Auf italischem Boden wirkten später die cumäischen Sibyllen, die in Cumae – südlich von Neapel – ein Einweihungszentrum hatten. Es handelte sich um eine Grotte, in der Nähe des Averner Sees gelegen und der Göttin Hekate geweiht; im Altertum galt sie als Pforte zur Unterwelt. In den Sibyllen, in den Priesterinnen von Delphi, in all diesen alteuropäischen Frauenbünden tritt der Sophia-Aspekt der Erdmutter deutlich zutage. Indessen hatte sich in Europa seit der Einwanderung der Indogermanen ein eher patriarchalisches Priestertum herausgebildet, und an die Stelle der von weisen Frauen getragenen Erdreligion trat nunmehr die Religion der (vorwiegend männlichen) Himmels-, Sternen- und Äthergötter der Indogermanen.
Die segensreiche heilbringende Polarität von Himmel und Erde, die ihren Höhepunkt erreichte in der alljährlich begangenen »Heiligen Hochzeit« zwischen Erdmutter und Himmelsvater, wurde dadurch aufgelöst, und das Schwergewicht verlagerte sich nunmehr eindeutig zum Männlichen hin. Die Reihe der Vatergott-Religionen beginnt mit dem Zeus-Glauben der Griechen, sie wurde konsequent herausgebildet in der Jahwe-Religion der Juden, und sie erreicht ihre letzte Vollendung mit dem Christentum, dessen Hauptgebet ja lautet: »Vater unser, der du bist im Himmel«. Für die Große Mutter, für die Erdgöttin, für weibliches Priestertum im Dienste der Erde war nun kein Raum mehr. Das Lebendige, das Wesenhafte der Erde trat somit hinter einen Schleier, der so bald nicht mehr gelüftet werden sollte. Bestenfalls galt »Mutter Erde« noch als die große Gebärerin, als die fruchtbare Eva; aber eine über die bloße Mütterlichkeit hinausgehende spirituelle Sophia-Dimension wurde ihr nicht mehr zuerkannt.
Eine verschleierte Göttin, eine Verhüllte und Unbekannte ist die Erdmutter bis heute geblieben, und doch spricht sie ja ständig zu uns, ohne dass wir es merken: aus den vier Elementen, aus dem Windeswehen und aus dem Flüstern des Wassers, aus Bäumen, Blumen und Steinen, ja aus der ganzen sichtbaren Natur. Aber die geistig erwachenden Menschen unserer Zeit verschließen sich nicht mehr der Stimme der Erde. In dem Maße, in dem das Jahrtausende alte Patriarchat zerbricht, wird eine neue Spiritualität der Erde sich Bahn brechen. Die Erde spricht! Sie mahnt die heutigen Menschen, umzukehren und abzulassen von dem sinnlosen und selbstzerstörerischen Raubbau an der Natur. Die Natur muss wieder jene höhere Weihe erhalten, die ihr als geistgewirkter Organismus zukommt.
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