Zwölf Monate später sah ihn New York wieder, und die Nachricht machte die Runde, dass er nicht mehr derselbe wäre. Vor dem Auge des Gesetzes brach er alle Brücken zu Verbrecherorganisationen ab. Jeder, der es hören wollte, erfuhr von ihm, dass er die Absicht hatte, ein neues Leben zu beginnen.
Niemand wollte so recht glauben, dass sich Lorne Rogers unter dem Mäntelchen der Seriosität, das er sich umgehängt hatte, wohlfühlte, aber von krummen Touren kam keinem mehr etwas zu Ohren.
Lebte Rogers von nun an tatsächlich sauber? Oder war er nur noch vorsichtiger geworden? Rogers kaufte sich im Herzen von Manhattan eine Bar.
Geld besaß er genug, und so ließ er sie nach seinen Vorstellungen umbauen und gab ihr den Namen „Salome“. Als Gast war jeder willkommen, der bezahlen konnte.
Rogers verpflichtete gute Künstler, die bei ihm auftraten und für Stimmung sorgten, und er bewies ein Händchen fürs Geschäft, wodurch es ihm gelang, sich mit seiner Bar in New Yorks Nachtleben sehr rasch zu etablieren.
Heute, zehn Jahre später, war Rogers’ Lokal so etwas wie eine Institution, an der Bount Reiniger nicht vorbeigehen konnte, denn Lorne Rogers erzielte beachtliche Umsätze.
Wenn die Schutzgeldgangster verrückt genug waren, hatten sie sich auch an ihn gewandt, um ihn zur Kasse zu bitten. Vielleicht waren es Newcomer, die nicht wussten, dass mit Rogers immer noch nicht gut Kirschen essen war.
Wer ihn sich zum Feind machte, tanzte auf einem Vulkan und spielte garantiert mit dem Leben, wenngleich Lorne Rogers das niemals zugegeben hätte. Die harte Welle von einst passte nicht mehr zu seinem heutigen Image, das er so sehr pflegte.
Die Bar war gut besucht. Bount Reiniger betrat das Lokal, und Musik aus den Fünfzigerjahren begrüßte ihn. Auf einer Bühne standen fünf farbige Sänger, die die Platters imitierten. Soeben sangen sie den Welthit „Only you“, und wenn man nicht hinsah, konnte man meinen, Lorne Rogers hätte tatsächlich diese legendäre Gesangsformation ins „Salome“ geholt.
Bount steuerte auf die eiförmige Theke zu. Er enterte einen Hocker, befolgte Toby Rogers Rat und bestellte sich einen Orangenjuice. Der Mixer, schick gekleidet, in weißem Jackett mit korrekt sitzender Fliege, musterte ihn kurz und schien zu wissen, wen er vor sich hatte.
Auch Bount Reiniger kam das Gesicht des Mannes bekannt vor. Er kramte in seinen Erinnerungen und sagte schmunzelnd: „Wie geht’s, Langfinger-John?“
Der Bursche zuckte zusammen, als hätte ihm Bount eine Ohrfeige gegeben. Sein Blick wieselte unruhig über die Gesichter der Gäste. Zum Glück hatte die Anrede niemand gehört.
„Ist es dir peinlich, wenn ich dich mit deinem Spitznamen anrede?“, fragte Bount.
Langfinger-John räusperte sich verlegen. „Nun ja, eine große Freude machen Sie mir damit nicht gerade.“
„Kann ich verstehen. Wie heißt du denn jetzt?“
„Für Sie – nur John.“
Bount grinste. „Aus alter Kameradschaft.“
„So ist es.“
„Siehst prächtig aus, John“, sagte Bount Reiniger anerkennend. „Ist aus dir auch ein anderer Mensch geworden?“
„Ich hatte es satt, immer mit der Angst zu leben, erwischt zu werden.“
„Lorne Rogers scheint einen großartigen Einfluss auf dich auszuüben.“
„Er gab mir ’ne Chance, und ich hab’ sie genützt.“
„Das war das Vernünftigste, was du tun konntest“, sagte Bount lobend. „Ist Rogers hier? Ich möchte mit ihm reden.“
„Augenblick“, sagte Langfinger-John und begab sich zum Haustelefon. Bount erinnerte sich noch sehr gut an die Zeit, als dieser Bursche alles mitgehen ließ, was ihm unter die Augen kam.
Der Detektiv hatte dem einstigen Ganoven insgesamt dreimal zu einer Haftstrafe verholfen. Das war mindestens neun Jahre her, und Langfinger-John schien ihm das nicht mehr krummzunehmen.
Wer ein Verbrechen verübt, muss damit rechnen, erwischt zu werden, wobei es ziemlich nebensächlich ist, ob von der Polizei oder einem rührigen Privatdetektiv.
„Mister Rogers erwartet Sie“, sagte John.
„Vielen Dank“, sagte Bount. Er wies auf seinen Drink. „Behalt ihn im Auge, damit ihn kein anderer kippt. Ich muss sparen.“
Langfinger-John wies in die Richtung, in die Bount gehen sollte. Bount Reiniger kam an einem beachtlichen Dekolleté vorbei, und das Mädchen, dem es gehörte, machte ihm schöne Augen.
Er seufzte und dachte: Tut mir leid, keine Zeit. Dienst ist Dienst und das da … na ja.
An der Tür stand zwar „Büro“, aber man gelangte nicht sofort zu Lorne Rogers. Der ehemalige Verbrecher wusste aus Erfahrung, dass viele Menschen schlecht sind, deshalb hatte er eine Sicherheitszone eingerichtet.
Es war ein kleiner Raum mit drei Sesseln, die um einen niedrigen Tisch gruppiert standen. Zwei Sessel waren besetzt. Das änderte sich jedoch, sobald Bount Reiniger die Tür öffnete, da flitzten die beiden Kerle nämlich hoch.
Es hatte den Anschein, als wär’s nur ein Mann, der sich neben einem Spiegel erheben würde, denn die zwei Knaben sahen völlig gleich aus. Bount wusste, wen er vor sich hatte: die Czukor-Zwillinge.
Einer hieß Ivan, der andere Ferenc. Welcher von beiden wer war, wussten wahrscheinlich nur sie selbst. Man nannte sie die Ungarn, die Magyaren, die Bulldozer. Die Behörden waren davon überzeugt, dass sie einigen Dreck am Stecken hatten, doch bisher hatte es noch niemand geschafft, ihnen das nachzuweisen, und vor dem Gesetz ist man so lange unschuldig, bis einem die Schuld bewiesen wurde.
Bount war der Ansicht, dass sich Lorne Rogers keinen guten Dienst damit erwies, die beiden als Bodyguards zu beschäftigen. Das waren gleich zwei Schmutzflecken auf der weißen Weste des ehemaligen Gangsters.
Die Zwillinge machten kein Hehl daraus, dass sie etwas gegen Bount hatten. Er nahm ihnen das nicht übel, konnte ihre Abneigung verstehen. Als Ferenc oder Ivan die Nase rümpfte, fragte Bount grinsend: „Was ist? Hat mich mein Deodorant im Stich gelassen?“
„Tragen Sie eine Kanone?“, wollte Ivan oder Ferenc wissen.
„Ist ja klar. Muss ich wohl, solange Typen wie ihr in dieser Stadt frei herumlaufen.“
Es blitzte in den Augen der Zwillinge auf. „Her mit der Waffe“, verlangte einer der beiden.
„Keine Sorge, ich bin nicht hier, um eurem Boss mein Monogramm in den Bauch zu schießen.“
„Wir lassen niemand mit ’ner Waffe zu ihm.“
„In meinem Fall werdet ihr eine Ausnahme machen.“
„Garantiert nicht“, knurrte entweder Ivan oder Ferenc.
„Freunde, euch fehlt der Überblick. Ihr müsst allmählich zu unterscheiden lernen, wem man trauen kann und wem nicht. Ich bin nicht einer jener halbseidenen Ganoven, mit denen euer Boss für gewöhnlich verkehrt. Nachdem das klargestellt ist, solltet ihr den Weg freigeben. Ich hab’ wirklich keine Zeit, mich noch länger mit euch zu unterhalten.“
Die Zwillinge nahmen eine drohende Haltung an. Bount Reiniger war nicht gewillt, sich von diesen Knaben die Automatic abnehmen zu lassen.
Natürlich würde er sie in Lorne Rogers’ Büro nicht brauchen, aber es ging ihm hier ums Prinzip. Es widerstrebte ihm, sich solchen Kerlen unterzuordnen.
„Seien Sie vernünftig, Reiniger. Geben Sie uns Ihren Ballermann.“ Bount entschied sich dafür, dass das Ferenc zu ihm gesagt hatte. Der Koloss streckte die Pranke verlangend aus.
„Na