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      Hartmut kichert.

      Ich überlege, ob ich ihn fragen soll, wieso er keine Probleme damit hat, dass Jens als Deutscher dem Franzosen in seine zerbombten Ruinen scheißt, sage aber nichts. Man kann froh sein um jede Minute, in der Hartmut auf andere Gedanken kommt.

      »Nun mach schon«, hetzt er unseren Hektiker, der sonst nie so viel Geduld hat wie beim Aufsuchen einer geeigneten Kackstelle. Er hat dieses Ritual für sich zur Kunst erhoben. Hartmuts Vorschlag, alle Örtchen in Europa, die Jens mit seiner Wurst markiert hat, auch auf der Landkarte zu markieren, hat dieser schon am zweiten Tag der Reise mit Begeisterung angenommen. Die Karte klebt auf dem Kühlschrank im Bus und macht mächtig Eindruck.

      »Hier«, sagt Jens und hockt sich zwischen die Trümmer. Man kann kaum was erkennen. Ich höre nur, wie er seinen Gürtel löst und die Schnalle gegen etwas Metallisches knallt. Dann zieht er die Jeans nach unten.

      »Uhhh«, gibt er ein paar Sekunden später ein Geräusch der Freude von sich. Ich stehe in einer Ruine am Hafen von Bordeaux und bin im Urlaub mit einem Mann, der sich ständig darum sorgt, was deutsche Generäle vor über sechzig Jahren hier angerichtet haben und einem, der ständig in unserer Gegenwart unter freiem Himmel seinen Unrat abseilt.

      »Oh Gott, Jens!«, ruft Hartmut und meint damit den Geruch, den man eher mit »Oh Teufel, Jens!« kommentieren sollte.

      »Fünf Prozent Tomatensuppe, fünf Prozent Pfeffersalami und neunzig Prozent Hansa«, quetscht Jens zwischen den Zähnen hervor. Mir macht das nichts aus. Daheim in unserer Wohnung im Hochhaus gibt es keine Schlüssel. Seit ich denken kann, kommt meine Mutter ins Bad, wenn ich in der Wanne liege, und setzt sich aufs Klo zum Kacken. Einfach so. Als wäre ich kein Sohn, sondern ein Karpfen. Ein Hauskarpfen in der Badewanne. Dass dies nicht die übliche Verhaltensweise von Eltern ist, habe ich erst kürzlich im Gespräch mit Hartmut erfahren.

      »Uhhhohhh!«

      Jens drückt fester. Plötzlich knackt es. Mit einem lauten Scheppern setzen sich Trümmerteile des Hauses in Bewegung wie eine Lawine. Hartmut quietscht und fuchtelt mit der Lampe. Jens schreit. Ich höre, wie er versucht, sich die Hose wieder hochzuziehen und stürzt. Die Gürtelschnalle knallt wie eine Flipperkugel gegen Holz, Stahl und Stein. Jens kreischt wie am Spieß. Ich sehe ihn schon eingeklemmt wie in einem Katastrophenfilm, das Bein halb amputiert, doch da huscht er an uns vorbei aus dem Gebäude, wir hinterher, während die Lawine hinter uns ihren Lauf nimmt. Was immer da alles an französischer Vergangenheit ins Rutschen gekommen ist, hört nach ein paar Sekunden mit dem Lärmen auf, doch Jens‘ entsetzte Schreie schallen weiter über den Parkplatz.

      »Was ist denn?«, sagt Hartmut, »was ist denn bloß?«

      Er leuchtet Jens an, der sich wegdreht und brüllt: »Nicht leuchten!«

      Aber es ist zu spät.

      In der halben Sekunde, die Hartmuts Lampe unseren Freiluftscheißer streift, sehe ich die Katastrophe. Das Haus muss in dem Moment zusammengebrochen sein, als die Wurst wie eine deutsche Bombe Richtung französischer Muttererde fiel … und exakt in dem Augenblick hat Jens versucht, mit halb hochgezogener Hose zu fliehen.

      »Ich brauche Wasser! Ich brauche ganz schnell Wasser!«, kreischt Jens in Panik vor seinen eigenen Kolibakterien, reißt sich die vollgeschissene Hose vom Leib und läuft in Boxershorts auf den Rand des Kais zu.

      »Das ist zu tief!«, ruft Hartmut. »Nicht!!!«

      In der Tat.

      Vom Rand des Kais bis zur Wasseroberfläche sind es gute acht Meter. Die Reling des Kriegsschiffs wiederum ragt circa zwei Meter über die Kai-Ebene. Die Brücke hinüber ist eingezogen. Zwischen Kai und Schlachtschiff klafft ein tiefer, unüberwindlicher Graben. Lediglich die meterlangen, dicken Taue, mit denen der Gigant an den Pollern festgemacht ist, verbinden das Festland mit dem Kriegsmonstrum.

      »Die haben Wasser an Bord!«, brüllt Jens. »Sie müssen! Eine Toilette für Touristen!«

      »Nein!«, ruft Hartmut.

      »Das Stadtklo«, rufe ich, »es gibt doch noch das Stadtklo!«

      Doch es ist zu spät.

      Schon im Normalzustand kann man einen Hektiker mit ADHS nach einer halben Palette Bier kaum von irgendetwas abhalten – aufgeputscht vom Ekel über seine eigenen Exkremente ist es vollkommen aussichtslos. Jens wirft sich auf das dicke Tau der Colbert und beginnt acht Meter über dem Wasser Richtung Deck zu robben. Das Tau hat den Umfang eines kleinen Baumstamms und besteht aus diesem harten, kratzenden Material, das einem schon vom Gucken die Haut abzieht.

      »Das darf doch nicht wahr sein!«, ruft Hartmut.

      »Es ist alles wahr«, sage ich und schaue mir den Wahnsinn mit ihm vom Kai aus an. Da kriecht er, der deutsche Mann, und entert ein französisches Kriegsschiff in Unterhosen. Kleine braune Spuren bleiben auf dem Tau zurück an den Stellen, die er bereits passiert hat.

      »Das kann doch nicht gutgehen«, sagt Hartmut.

      »Nein«, sage ich, »das Klo auf dem Boot wird geschlossen sein. Das ganze Boot wird geschlossen sein.«

      »Komm zurück, ich wasch dich auch!«, ruft Hartmut.

      Jens robbt.

      »Nicht zurückkommen!«, rufe ich, »zurück ist schwerer als vorwärts. Das musst du jetzt zu Ende bringen!«

      Hartmut leuchtet mir ins Gesicht.

      »Lampe aufs Tau!«, befehle ich.

      Hartmut gehorcht.

      In ein paar Wochen wird er ins Hospital gehen und seinen Zivildienst antreten. Ich lerne dann bei der Bundeswehr das Schießen und Morden auch abseits der Playstation. Das weiß er.

      Jens hat die halbe Strecke auf dem schwindelerregenden Tau zurückgelegt und fängt nun an, hoch über den Fluten, zu jammern.

      »Ich kann nicht mehr!«

      »Er kann nicht mehr«, sagt Hartmut, als könnte ich nun was dafür.

      »Komm zurück!«, ruft Hartmut.

      »Bring es zu Ende!«, rufe ich.

      Hartmut zischt.

      Ich sage: »Manchmal zählt im Leben nur die Konsequenz. Gerade, wenn man was Unvernünftiges angefangen hat.«

      Jens heult und kriecht weiter. Haut auf Tau. Die Unterhose bleibt hängen und rutscht.

      »Es tut so weh!«, klagt Jens. »Es reißt mir den Schwanz ab!«

      Als Videospieler und angehender Killer der Bundeswehr weiß ich: Jetzt helfen nur noch klare Befehle. Wie damals bei Heinz Brausewind.

      »Du kriechst jetzt da rüber, Soldat!«, belle ich. »An Deck angekommen, wartest du auf uns. Wir werfen dir deinen Seesack rüber mit frischer Kleidung und Decken. Du versteckst dich irgendwo, und am Morgen, wenn sie das Museum öffnen, schleichst du dich mit den ersten Touristen rein, machst dich auf dem Klo sauber und schleichst dich mit den nächsten wieder raus.«

      Hartmut leuchtet mir wieder ins Gesicht, dieses Mal wie um zu prüfen, wo denn bei einem Badewannen-Faulenzer wie mir auf einmal dieser kantige Autoritätston herkommt.

      »Lampe aufs Tau, Hartmann!«

      Hartmut richtet die Lampe aufs Tau.

      Jens jammert.

      »Jammern Sie nicht!«, keife ich und klinge bald tatsächlich wie einer meiner Vorfahren, die hier in französischem Blut gebadet haben. Dass man immer, wenn es im Leben ums Ganze geht, so einen Ton anschlagen muss.

      »Es scheuert. Es scheuert so teuflisch!«

      »RAUF-AUF-DIE-SES-VER-DAMM-TE-SCHIFF!«

      Hartmut hält die Lampe brav auf das kriechende Häufchen Elend, schaut sich aber um, als wolle er sich vergewissern, dass uns dieses Mal wirklich keiner hört. Ich gebe zu, diese Aktion ist etwas verfänglicher als mit Tomatensuppe den deutschen Vampir zu mimen.

      »Die