Auch Kate sah den Hang hinunter.
»Es sieht aber alles ruhig aus«, murmelte sie, wobei ihr Blick über die Phlegräischen Felder hinweg schweifte.
»Nischt ganz«, meinte Etienne. »Siehst du das? Diesen gelben Schimmer? Es ist im Dunkeln besser su se’en, als am helllischten Tag.«
Kate sah genauer hin.
An einigen Stellen schimmerte es tatsächlich gelblich.
»Und was ist das?«, wollte sie wissen.
»Das könnte Schwefel sein«, mutmaßte Etienne. »Aber wir können daran nischts ändern. Wir sollten versuchen su schlafen, Kate. Wir und vor allem du musst morgen fit sein.«
»Du hast recht«, nuschelte sie, wobei sie ein Gähnen nicht mehr unterdrücken konnte.
»Schlaf gut, Kate«, sagte Etienne. Er gab ihr rechts und links einen freundschaftlichen Kuss auf die Wangen, dann wandte er sich von ihr ab und ging wieder auf seine Wohnung zu.
Am nächsten Morgen wurden die Freunde erst ziemlich spät wach.
»Möchtest du nicht langsam aufstehen?«, brummte Will. »Es ist gleich zehn Uhr und Jack wollte im Laufe des Vormittags eintreffen. Außerdem wollten uns Sharon und Hurley die Kirche zeigen und mit uns zum Pfarrer fahren.«
»Mist«, murrte Kate. »Ich springe nur noch schnell unter die Dusche.« Rasch stand sie auf und verschwand im Bad.
»Ich habe uns Kaffee gekocht«, rief ihr Will hinterher. Er nahm sich seine Tasse und ging damit auf die Terrasse.
»Guten Morgen«, begrüßte ihn Allen. Er saß ebenfalls draußen in der warmen Sonne und trank einen Milchkaffee.
»Oh, ich dachte, ihr schlaft noch«, sagte Will.
»Ich hätte tatsächlich noch zwei Stunden schlafen können, aber mit den Kindern ist das nicht so einfach. Die waren um acht schon wieder topfit.«
»Wo sind sie denn?«
Allen deutete über die Wiese zur Schaukel.
»Sich austoben, damit sie später wieder müde werden.«
Lachend nahm Will an einem kleinen Tisch auf seiner Terrasse Platz.
Kurz darauf kam auch Kate zu ihm.
»Guten Morgen, Allen«, sagte sie und setzte sich zu ihrem Mann an den Tisch, dann fiel ihr wieder das Beben ein, das sie und Etienne vor wenigen Stunden gespürt hatten. »Wir hatten letzte Nacht ein Erdbeben«, sagte sie.
Geistesabwesend sah Will den Kindern beim Spielen zu.
»Wie kommst du denn darauf?«, brummelte er.
»Weil der Boden gewackelt hat«, antwortete ihm Kate feixend. Die Stirn in Falten gelegt, ließ Will den Blick von den Kindern ab und wandte sich seiner Frau zu.
»Wann? Ich habe nichts davon mitbekommen.«
»Du hast zu diesem Zeitpunkt ja auch schon laut geschnarcht. Etienne hat es aber auch gemerkt.« Sie sah an Allens Terrasse vorbei, doch bei dem Franzosen war noch alles zu. »Er schläft wohl noch«, vermutete sie.
»Woher weißt du, dass Etienne davon was mitbekommen hat?«, wunderte sich Will.
»Er stand auf seiner Terrasse, als ich nachsehen wollte, ob der Berg und diese merkwürdigen Felder noch heil sind.«
»Es wird kein Ausbruch stattfinden, Kate.«
»Und woher willst du das so genau wissen, Will?«
»Die würden die Bevölkerung warnen. Das würden wir doch mitbekommen.«
»He«, machte Allen. Er deutete an Will vorbei zu den Olivenhainen »Da hinten kommt Hurley gerade mit dem Bus zurück. Ich glaube, er hat Jack abgeholt.«
»Das ging ja fix«, freute sich Will. Er stellte seine Tasse ab und stand auf. »Kommst du mit, Kate?«
»Klar.« Auch sie stand rasch auf und folgte ihrem Mann über die breite Wiese.
»Wer steigt denn da noch aus?«, wunderte sich Kate, während sie auf den Bus zugingen. »Ich kann Hurley erkennen und das da ist Jack, aber, …, aber, …, das gibt’s doch nicht?« Kate sah ungläubig zu Will. »Ist das etwa? Das ist doch«, stotterte sie.
Auch Will war völlig perplex.
»Siehst du, was ich sehe?«, japste er.
Sie sahen beide noch einmal zu dem Mann, der hinter Jack aus dem Bus gestiegen war.
»Ich glaube, ich träume«, hauchte Kate. »Ist das nicht Tom?«
Will nahm seine Frau an die Hand und rannte mit ihr auf die Männer zu.
»Das ist er!«, rief Will. »Deshalb kam Jack einen Tag später. Er hat ihn ausfindig gemacht, dieser Teufelskerl.«
»Da kommen die beiden ja«, konnten sie Jack sagen hören, wobei er auf sie deutete.
Schnaufend kamen sie bei ihnen an.
Tom sah umwerfend attraktiv aus. Er war braun gebrannt, hatte dunkle kurze Haare, nur sein Dreitagebart, den Kate noch in Erinnerung hatte, war weg.
»Hallo«, begrüßte er sie grinsend.
Will umarmte ihn und schlug ihm freundschaftlich auf den Rücken.
»Tom, altes Haus. Mensch ist das toll, dich wiederzusehen.«
»Ja. Ich habe es selbst nicht glauben können. Jack hat mich plötzlich angerufen und gefragt, ob ich Lust hätte, bei eurer Hochzeit dabei zu sein. Ihr heiratet also?«
»Standesamtlich sind wir schon verheiratet, jetzt folgt noch die kirchliche Trauung«, erklärte ihm Will.
Tom wandte sich jetzt Kate zu und nahm sie in seine Arme.
»Ich kann’s gar nicht glauben«, sagte er. »Wie lange ist das her, dass wir uns gesehen haben?«
»Viel zu lange«, antwortete sie ihm. »Es kommt mir sogar länger vor, als unser Urlaub in Venezuela wirklich her ist.«
Will wandte sich inzwischen an Jack.
»Wie hast du das nur wieder angestellt? Hattet ihr noch Kontakt oder was?«
»Nein, leider nicht«, antwortete ihm Jack. »Es war nicht einfach. Immerhin lebt Tom zurzeit in den Vereinigten Staaten. Bis ich das überhaupt herausbekommen habe, das hat schon eine Zeitlang gedauert, aber Jon war so nett und hat sich bereiterklärt mir zu helfen. Auf seinem Stützpunkt war nicht viel los, da hat er sich für den Zeitraum zu mir versetzen lassen. So haben wir ihn schließlich doch noch rechtzeitig finden können.«
Tom nickte strahlend.
»Ja. Jack hat mir dann erzählt, dass ihr es ernst meint. Das habe ich mir ja damals, in Venezuela schon gedacht. Ihr habt euch ganz schön viel Zeit gelassen.«
Ausgelassen plaudernd folgten sie Hurley, der sie wieder zurück zu der Ferienanlage führte.
»Jon hat ihn schon nach drei Tagen aufgespürt«, erklärte ihnen Jack. »Nachdem er seine Eltern ausfindig gemacht hat, hat er erfahren, dass Tom sich in Amerika aufhält.«
»Und was machst du da?«, wollte Kate wissen.
»Ich bin geschäftlich dort. Aber nur noch ein Jahr, dann komme ich wieder nach England zurück.«
Sie standen jetzt erneut vor der Ferienanlage, an einer weiteren Wohneinheit, bei der Hurley Jack einen Schlüssel reichte.
»Ihr beide wohnt zusammen hier drinnen. Ich habe mit dir ja schon darüber gesprochen, Jack. Wir haben nur noch diese Einheit frei, aber du warst ja einverstanden?«
»Natürlich. Ich habe Tom gefragt, ob er lieber ein Hotelzimmer haben möchte, oder ob er sich mit mir eine Wohnung teilen möchte. Er hat bei der Wohnung sofort zugesagt. Immerhin haben wir uns allerhand zu erzählen.«