Die Dirigentin. Maria Peters. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Maria Peters
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783455010114
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lachen sie an, als sie hinter den Kulissen verschwinden. Zumindest hoffe ich, dass sie Willy nicht auslachen.

      Ich trete ans Mikrophon und kündige den Auftritt von Miss Denise an, dem berühmten female impersonator.

      Wir haben ein buntes Publikum. Erstaunlicherweise sind es vor allem die Frauen, die von Miss Denise gefesselt sind und nicht genug von ihr kriegen können. Als hielte Miss Denise ihnen einen Spiegel vor, in dem sie die eigenen antrainierten, gefallsüchtigen Gesten sehen.

      Das Publikum dreht durch, als Miss Denise mit weiblicher Eleganz die Bühne betritt. Ich habe Willy erzählt, dass Dennis erst immer ein wenig mit dem Publikum plaudert, bevor er anfängt zu singen. Und sie solle sich nicht wundern, wenn er am Ende des Auftritts die Perücke abnimmt, um dem Publikum zu zeigen, dass er tatsächlich ein Mann ist. Das ist immer der krönende Abschluss seiner Show.

      Ich sehe, wie sie sich am Klavier entspannt. Natürlich erschrickt sie, als Miss Denise sich ihr plötzlich von oben herab zuwendet.

      »Was haben wir denn hier«, sagt Miss Denise mit einer hohen, sehr weiblichen Stimme. »Einen female impostor am Klavier. Versuchst du etwa, mich zu übertrumpfen?« Miss Denise schaut verschwörerisch in den Saal. »Oder ist diese Nachäfferin vielleicht sogar eine richtige Frau? … Schwer zu sagen, oder was meinen Sie?«

      Er erntet großes Gelächter.

      »Da legt sich wohl jemand ganz schön für dich ins Zeug. Wie man hört, spielst du heute Abend zur Probe? Die Chance, dass du genommen wirst, ist aber winzig klein. Denn sieh dich doch um: Das ist hier eine Männerband.«

      Dabei schaut der Halunke verstohlen zu mir, dann wendet er sich wieder der neuen Klavierspielerin zu.

      »Wieso bist du noch da?«

      Willy blickt ihn mit einem strahlenden Lächeln an. Das Beste, was man in so einer Situation machen kann.

      Dennis fährt mit seiner Nummer fort: »Und übrigens, ich werde nicht für dich stimmen, denn alle Aufmerksamkeit gebührt auch in Zukunft natürlich einzig und allein mir!« Er setzt einen femininen Schmollmund auf und wartet, bis das Gelächter im Saal wieder abklingt.

      »Kannst du eigentlich eine Tonleiter spielen?«

      Willy nickt und spielt mit einem Finger nacheinander fünf Töne: E-G-B-D-F.

      Dennis, der selbst überhaupt keine Noten lesen kann, versucht sie in die Enge zu treiben.

      »Nennst du das etwa eine Tonleiter?«

      Willy schüttelt den Kopf.

      »Wie nennst du es dann?«

      Willy antwortet laut und deutlich: »Every Good Boy Does Fine.«

      Das Publikum rastet angesichts dieser Spitze gegen Miss Denise förmlich aus. Ich weiß nicht, wer aus dem Publikum mitbekommt, dass sie auf die Eselsbrücke für die Notenlinien im Violinschlüssel anspielt, aber das ist auch nicht wichtig.

      Dennis, der am besten ist, wenn er improvisieren darf, lässt sich auf den Witz ein.

      »Every good boy does fine«, wiederholt er. »Selbstverständlich, denn jetzt bin ja ich an der Reihe.« Er läuft gockelhaft über die Bühne.

      »Sag mal, wie heißt du eigentlich?«

      »Willy.«

      Der Name führt zu einer neuen Lachsalve. Und Dennis kann es nicht lassen, nachzuhaken. Er hebt die Stimme um eine Oktave an.

      »Weil du keinen willy hast, haben deine Eltern dich so genannt! Ich glaube, mit diesem Namen sind deine Chancen gerade immens gestiegen.« Wieder schaut er mich an. Ich weiß, jetzt hat sie auch seinen Segen. Ich zähle, und die Band fängt mit dem Intro von Oh! Boy, What a Girl an. Damit landete Eddie Cantor im letzten Jahr einen Riesenerfolg. Die Stimmung ist phantastisch. Miss Denise singt:

      »Oh gee, other girls are far behind her,

      Oh gosh, hope nobody else will find her.«

      Und das ist genau meine Meinung zu Willy.

      ~ Willy ~

      10

      Mrs Brown will die Tür gar nicht öffnen, als ich am nächsten Tag bei ihr klingele. Erst als sie durch die Gardine erkennt, dass ich ihren verlorenen Schatz zurückbringe, erscheint sie rasch an der Haustür. Sie entschuldigt sich tausendmal dafür, wie »grässlich« sie aussieht. Ich schäme mich zu Tode für den Ärger, den ich ihr bereitet habe.

      Ich finde, sie sieht ohne Make-up besser aus, aber das sage ich natürlich nicht. Bei älteren Damen betonen Pan-Cake, Flexible Greasepaint und all die anderen Tinkturen nur noch zusätzlich die Krähenfüße, Hamsterbacken, Truthahnhälse oder wie all die Runzeln und Falten auch heißen. Sie glauben, dadurch jünger auszusehen, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Meine Mutter, sie ist schon achtundfünfzig, benutzt zum Glück nichts davon.

      Ich erzähle Mrs Brown, ich hätte das Etui unter dem Schränkchen im Flur gefunden. Sie freut sich wie ein kleines Kind. Sie greift sogar zum Portemonnaie, um mir einen Finderlohn zu geben. Ich sage ihr, das sei nicht nötig, aber sie besteht darauf.

      »Ich bin ja nicht so ein Geizhals wie deine Mutter«, sagt sie und drückt mir einen Dollar in die Hand. Was zu weit geht, geht zu weit.

      Wenn man nicht genau weiß, was einen erwartet, ist alles aufregend und fühlt sich wie ein großes Abenteuer an. Ich bin begeistert von meiner neuen Arbeit. Ich darf bloß nicht daran denken, dass meine Eltern der Schlag treffen würde, wenn sie auch nur von der Existenz einer solchen Welt wüssten – ganz zu schweigen davon, dass ich jetzt dazugehöre. Also verheimliche ich, was ich so treibe; eine Notlüge, die nur zu ihrem Besten ist.

      Meine Mutter ist übrigens selbst schuld, wenn ich ihr nichts erzähle. Man kann ihr nämlich nicht vertrauen. Im Musikunterricht in der weiterführenden Schule fragte die Lehrerin, ob jemand Klavier spielen könne. Mein Finger schnellte nach oben. Ich durfte mich ans Klavier setzen und zeigen, was ich konnte. Ich weiß nicht, was die Klasse mir zugetraut hatte, aber sicherlich nicht, dass ich Bachs Toccata und Fuge in d-Moll spielen konnte. Und zwar fehlerlos. Meine Klassenkameradinnen hörten verblüfft zu. Die Lehrerin bat mich nach dem Unterricht zu sich. Sie schwärmte, dass ich unbedingt weiter Musik machen müsse – sie würde mit meinen Eltern sprechen. Ich sah die dunklen Wolken schon am Horizont aufziehen und erwiderte panisch, meine Mutter wolle davon nichts hören. Die sah mich schon als Sekretärin oder etwas in der Art, da ich als hässliches Entlein sowieso nie einen Mann abbekommen würde. Das rieb sie mir ständig unter die Nase. Den Widerspruch zu ihrer anfänglichen Begeisterung über die Prophezeiung, ich würde einmal eine »große Musikerin«, konnte ich mir nicht erklären. (Erst Jahre später habe ich begriffen, dass sie einfach nur eifersüchtig war. Sie besaß keinen Schulabschluss und hasste jede Art von »Bildung«.)

      Erfüllt von der Mission, meine musikalische Zukunft zu sichern, erschien meine dickköpfige Lehrerin doch eines Tages bei meiner Mutter. Das Ganze passierte hinter meinem Rücken, aber zufällig war ich gerade zu Hause. Durch den Spalt meiner Zimmertür konnte ich alles beobachten.

      Das Plädoyer der Lehrerin dauerte eine halbe Stunde. Meine Mutter tat, als wäre alles in bester Ordnung, aber mit meinem geübten Auge sah ich, dass sie sich grün und blau ärgerte. Die Lehrerin war noch nicht ganz aus der Tür, als ich schon die volle Breitseite abbekam. Und meine Mutter beließ es nicht bei Worten. Ich hatte überall blaue Flecke, und das Klavier blieb wochenlang verschlossen.

      Aber ich ließ mir etwas einfallen. Ich übte auf einem Pappkarton, auf den ich die Klaviertasten gezeichnet hatte. Wenn man keine Alternative hat, ist das eine recht effektive Methode.

      Bei der Examensfeier verstand meine Lehrerin nicht, warum ausgerechnet meine Eltern fehlten, wo ich doch ein Solokonzert vor der ganzen Schule geben durfte. Ich behielt es natürlich für mich, dass ich meinen Eltern nichts davon gesagt hatte.

      Ich