Ich empfinde es als große Stärke, wenn ein Mensch seine Intuitionen und sein Bauchgefühl zulässt, darauf vertraut und als Entscheidungshilfe nutzt. Aus kleinen, weniger bedeutsamen Entscheidungen sollte man keinen Elefanten machen. Wenn Entscheidungen mit weitreichenden und teilweise kostenintensiven Auswirkungen getroffen werden müssen, dann halte ich persönlich es mit dem Motto: Entscheidungen treffen auf der Basis einer strukturierten Entscheidungsanalyse, abgesichert durch eine Analyse potenzieller Probleme und „abgesegnet“ durch ein gutes Bauchgefühl.
[1] Gigerenzer, G. (2007): Bauchentscheidungen: Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition. Bertelsmann Verlag
04 Die Anatomie der Nachricht
Wenn heute von Kommunikation gesprochen wird, ist meist der Austausch von Informationen gemeint, das Hören, Schreiben und Reden. Im Laufe der Zeit haben sich die technischen Möglichkeiten verändert, doch verstehen wir uns dadurch auch besser?
Wenn man über „die Kommunikation“ redet, ist meist der verbale Austausch von Informationen gemeint – einer spricht, der andere hört zu. Es gibt demnach einen Sender und einen Empfänger. Doch verstehen beide das Gleiche? Weiß man um die Anatomie von Nachrichten, ist man in der Lage, eine Nachricht zu entschlüsseln und die hinter der Nachricht verborgenen Botschaften zu erkennen
Grundregel 1: Empfänger bestimmt, was Information ist!
In der Kommunikationstheorie spricht man vom Sender- und Empfängerprinzip. Der Sender verschickt eine Nachricht, und der Empfänger hat die Aufgabe, diese zu entschlüsseln. Nur das, was der Empfänger nach der Entschlüsselung hört, ist für ihn Information. Alle anderen Informationen gehen verloren. Der Empfänger bestimmt also letztendlich, was Information ist.
Grundregel 2: Die Anatomie einer Nachricht ist komplex
Was macht es so kompliziert, verstanden zu werden? Friedemann Schulz von Thun, deutscher Kommunikationswissenschaftler, sagt dazu: „Wir senden aus vier Mündern und empfangen auf vier Ohren.“ Bei der Sachebene (1) geht es um die reine Sachinformation, um Tatsachen. Aus der Beziehungsebene (2) geht hervor, wie der Sender zum Empfänger steht. Formulierung, Tonfall und Mimik sind neben dem Gesagten zusätzliche wichtige Informationsquellen. Mit jeder Nachricht geben wir auch etwas von uns selbst preis. Diese Informationen finden sich auf der Selbstoffenbarungsebene (3).
Dazu gehören neben gewollter Selbstdarstellung auch unfreiwillige Enthüllungen. Auf der Appellebene (4) möchten wir den Empfänger zu etwas bewegen. Der Sender kommuniziert gleichzeitig auf vier gleichberechtigten Ebenen und sendet damit auch vier Botschaften. Der Empfänger wiederum hört ebenfalls auf vier verschiedenen Ebenen, und auch hier stellt sich die Frage: Welche der vier Botschaften empfängt er als Kernbotschaft? Ein Beispiel soll exemplarisch die Anatomie einer Botschaft beschreiben und helfen, diese zu entschlüsseln.
Situation: Fahrer und Beifahrer sitzen in einem Tesla Model 3 und cruisen mit eingeschaltetem Autopiloten durch die Stadt. Plötzlich sagt der Beifahrer zum Fahrer: „Achtung, siehst du den Radfahrer?“ Der Fahrer antwortet: „Ganz ruhig, ich fahre – und ja, mein Tesla sieht den Radfahrer auch.“ Welche Botschaften spielen sich allein bei diesen beiden Sätzen ab?
Mögliche Botschaften des Beifahrers:
(1) Sachinhalt: Vor uns fährt ein Radfahrer.
(2) Beziehung: Der Beifahrer ist der Meinung, dass der Fahrer ohne seine Hilfe nicht gut fährt.
(3) Selbstoffenbarung: Der Beifahrer hat vielleicht Angst und Bedenken wegen des Fahrstils des Fahrradfahrers oder fühlt durch den Autopiloten ein gewisses Unbehagen.
(4) Appell: Fahre bitte etwas vorsichtiger oder schalte den Autopiloten aus!
Was empfängt der Fahrer?
Der Fahrer „entschlüsselt“ die Botschaft auf zwei Ebenen. „Ganz ruhig, ich fahre (A) – und ja, mein Tesla (B) sieht den Radfahrer auch.“ Zunächst ist da die Beziehungsebene (A): Ich kann ohne deine Hilfe fahren und sehe alles. Der Fahrer reagiert aber auch auf die Selbstoffenbarung (B), und zwar in Bezug auf den Autopiloten, denn er betont dessen Funktionstüchtigkeit. Auf die möglichen Ängste (Selbstoffenbarung), den Appell, gegebenenfalls langsamer zu fahren und den Autopiloten auszuschalten, geht er überhaupt nicht ein. Auf diesen Ohren scheint der Fahrer „taub“.
Grundregel 3: Sei nicht „kommunikativ taub“
Am Beispiel ist gut erkennbar, wie es zu Kommunikationsproblemen kommen kann. Dann nämlich, wenn der Empfänger eben nicht auf der Ebene des Senders empfängt. Jede Ebene kann „die“ Kernbotschaft enthalten. Kritisch wird es immer dann, wenn eine Ebene überbetont oder eben gar nicht wahrgenommen wird. Kinder hören eher auf dem Beziehungsohr, während Männer verstärkt auf der Sachebene kommunizieren und denken. Eine Fokussierung auf das Appellohr ist in helfenden Berufen häufig ausgeprägt. Kleinste Signale werden als Appell verstanden und sofort in Handlungen umgesetzt. Die Gefahr ist hier, die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu vernachlässigen.
Grundregel 4: Wahrnehmung absichern
Kommunikation ist immer eine Herausforderung und wird es auch trotz aller technischen Möglichkeiten bleiben. Versuchen Sie zum einen, Ihre Nachricht deutlich zu formulieren, und zum anderen, eine ankommende Nachricht mit allen Ohren zu empfangen und die richtige Kernbotschaft herauszuhören. Sind die Kernbotschaften nicht klar erkennbar, gibt es nur einen Weg: Absicherung der Wahrnehmung durch eine gezielte Rückfrage. So gelingt die Kommunikation deutlich einfacher, und man vermeidet, aneinander vorbeizureden.
Grundregel 5: Explizite Informationen senden
Die Problematik des Sendens und Empfangens auf unterschiedlichen Ebenen kann man durch das Verwenden eines expliziten Kommunikations- und Sprachstils eingrenzen. Die obige Mitteilung des Beifahrers könnte im „expliziten Stil“ lauten:
„Du, ich fühle mich durch den Autopiloten
echt unsicher und hab etwas Angst.
Magst du ihn bitte ausschalten?“
In diesem Satz werden die Angst (Selbstoffenbarung) und der Appell „Autopilot bitte aus“ klar ausgesprochen. Es wird nicht der Umweg über den Fahrradfahrer gewählt. Explizite Sprache ist direkt und vermeidet viele sprachliche Missverständnisse durch die unterschiedliche Interpretation des Gesagten.
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