In diesem Buch werden wir sehen, wo künstliche Intelligenz in unserem Alltag schon überall ist. Wir werden ein Gefühl dafür entwickeln, wie Maschinen programmiert werden, und zwar egal, ob intelligent oder nicht. Wir werden uns daher zum einen mit der Sprache der Maschinen beschäftigen. Und da Sprache ohne Struktur keinen Sinn ergibt, werden wir uns auch kurz mit den Algorithmen beschäftigen und sehen, wie diese Handlungsanweisungen an die Maschinen funktionieren. Damit die Maschinen nicht nur unsere Handlungsanweisungen brav verfolgen, sondern auch ein bestimmtes Ergebnis erarbeiten, schauen wir uns außerdem an, was ein Modell ist und wie man so ein Modell aus der komplexen Realität herleiten kann. Dann folgen die wichtigsten Methoden des maschinellen Lernens, ein spannendes Thema und, wie gesagt: garantiert ohne Mathematik-Formeln!
Später schauen wir uns anhand vieler Praxisbeispiele an, in welchen unterschiedlichen Bereichen KI eingesetzt wird, bei der Jobsuche, im Gesundheitswesen – wie aktuell bei der weltweiten Bekämpfung der Covid19-Pandemie, in der Landwirtschaft, Umweltforschung oder Finanzwelt. Wir werden uns auch noch über Risiken wie Diskriminierung unterhalten und warum diese entstehen. Dabei wird uns zum Beispiel die Weiße-Männer-KI begegnen, und wir werden sehen, warum Homogenität in Entwicklerteams nicht nachhaltig ist und dringend geändert werden muss. Und zum Schluss geht es darum, wie wir alle dafür sorgen können, dass wir die richtige Zukunft bauen, und wie sich jeder einbringen kann, egal ob Informatiker oder nicht. Denn die Zukunft gehört uns allen, und die sollten wir nicht leichtfertig einigen wenigen überlassen.
Und nun schließt kurz die Augen, und stellt euch vor, ihr seid sieben Jahre alt. Mit genau dieser Lebensbegeisterung und Neugierde solltet ihr die folgenden Seiten durchlesen. Viel Spaß dabei!
DIE KUNTERBUNTE WELT DER TECHNIK
Wo wir ihr begegnen und warum wir keine Angst vor ihr haben müssen
Es ist ein sonniger Herbsttag im Jahr 2001. Ich sitze in einem Unterrichtsraum der Universitat de València und höre, wie Professor Emilio Soria mit Begeisterung erklärt, was ein neuronales Netz ist. Zum ersten Mal in meinem Studium habe ich das Gefühl, dass ich den richtigen Studiengang gewählt habe. Ich mag Mathematik, und konkrete Zukunftsaussichten sind mir auch wichtig. Die Telekommunikationsbranche ist in diesen Jahren im Aufbruch, und so habe ich mich für Telekommunikationsingenieurwesen mit Schwerpunkt Elektrotechnik eingeschrieben.
Ich bin in Marokko zur Schule gegangen, dort bin ich sehr gut in Mathe und Physik ausgebildet worden, aber einen Computerraum hatten wir nicht. Programmieren ist für mich neu und Leiterplatten allenfalls etwas, was ich im Müll gesehen habe, wenn irgendein kaputter Fernseher oder Mixer nur noch Schrott war. (Eine Leiterplatte, auch Platine genannt, ist übrigens die Platte, auf der die elektronischen Bauteile eines Elektrogeräts befestigt sind. Meistens sind sie grün mit vielen kleinen Teilchen darauf.) Aber an diesem sonnigen Tag im spanischen Herbst zeigt mein Studium plötzlich sein menschliches Gesicht. Emilio erklärt uns, wie die Nervenzellen (Neuronen) im menschlichen Gehirn funktionieren, und zwar aus der Perspektive eines Elektrotechnik-Professors. Wenn wir etwas denken, zum Beispiel »Ich habe Hunger«, dann wandert die Information mittels Neurotransmitter (chemische Botenstoffe), aber auch in Form eines Elektroimpulses von einer Nervenzelle über die Synapsen zur nächsten Zelle und verbreitet sich so im ganzen neuronalen Netz. Also in diesem Fall dem Gehirn, bis dieses meinen Körper zum nächsten Snackautomaten steuert. Das habe ich in der Schule bereits gehört. Neu ist für mich allerdings, dass solche Phänomene auch technisch herstellbar sind. Bereits in den Vierzigerjahren, zeitgleich zum ersten Einsatz programmierbarer Computer auf elektronischer Basis, haben sich Forscher dafür interessiert, Verknüpfungen von elementaren Einheiten herzustellen, um jede logische oder arithmetische Funktion berechnen lassen zu können. Ähnlich, wie die Neuronen im Gehirn vernetzt sind.
Sich anzuschauen, wie die Natur funktioniert, um bestimmte Probleme zu lösen, ist nichts Neues. Die Menschen haben immer Phänomene der Natur auf die Technik übertragen, um vom evolutionären Prozess der Natur lernen und profitieren zu können. So hat zum Beispiel Leonardo da Vinci die Idee entwickelt, den Vogelflug auf Flugmaschinen zu übertragen. Heute werden hydrophobe Glasoberflächen gebaut, inspiriert von der Lotosblume, die eine wasserabweisende mikro- und nanoskopische Oberflächenarchitektur hat, die nicht nur die Haftung von Wasser, sondern auch von Schmutzpartikeln minimiert. Darüber freue ich mich als Brillenträgerin besonders.
Unsere menschliche Fähigkeit zu lernen sollte also auf die Computer übertragbar gemacht werden. Denn unsere neuronalen Netze haben die wunderbare Eigenschaft, komplexe Muster erlernen zu können, und zwar nicht nach einer fixen Logik und klar definierten, unveränderbaren Regeln, sondern nach einer intuitiven Musterverarbeitung. Je öfter ein neuronales Netz eine Lernerfahrung macht, desto erfolgreicher wird es das Muster erkennen. So lernt unser Gehirn ein ganzes Leben lang. Die digitale Abbildung dieses Lernens eröffnet natürlich ein riesiges Potenzial für die Forschung, denn damit können Experimente durchgeführt werden, die mit natürlichen neuronalen Netzen nicht möglich sind. Gerade auf dem weiten Feld der Medizin bieten sich dafür großartige Optionen: So kann man zum Beispiel ein künstliches neuronales Netz darauf trainieren, gut- und bösartige Hautveränderungen voneinander zu unterscheiden, indem man es mit vielen Tausend Bildern und der jeweiligen Diagnose füttert. Dieselbe Anzahl an Bilder anzuschauen, auszuwerten und eine Diagnose auszusprechen wäre für einen Menschen in derselben Zeit unmöglich. Unser Gehirn hat einfach natürliche Grenzen, die wir nicht steuern können, und so können künstliche neuronale Netze eine große Hilfe sein.
Alles technisch? Logisch!
Dieser Herbsttag war der echte Anfang meiner Leidenschaft für die Technik. Ich hatte endlich den Eindruck, etwas Sinnvolles mit den Leiterplatten anfangen zu können.
Bis dahin basierte alles, was ich im Studium lernte, auf der booleschen Algebra, verkürzt gesagt: der Lehre der Nullen und Einsen. Egal, was man über den Bildschirm einprogrammiert hat, ist am Ende in der Leiterplatte als Null, also »Strom aus«, oder Eins, »Strom an«, angekommen. Diese binäre Methodik bildet die Grundlage für die digitale Elektronik, genauso wie die Mathematik darauf aufbaut, dass etwas entweder »wahr« oder »falsch« sein kann.
Was mich daran schon immer gestört hat: Wieso soll ich alles in Schwarz und Weiß darstellen, wenn unsere Welt doch so viel komplexer und bunter ist?
Eine erste positive Überraschung war es, als mir die »Fuzzylogik« begegnete, auch Unschärfelogik genannt. Demnach kann man den Satz »Das Wasser ist sehr warm« etwa so modellieren: »Das Wasser ist zu 80 Prozent warm und zu 20 Prozent heiß.« Das erlaubt den Programmierern dann unpräzise beziehungsweise unscharfe sprachliche Ausdrücke wie »sehr«, »ein bisschen«, »etwa« in präzisen Code umzuwandeln.
Dank dieser Logik kann man nicht mehr nur die Antworten »ja« und »nein« ausdrücken, auch das »vielleicht« bekommt ganz offiziell seinen Platz in der Elektronik. Das erinnert mich an eine Karikatur, die den Titel »Das erste Betriebssystem für Frauen« trug. Da saß eine Frau am Rechner, auf dem Bildschirm vor ihr stand die Frage »Wollen Sie das Dokument speichern?« und darunter die Antwortmöglichkeiten »ja«, »nein«, »vielleicht«. Die Fuzzylogik wird zwar nicht wie in der Karikatur verwendet, aber sie erlaubt es, komplexe und unpräzise Phänomene so zu modellieren, dass die unscharfen Eigenschaften bestehen bleiben. Diese Logik wird heute in vielen Steuerungssystemen verwendet. Die Japaner waren auf diesem Gebiet die Pioniere und setzte sie bereits in den Achtzigerjahren für die Zugsteuerung der vollautomatischen U-Bahn Sendai ein.
Solch eine Komplexität einzuprogrammieren ist natürlich nicht einfach, und wenn statistische Werte fehlen, wie im Beispiel mit dem »sehr warmen Wasser«, dann wird die Herausforderung, das Ganze abzubilden, für das Programmierteam sehr groß.
Seit dem Tag, an dem ich meine Begeisterung für künstliche neuronale Netze und Fuzzylogik entdeckt habe, hat sich die Technologie enorm weiterentwickelt. Sie ist noch viel näher an die menschliche Denkweise herangerückt, als das anfangs vorstellbar war.
Viele Menschen halten Technik aber immer noch für ein