Der Sieg der Passivität über die aktive Mitbestimmung ist erschütternd. Anscheinend wollen die Verbraucher derzeit gar nicht so klug sein, wie sie – also wir alle – sein könnten. Aber die Verbraucher geben nicht nur der Oberflächlichkeit und Passivität den Vorzug, sondern sie haben auch stillschweigend eingewilligt, sich rund um die Uhr ausspionieren zu lassen. Tatsächlich sind die beiden Trends im Grunde einer.
Damit der Mensch den Verlust der Freiheit widerspruchslos akzeptiert, muss man diesen Verlust anfangs wie ein Schnäppchen wirken lassen. Den Verbrauchern werden »kostenlose« Dienste angeboten (etwa Suchmaschinen und soziale Netzwerke), wenn sie sich dafür ausspionieren lassen. Die einzige »Macht«, die der Verbraucher hat, besteht darin, nach einem besseren Angebot Ausschau zu halten.
Die einzige Möglichkeit, nein zu dieser Pseudo-Alternative zu sagen, besteht darin, die Rolle des Verbrauchers abzustreifen, über sie hinauszuwachsen.
Frei sein bedeutet, eine Privatsphäre zu haben, in der Sie Ihren eigenen Gedanken nachhängen und Ihre eigenen Erfahrungen machen können, bevor Sie diese der Welt draußen präsentieren. Wenn Sie an Ihrem Körper ständig Sensoren tragen – etwa das GPS und die Kamera an Ihrem Smartphone – und ständig Daten an einen Mega-Computer senden, der einem Konzern gehört, der von »Werbekunden« dafür bezahlt wird, dass er die Ihnen direkt zur Verfügung stehenden Optionen manipuliert, werden Sie mit der Zeit Ihre Freiheit verlieren.
Es ist nicht nur so, dass Sie wildfremde Menschen reich machen, ohne selbst dabei reich zu werden, sondern Sie akzeptieren einen Angriff auf Ihren eigenen freien Willen, Bit für Bit. Damit aus der Technik eine Möglichkeit wird, die uns mehr Selbstbestimmung bietet, müssen wir bereit sein, so zu handeln, als ob wir in der Lage wären, mit Macht umzugehen.
Wenn wir jetzt »kostenlose« Dienstleistungen verlangen, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir eines Tages dafür bezahlen werden. Wir müssen eine Informationsökonomie für uns verlangen, in der mit der Flut alle Boote nach oben gehoben werden, weil die Alternative eine grenzenlose Machtkonzentration ist. Eine Überwachungsökonomie ist weder nachhaltig noch demokratisch.
Das Internet wird oft mit dem Wilden Westen verglichen, mit seinen Pionieren und Banditen und dem Versprechen von kostenlosem Land (das in erster Linie natürlich nur über eine monopolisierte Eisenbahngesellschaft erreichbar war). Wir haben uns schon früher von dieser Schnäppchenmentalität gelöst und können das wieder tun.
Angesichts unserer wachsenden technischen Möglichkeiten müssen wir über unsere weitere Entwicklung entscheiden. Wann werden wir stolz genug sein, um es mit unseren eigenen Erfindungen aufzunehmen?
Teil 1 Erste Runde
Kapitel 1 Motivation
Das Problem
Wir sind daran gewöhnt, Informationen als »kostenlos« zu betrachten,3 aber das funktioniert nur, solange der Großteil der Wirtschaft nicht auf Informationen basiert, ansonsten würden wir für diese Illusion einen hohen Preis bezahlen. Heute können wir uns Informationen immer noch als immateriellen Grundstoff vorstellen, der Kommunikation, Medien und Software erst möglich macht. Doch es wird nicht mehr lange dauern, da werden sich die Menschen wundern, wie naiv und kurzsichtig die Vorstellung von der Natur der Informationen einst gewesen waren. Unser derzeitiger Informationsbegriff ist deshalb so eng gefasst, weil Bereiche wie Industrie, Energie, Gesundheitswesen und Verkehr noch nicht stark automatisiert oder netzwerkzentriert sind. Aber irgendwann wird der Großteil der Produktivität »softwarevermittelt« ablaufen. Software könnte die letzte industrielle Revolution sein. Sie könnte alle kommenden Revolutionen zusammenfassen. Ein Anfang wäre beispielsweise, dass Autos und Lastwagen nicht mehr von Menschen gesteuert werden, sondern von einer Software, dass 3D-Drucker wie von Zauberhand Güter ausspucken, die früher in Fabriken aus Einzelteilen zusammengebaut wurden, dass automatisierte Baumaschinen Rohstoffe finden und abbauen und Roboter bei der Pflege von Senioren eingesetzt werden. (Auf diese und andere Beispiele werden wir später noch genauer eingehen.) Die digitale Technologie wird vielleicht noch nicht in diesem Jahrhundert die Wirtschaft dominieren, aber früher oder später wird es dazu kommen.
Möglicherweise wird die Erfüllung der alltäglichen Bedürfnisse dank der Technologie so günstig, dass es praktisch nichts mehr kostet, gut zu leben, und sich niemand mehr Gedanken um Geld, Arbeit, die ungleiche Verteilung von Vermögen oder die Altersvorsorge machen muss. Allerdings bezweifle ich stark, dass dieser schöne Traum Wirklichkeit werden wird.
Denn wenn wir so weitermachen wie bisher, erwartet uns wahrscheinlich eine Zeit massiver Arbeitslosigkeit mitsamt den damit verbundenen politischen und wirtschaftlichen Unruhen. Der Ausgang dieser Entwicklung lässt sich nicht vorhersagen, doch wir sollten diesen Ansatz bei der Gestaltung unserer Zukunft ohnehin verwerfen.
Stattdessen wäre es klüger, im Voraus zu überlegen, wie wir langfristig mit einem hohen Maß an Automatisierung leben können.
Sich damit abfinden oder die Klappe halten
Seit Jahren kritisiere ich das Verhältnis zwischen digitaler Technologie und Mensch. Ich liebe die digitale Technologie, und die Menschen liebe ich sogar noch mehr, allerdings ist das Verhältnis aus dem Gleichgewicht geraten. Natürlich werde ich oft gefragt: »Was würden Sie denn stattdessen tun?« Wenn sich die Frage auf Privates bezieht, also etwa »Soll ich mich bei Facebook abmelden?«, dann ist die Antwort einfach: Das müssen Sie für sich entscheiden. Ich will mich nicht als Guru aufspielen.4
Doch auf wirtschaftlicher Ebene sollte ich eine Antwort parat haben. Dass sich die Menschen bis zur Selbstaufgabe einem digitalen Phänomen hingeben, das deutliche Züge eines überirdischen Wesens hat, hat seinen kulturellen, intellektuellen und spirituellen Preis. Es gibt aber auch materielle Kosten.
Die Menschen machen sich ärmer, als sie sein müssten. Wir schaffen eine Situation, in der eine immer ausgereiftere Technologie langfristig eine immer höhere Arbeitslosigkeit und eine Zunahme der sozialen Missstände bedeutet. Stattdessen sollten wir eine Zukunft anstreben, in der es immer mehr Menschen gutgeht, selbst wenn die Technologie voranschreitet wie bisher.
Gängige digitale Konzepte behandeln Menschen nicht als etwas Besonderes. Wir werden vielmehr als kleine Rädchen in einer gigantischen Informationsmaschine betrachtet. Dabei sind wir die einzigen Lieferanten der Informationen und gleichzeitig ihr Bestimmungsort, das heißt, wir geben der Maschine überhaupt erst ihren Sinn. Ich möchte eine alternative Zukunft aufzeigen, in der Menschen angemessen berücksichtigt und als etwas Besonderes betrachtet werden.
Wie das gehen soll? Man muss die Menschen für die Informationen bezahlen, die man über sie sammelt, falls sich diese Informationen als wertvoll erweisen. Wenn die Überwachung von Personen Daten ergibt, die es einem Roboter ermöglichen, wie ein natürlicher Gesprächspartner zu wirken, oder man Informationen erhält, die bei einem Wahlkampf dafür sorgen, den Wählern die richtigen Botschaften zu übermitteln, dann sollte die Nutzung dieser wertvollen Daten den Urhebern – also Ihnen – auch Geld einbringen. Schließlich gäbe es diese Daten ohne Sie gar nicht.
Die Vorstellung, dass die Informationen der Menschheit kostenlos sein sollten, ist idealistisch und verständlicherweise auch populär, aber wenn niemand verarmen soll, muss man für Informationen bezahlen. Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Software und Netzwerken können wir entweder weiterhin an kostenlosen Informationen festhalten, was jedoch mit finanzieller Unsicherheit für fast alle verbunden wäre, oder aber für Informationen bezahlen und auf diese Weise die Mittelschicht stärken. Die erste Möglichkeit mag vielen als ein Ideal erscheinen, das man ungern aufgibt, doch die zweite bietet eine realistische Aussicht auf eine beständige Demokratie und ein Leben in Würde.
Eine erstaunliche Anzahl Menschen produziert über Netzwerke eine erstaunliche Menge an Wert. Doch der Löwenanteil des Vermögens geht heute an diejenigen, die diese Daten