete seine Mutter.
»Jetzt ist gut«, meinte Susa Förster streng. »Ich dachte, ihr habt euch ausgesprochen? Und versöhnt?«
»Wer behauptet denn so was?«, knurrte Herbert und versuchte seine wilden Haare mit den Händen hinter den Ohren zu bändigen. Zwei tiefe Zigarillozüge auf Lunge.
»Deine Mutter.«
»Ha!«
»Habt ihr nicht? Oder doch?« Susa Förster sah zwischen Schwiegermutter und Ehemann hin und her.
»Ich versuchte nur, meine Mutter wieder etwas in die Familie einzubinden«, sagte er schwach.
»Wegen deiner Wahl«, sagte Marlies.
»Ja und? Was ist daran verkehrt?«
»Aha! Na bitte!«
»Und du weißt ganz genau, dass das nicht der …«, er brach ab. »Okay. Und sag nicht, dass es dir nicht nützen würde.«
»Passt auf«, sagte Susa Förster. »Vergessen wir doch, was war. Konzentrieren wir uns auf die Zukunft. Auf eine wie auch immer geartete gemeinsame Zukunft. Ohne Anfeindungen, ohne emotionale Erpressung – wie erwachsene Menschen. Bitte.« Sie schenkte sich neuen Kaffee ein und rührte meditativ lange einen Löffel Zucker hinein. »Marlies hat mir gesagt, dass du sie wieder unterstützt. Du hast ihre Miete reduziert und ihr ein neues Mobiltelefon geschenkt. Warum auch immer! Das ist doch schon ein Anfang, oder? Und ich schenke ihr einen Flachbildschirm. Der ist unterwegs.«
»Ach, du schenkst ihr was?« Herbert Förster setzte sich wieder an den Tisch. »Warum?«
»Weil … weil ich genug Geld habe und auch was abgeben kann.«
Herbert Förster schloss die Augen und schüttelte leicht den Kopf. »Also doch«, sagte er dann nach einer Weile gefährlich leise. »Also doch!«, brüllte er dann.
»Was denn?«, fragte Susa.
»Du betrügst mich also doch, du Schlampe!«, schrie Herbert Förster. »Und die alte Kuh weiß es und erpresst dich damit. Ich habe es geahnt! Wer ist es? Wer? Dein schleimiger Lektor vom Verlag, der immer das Sabbern anfängt, wenn er dich sieht? Oder der schmierige Lamborghini-Arsch von gegenüber? Ha, nein, ich weiß, der verfickte Typ von …«
»Geht das schon wieder los«, stöhnte Susa. »Du mit deiner krankhaften Eifersucht …«
»Offenbar berechtigt!«, brüllte Herbert. Er deutete auf das Modell des Vierseitenhofs, den er für die Familie umbauen wollte. Wenn er näher dran gestanden hätte, hätte er es gepackt und gegen die Wand geschleudert. »Für wen mache ich denn das alles? Für uns! Für uns und die Kinder! Und du fickst mit irgendeinem Kerl?«
»Halt du deine Klappe!«, schrie Susa zurück. »Mister Unschuldig! Du hast angefangen! Ich habe dir das damals verziehen! Und ich war mit den Zwillingen schwanger!«
»Oh, das werde ich mir wohl bis an mein Lebensende anhören dürfen.« Herbert Förster warf die Hände verzweifelt in die Höhe. »Wozu haben wir die Therapie gemacht? Hmm? Es hat mir leidgetan. Ich habe mich bei dir entschuldigt! Es war mein Fehler, okay?« Er atmete tief durch, zählte innerlich langsam bis zehn und beruhigte sich, so gut es ihm eben möglich war. Er ging zu seiner Frau und umarmte sie von hinten. Sie zuckte zusammen, blieb aber in seinen Armen. »Bitte«, sagte er eger gepresst denn sanft. »Wir haben uns damals geschworen, dass es vorbei und vergessen und verziehen ist.«
»Ja«, stimmte Susa Förster nach einigem Zögern hinzu.
Abrupt löste sich Förster von seiner Frau. »Moment mal, raffiniert von dir! Fast wäre ich darauf reingefallen. Immer schön von dir ablenken. Aber nicht mit mir. Mit wem betrügst du mich?« Er packte sie fest an den Handgelenken.
»Lass los, du tust mir weh.« Er ließ nicht los, sie versuchte, sich zu befreien, was allerdings nicht gelang. Plötzlich ließ ihre Gegenwehr nach, sie starrte ihrem Mann direkt in die Augen. Erkenntnis leuchtete auf. »Moment. Moment! Du schenkst deiner Mutter was? Einfach so? Ihr habt euch ganz offenbar nicht ausgesprochen und versöhnt. Sie erpresst dich. Du hast eine Affäre. Du bist hier die Schlampe! Tilda hat mich gewarnt! Sie hat mich gewarnt. Lass mich los, du Kotzbrocken! Von wegen Friede, Freude, Eierkuchen wegen der Stadtratswahl!«
»Du machst dich lächerlich«, antwortete Herbert Förster und stopfte die Hände in die Taschen seines Morgenmantels.
»Sag bloß nicht, dass du tatsächlich was mit unserem Kindermädchen hattest!«
22
Max Pfeffer hatte diese Schwabing-Sperre. Er konnte das Viertel noch nie leiden, früher nicht, und jetzt erst recht nicht. Er war ein Kind des Schlachthofviertels, quasi das diametral entgegengesetzte München. Aufgewachsen in der Zenettistraße, wo es meist noch richtig nach Schlachthof roch – der unverwechselbare Mix aus Blut und Kot – und nicht nach Erbschaft und Chanel. Damals gab es noch den Pferdemarkt am Sonntag und die Kühe wurden noch über die Rampen von den Güterwaggons entladen. Lange her, inzwischen war das Schlachthofviertel eins der hippsten und teuersten der Stadt. Nur beschwerten sich nun die Anwohner, wenn es nach Schlachthof roch. Aber wie es in seiner Kindheit war, hatte ihn geprägt. Das war sein München. Schwabing war schon damals immer eine