Das passte. Von dem, was er von Gerald Kronberg gehört und gelesen hatte, schätzte er ihn als krankhaft ehrgeizig und leistungsorientiert ein.
Malik atmete tief durch. Er verlangt es, gib es ihm, sagte er sich. Es muss gut gespielt und getimt sein. Er zögerte, kniff die Lippen nicht zusammen. Das war zu viel. Dann blickte er langsam zu ihm auf. „Herr Kronberg, das ist wirklich sehr freundlich, und ich schätze Ihr Angebot außerordentlich, aber ich bin leider nur zu Gast hier.“
„Was soll das heißen? Sind Sie im Praktikum?“, fragte der Konzernchef. Es zeichnete sich bereits eine leichte Enttäuschung in seiner Stimme ab.
„Nicht direkt, ich bin als S 100 hier.“ Malik vermied den Blickkontakt, schaute nach unten, sodass Kronberg keine Chance hatte, Gefühle abzulesen.
„Verstehe. Dafür lehnen Sie sich ja ganz schön aus dem Fenster, mein Guter.“
Maliks Nackenhaare stellten sich auf. Er hasste diesen gönnerhaften Ton, aber da musste er jetzt durch, das hatte er sich selbst eingebrockt. Er nickte langsam und hoffte, dass Kronberg die Geste akzeptierte.
Der Konzernchef stieß ein kurzes Lachen aus, schüttelte den Kopf und sagte: „Na, dann kommen Sie auf mich zu, wenn Sie Ihre Zeit abgeleistet haben, vielleicht lässt sich ja was machen, wenn Sie sich gut schlagen.“ Dann nahm er sich vom Salat und zog weiter.
Als Malik wieder aufblickte, stand Suri immer noch da. Im Gegensatz zum Konzernchef fühlte er ihr gegenüber nun allerdings eine deutliche Scham. Kronbergs letzter Triumph sozusagen.
4
Maliks Selbstbewusstsein schwand, gleichzeitig kämpfte er innerlich dagegen an. Jetzt stand er Suri als S 100 gegenüber. In ihren Kreisen galt das vermutlich schon als Kleinkrimineller. Wenn sie wüsste, was er mit Charlie manchmal trieb, konnte er die Sache sicher noch toppen und das Klein streichen. Aber warum scherte ihn das überhaupt? Sie war sowieso in einem anderen Kosmos unterwegs. Er verstand sich selbst nicht recht.
Sie lächelte ihn wieder an, nickte und nahm sich Lollo rosso, Tomaten, Artischockenherzen und von der Balsamicosauce.
„Können Sie mir bitte ein Stück von dem Nonnengansfleisch kurzbraten?“, sprach ihn eine ältere Mitarbeiterin von der Seite an.
„Ähh, ja. Sicher.“ Malik begann, nach der Schale mit dem Vogel zu suchen, von dem er noch nie gehört hatte. Er fragte sich, wer diese Tiere, die er hier in die Pfanne haute, überhaupt fing oder in Fallen lockte. Drohnen, hoch bezahlte Jäger oder Züchter? Drohnenhersteller mit großen halb legalen Jagdgebieten vermutlich.
Während er das Fleisch nach Displayaufforderung wendete, ließ er den Blick durch den Raum schweifen und entdeckte Suri an der linken Fensterseite. Sie saß etwas abgerückt von Gerald Kronberg, dem Gepardenfrettchen und weiteren Wichtigkeit ausdünstenden Führungskräften neben ihrer hochgewachsenen Kollegin und aß schweigend. Der Tisch leerte sich nach und nach. Dann stand auch Suris Kollegin auf, sprach kurz mit ihr. Malik sah auf den Highcontroller. Es war bereits 13.30 Uhr.
Bart kam zu ihm. „Sie können auch bald mal Pause machen. Um 15 Uhr bauen wir das Buffet um. Dann gibt’s Sandwiches, Kuchen, kleine Süßigkeiten und Kaffeespezialitäten.“
Er wollte sich gerade erkundigen, wie lange er eigentlich arbeiten musste, als sich Suris Kollegin an seinen Chef wandte. Malik sah auf ihr Minidisplay. Momoko Sandgruber. Österreichische Eltern mit einem Hang zur Ethnologie, schoss es ihm durch den Kopf.
„Herr Krüger, wir haben Frau Temme ein Drohnentaxi bestellt. Könnten Sie mich kurz begleiten? Ich würde Ihnen noch schnell ihren Mantel aus dem Büro mitgeben“, bat sie ihn.
Bart blinzelte, dann schüttelte er leicht den Kopf. „Das tut mir leid, Frau Sandgruber, aber ich kann hier nicht einfach weg.“
Malik fragte sich, warum sein Chef ablehnte. Wollte er nichts mit den Führungsleuten und ihrem Bereich zu tun haben?
„Ich habe gleich einen Termin, ich kann nicht wieder herunterkommen“, stellte Momoko Sandgruber kühl fest. „Ich hätte ihr es gern erspart, selbst zu gehen. Sie fühlt sich schlapp. Aber dann kann man wohl nichts machen.“
Malik spürte den Reflex, sich anzubieten. Was sollte das? Wollte er Suri beweisen, dass er doch ein ganz lieber Kleinkrimineller war? Nein, es ging nicht um ihn, die Frau war krank, und er wollte ihr einfach etwas Gutes tun.
„Herr Krüger, wenn ich jetzt Pause habe, könnte ich das übernehmen“, sagte Malik.
Der Kantinenmeister nickte. Er schien fast erleichtert.
„Kennen Sie sich auf dem Gelände denn aus?“, fragte Suris Kollegin. „Ich will nicht für verloren gegangene S 100 verantwortlich sein.“
Malik rollte mit den Augen. Trotzdem war es ihm angenehmer, in dieser schnoddrigen Art zu kommunizieren. „Ich gehe davon aus, dass die Kronberg-Highcontroller ein Brotkrumenprogramm haben.“
„Der Junge ist nicht auf den Kopf gefallen“, sagte Momoko Sandgruber und winkte ihm. „Kommen Sie!“
Malik zog seine Schürze aus, legte sie ins unterste Fach hinter der Kochtheke, nickte Krüger zu und folgte ihr. Der Weg führte sie aus dem Gebäude heraus zum Zentralkomplex, wie der Sitz für die Führungskräfte genannt wurde. Ein Park breitete sich vor ihnen aus. Einzelne Gruppen saßen an Holz- oder stabil wirkenden Campingtischen und waren in Gespräche vertieft. Manche schoben auch auf großen 3-D-Wachsglas-Tablets, die in der Mitte vor den Teams lagen, irgendwelche Präsentationen hin und her. Beim Gehen kam es ihm so vor, als flackerten die Farben im Hintergrund. Er blinzelte. Vermutlich war das Gelände nicht so groß, wie es schien, und sie arbeiteten mit einem 3-D-Netz, um die Umgebung angenehmer zu gestalten. Aufwendig und sicher nicht ganz billig.
„Was haben Sie denn angestellt?“, fragte Momoko Sandgruber ihn.
„Und Sie?“, meinte Malik knapp.
Die Mitarbeiterin schüttelte nur den Kopf. Sie traten ins Gebäude ein.
„Nicht autorisierte Person“, meldete der Aufzug. Alles andere hätte Malik auch sehr verwundert.
„Begleitgang, um persönliche Sachen von Suri Temme zu holen“, sagte Momoko Sandgruber.
Sie fuhren in den 100. Stock. Als sich die Türen öffneten, war Malik von der Helligkeit geblendet. Die Glasfronten boten eine 180-Grad-Rundsicht. Nach den ersten Schritten registrierte er, dass auch der Boden beziehungsweise die Decke der 99. Etage transparent war. Ihm wurde leicht schwindelig. Momoko Sandgruber grinste, sagte aber nichts.
Einzelne Arbeitsplätze waren nur durch schmale u-förmige helle Stellwände abgetrennt. Lose eingestreut fanden sich immer wieder Tischgruppen, vermutlich für Meetings, dachte Malik, und dass er hier nie arbeiten könnte. Kein Rückzugsraum, keine Privatsphäre. Er fühlte sich wie eine Playmobilfigur, die auf der Glasplatte eines überdimensionalen Scanners herumspazierte.
Momoko Sandgruber steuerte auf einen der hinteren Arbeitsplätze am Fenster zu und machte an einer schmalen Garderobe Halt. Dort streifte sie einen Mantel mit dezentem Rautenmuster vom Bügel und hielt ihn Malik hin. Er nahm ihn und legte ihn sich über den Arm.
Momoko blickte nach oben ins 101. Stockwerk. Erst jetzt bemerkte er, dass auch diese Ebene mit Glasböden ausgestattet war. Einige Leute traten aus dem Lift und wurden von einer kleinen Abordnung empfangen.
„Ich muss los. Geben Sie dem Aufzug das Stichwort Begleitgang“, sagte Sandgruber und nahm die Treppe schräg vor ihm.
Malik vermied es, beim Gehen nach unten zu sehen, und war froh, als sich die Lifttüren schlossen. Kein Wunder, dass Bart sich nicht aufgedrängt hatte. Er machte seine Ansage und der Aufzug begab sich auf Fallkurs. Malik ging davon aus, dass das Sicherheitssystem seine Körpermaße und Kleidung sowie Gewicht, vielleicht auch weitere Eckdaten gespeichert hatte und ihm deshalb den Austritt