In der Literatur gibt es einige eng und weit gefasste Definitionsversuche zu sexuellem Missbrauch. Auch weniger intensive Übergriffe auf das Kind oder den Jugendlichen, wie die Konfrontation mit pornografischem Material, werden als Verletzung der Schamgrenze des Kindes mit negativen Auswirkungen auf sein Wohlergehen bzw. seine Entwicklung angesehen (vgl. Unterstaller, 2006, 6-2). Daher gibt es in der Jugendhilfe meist weite Definitionen. So auch bei Unterstaller ebd., welche darauf hinweist, Definitionen zu sexuellem Missbrauch als „sämtliche als potenziell schädlich angesehenen Handlungen zu erfassen. So werden bei ‚weiten‘ Definitionen in der Regel auch sexuelle Handlungen ohne Körperkontakte wie Exhibitionismus zum sexuellen Missbrauch gezählt“ (zit. n. Unterstaller, 2006, 6-2).
Shaken-baby-Syndrom:
„Werden Kinder in ihren ersten Lebensmonaten an den Armen bzw. am Körper gehalten und kräftig geschüttelt oder mit dem Kopf kraftvoll gegen eine weiche Oberfläche geschleudert, so kann der Kopf des Kindes Flieh- und Rotationskräften ausgesetzt sein, die so stark sind, dass sie zu verschiedenen Verletzungen führen […].“ (Kindler, 2016, 8-1).
Hierbei handelt es sich um eine besonders schwere Form der körperlichen Misshandlung mit meist sehr schwerwiegenden Folgen wie Einblutungen, lebensbedrohlichem Druckanstieg im Schädel und/oder Untergang von Gehirngewebe aufgrund von Sauerstoffmangel (vgl. Kindler, 2006, 8-1). Wenn das Baby dabei überlebt, trägt es meist schwerwiegende bleibende kognitive und auch körperliche Behinderungen davon.
Münchhausen-by-proxy-Syndrom:
„Das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom ist eine schwere, bizarr anmutende Kombination von emotionaler und körperlicher Misshandlung. Hier simulieren die Eltern bei ihrem oft sehr kleinen Kind eine Krankheit. Manchmal handelt es sich nur um erfundene, berichtete Krankheitssymptome, manchmal werden jedoch auch körperliche Symptome herbeigeführt, um eine Krankheit vorzutäuschen.“ (Kinderschutz-Zentrum Berlin, 2009, 63)
Das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom wird teilweise zwischen Pädiatrie und Psychiatrie eingeordnet und ist eine sehr bizarre und ungewöhnliche Form von Kindesmisshandlung (vgl. Kindler et al., 2006, 7-1). Weitere ungewöhnliche Formen von Kindesmisshandlung beschreibt Rosenberg in Das misshandelte Kind. Sie geht dabei u. a. auf den Verzicht von medizinischer Versorgung aufgrund von Religiosität, bizarre Ernährungsformen, psychosoziale Fettsucht im Kindesalter, Wasserentzug und Vergiftung, Kinderarbeit, Kinderpornografie, Prostitution und sexuellen Sadismus ein (vgl. ausführliche Beschreibung in Rosenberg, 2002, 643ff).
2.2 Was sind Gründe für Kindesmisshandlungen?
Es könne schon fast die Rede davon sein, dass es sich bei Kindesmisshandlung um eine Geisteskrankheit handelt, so die Autoren von Deutschland misshandelt seine Kinder.
„Man muss wohl seelisch krank sein, um ein hilfloses Kind wiederholt schlagen, quälen und demütigen zu können, anstatt es zu beschützen und für sein Wohlergehen zu sorgen.“ (Tsokos/Guddat/Gößling, 2014, 42).
Fakt ist, es gibt zahlreiche Gründe, warum Eltern ihre Kinder misshandeln. Dabei gibt es gleich mehrere Faktoren, die sich quasi vermischen und nicht nur den einen Auslöser. Bei einer schwierigen eigenen Biografie mit vielfältigen und steigenden Belastungen in einer Familie steigt das Risiko für eine Kindesmisshandlung an. In der Literatur gibt es etliche verschiedene Erklärungsversuche zum Thema Kindesmisshandlung. In diesem Buch werden die Ursachen für KM im 2. Kapitel insgesamt etwas kürzer gehalten, da im Rahmen dieses Buches der Fokus auf der psychopathologischen Erklärungshypothese liegen soll.
Die psychopathologische Erklärungshypothese besagt, dass aller Wahrscheinlichkeit nach affektive Störungen, beispielsweise Depressionen, in Kombination mit Persönlichkeitsproblemen seitens der Eltern als Auslöser für eine Misshandlung des Kindes verantwortlich sind. Psychische Erkrankungen und Persönlichkeitsprobleme sind oftmals auf eigene Gewalt- und Ablehnungserfahrungen der Eltern in ihrer Kindheit zurückzuführen. Im Mittelpunkt dieser These steht die Weitergabe der Gewalt über Generationen (vgl. Krieger et al., 2007, 35). Beispielsweise schreibt Cierpka über den Empathiemangel, der das ehemalige Opfer zum Täter werden lässt (vgl. Cierpka/Cierpka, 2012, 319). Die Gefühle des Kindes können nicht adäquat wahrgenommen werden, da in der eigenen Kindheit keine emphatische Affektspiegelung von der Bezugsperson erfahren wurde (vgl. Cierpka/Cierpka, 2012, 317). Täter, die selbst sexualisierte Gewalt in ihrer Kindheit erfahren haben, neigen dazu, dies später zu reinszenieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass in Misshandlungs- und Missbrauchsfällen aus dem Opfer später ein Täter wird, liegt schätzungsweise bei einem Drittel der Betroffenen (vgl. Engfer, 2016, 19). Die Identifikation mit dem Aggressor spielt in diesem Zusammenhang eine ganz entschiedene Rolle, welche im Kapitel 3.3.1 noch explizit erläutert wird.
Besteht nun eine generelle Gewaltbereitschaft und kommen noch Faktoren wie Stress, emotionale Verstimmungen, überhöhte Reizbarkeit, Überängstlichkeit, geringe Frustrationstoleranz und Überforderung hinzu, so steigt das Risiko weiter an, sein Kind in belastenden Momenten zu misshandeln. Auch plötzlich eintretende prekäre Lebenssituationen, wie der Tod des Partners, Scheidung und/oder Arbeitslosigkeit, können sich zusätzlich förderlich auf eine erhöhte Gewaltbereitschaft gegenüber dem Kind auswirken. Drogenprobleme, Alkoholismus, Eltern, die einen verbal aggressiven Erziehungsstil mit Anschreien oder Drohungen an den Tag legen oder körperliche Strafen generell befürworten oder aber bindungsarm, manipulativ oder impulsiv sind, stellen ein erhöhtes Risiko dar, sein Kind zu misshandeln (vgl. Krieger et al., 2007, 36). Ebenso können zu hohe und unrealistische Erwartungen an das Kind letztlich zu Gewaltanwendung führen (vgl. Deegner, 2010, 29).
Weitere begünstigende Faktoren für KM:
Finanzielle Probleme und Langzeitarbeitslosigkeit führen zu inneren Spannungen und stellen eine hohe psychische Belastung dar (vgl. Krieger et al., 2007, 37). Nicht selten kommt es hier vermehrt zu Aggressionen dem Kind gegenüber, da mit den finanziellen Ressourcen oftmals auch die Frustrationstoleranz und Impulskontrolle der Eltern abnehmen (vgl. Krieger et al., 2007, 38). Eine Legitimierung von Gewaltanwendung im Erziehungsstil aufgrund eigener Gewalterfahrungen nach dem Motto: „Ein Klaps auf den Po hat mir auch nicht geschadet“, ist ein Risikofaktor für Misshandlungen. Oder aber auch die Legitimierung aus kulturellen Hintergründen. In vielen Ländern gehören körperliche Züchtigungen zu einer „normalen“ Erziehung seiner Kinder bis heute dazu. Weitere Risiken stellen fehlende soziale Netzwerke oder wenig soziale Kontakte zu Verwandten oder Freunden dar. Umgekehrt ist dies oft der Fall, wenn vermehrt soziale Kontakte zu anderen Familien mit Gewaltpotenzial besteht (vgl. Deegener, 2010, 31). Oft ist die Rede davon, dass Kindesmisshandlung gerade in unteren Schichten besonders gehäuft vorkommt. Krieger et al. erklärt hierzu, dass dies einerseits durch eine erhöhte soziale Kontrolle zustande käme. Es lägen mehr Anzeigen wegen familiärerer Gewalt vor als in den Oberschichten. Zum anderen verfügten Familien in den unteren Schichten über weniger Kenntnisse von Unterstützungsmöglichkeiten (vgl. Krieger et al., 2007, 37). Die Rechtsmediziner Tsokos, Guddat und Gößling schreiben hierzu, dass ebenso in Villen geprügelt würde, mit dem Unterschied, dass Akademiker ihre Gewalttaten besser zu verbergen und sich im Zweifelsfall durch einen Anwalt zu helfen wüssten (vgl. Tsokos/ Guddat/Gößling, 2014, 47).
Des Weiteren reagieren Eltern gehäuft gewalttätig, wenn sie sich hilflos fühlen und nicht wissen, wie sie mit dem Verhalten des Kindes umgehen sollen, oder um dem Kind ihre Autorität und ihre Machtposition zu demonstrieren (vgl. Krieger et al., 2007, 41). Kinder können während verschiedener Entwicklungsphasen anstrengend sein, beispielsweise im Säuglingsalter (Schreikinder), während Trotzphasen, später in der Pubertät oder auch bei Beeinträchtigungen wie einer Behinderung. Solche Situationen bringen Eltern nicht selten an ihre Grenzen und können Hilflosigkeit und Ohnmachtsgefühle auslösen (vgl. Krieger et al., 2007, 49). Kommt es vor, dass ein Kind mit „schwierigem“ Temperament Eltern hat, die sowieso schon dazu neigen, impulsiv zu reagieren, so ist dieses Kind besonders gefährdet (vgl. Krieger et al., 2007, 51). Dies rechtfertigt die Taten in keinster Weise, denn das Kind trägt generell nie eine Eigenschuld an seinen Misshandlungen.