Der Russe sah misstrauisch um sich, ging aber wahrscheinlich davon aus, dass seine Gefangenen übermüdet waren und wirklich tief schliefen.
Er senkte die Waffe und drehte sich halb zum Eingang um, während er auf Russisch mit einem anderen sprach.
Sofort darauf betrat ein Mädchen in einfacher Kleidung die Scheune und ging auf die scheinbar schlafenden Soldaten an der Rückwand zu.
Der Soldat, der bereits in der Scheune war, ging mit ihr weiter vor, während ein zweiter Soldat durch die Türöffnung trat und zur Mitte der Scheune ging.
Das Mädchen bückte sich, um einen Brocken Brot und eine Kanne Wasser hinzustellen, während der Soldat mit seinem Stiefel Helmuth in die Rippen stieß, um ihn zu wecken.
Helmuth stöhnte, als ob er noch fest schlief und drehte seinen Kopf.
Der Soldat trat ihm darauf kräftiger nochmals in die Rippen.
Während der Soldat, der mitten in der Scheune stand, seine Aufmerksamkeit auf seinen Kameraden gerichtet hatte, kam Mannfred wie ein Geist hoch und war mit zwei Sprüngen neben ihm.
Noch im Sprung schlang er seinen rechten Arm um den Hals des Russen und stieß gleichzeitig sein Kampfmesser durch den Rücken direkt ins Herz seines verdutzten Gegners, der ohne einen Laut zu Boden fiel.
Helmuth hatte gesehen, dass Mannfred hochkam, und hatte im gleichen Moment den Stiefel des Russen mit zwei Händen umklammert, als er den zweiten Tritt in seine Rippen bekam und drehte mit einem Ruck den Fuß des Russen um.
Hierdurch fiel dieser laut aufschreiend vor Schmerzen auf die Seite, direkt in die emporschnellende Faust des bärenstarken Wolff, die sich tief in seinen Kehlkopf bohrte.
Gleichzeitig schlossen sich Horsts Hände wie ein Schraubstock um den Hals des Mädchens, das sich gerade aufrichten wollte.
Horst zog das Mädchen zu Boden und umklammerte es so kräftig, dass sie keine Luft mehr bekam und daher auch nicht mehr schreien konnte. Mannfred hatte, während sein Opfer hinfiel, die Maschinenpistole aus dessen Händen gerissen und drehte sich blitzschnell in die Richtung der Tür, aber dort war offensichtlich niemand mehr.
Dann rollte er ebenso schnell weiter, schob sich vorwärts und haute dem nach Atem ringenden Russen bei seinem Kameraden den Kolben der Waffe auf den Schädel.
Nur ein krachender Schlag genügte, um dem Bewacher den Schädel einzuschlagen.
Mittlerweile hatte Horst das Mädchen losgelassen, das wegen Sauerstoffmangel das Bewusstsein verloren hatte.
Trotz der schnellen Abstumpfung infolge der vier Wochen des rücksichtlosen Kriegs ging ihm das Töten einer Frau doch zu weit.
Einen Moment lang war es still in der Scheune und nur der keuchende Atem der vier deutschen Soldaten war zu hören.
Helmuth war der Erste, der sprach: „Allmächtiger Gott, Mannfred, das war gute Arbeit. Du hast beiden den Garaus gemacht. Aber jetzt nichts wie weg hier!“
Mannfred zog sein Kampfmesser aus dem Rücken des toten Russen und wischte es an dessen Uniform ab, wie er es bei Feldwebel Arthur Fritsche, dem österreichischen Bergsoldaten, gesehen hatte, der ihnen vor drei Tagen geholfen hatte, aus feindlichem Gebiet zu entkommen.
„Gib mir zuerst mal etwas von dem Wasser, denn ich sterbe fast vor Durst“, antwortete er, während er das Kampfmesser wieder in seinen Stiefel wegsteckte.
Er kniete neben das Mädchen, um die Kanne mit Wasser an sich zu nehmen und nahm einige herzhafte Schlucke, bevor er die Wasserkanne an Horst weiterreichte.
„Die Puppe lebt noch“, stellte er fast gleichgültig fest.
„Du hast nur halbe Arbeit geleistet, Horst“, setzte er mit einem Grinsen hinzu.
„Leck mich!“ brummelte dieser griesgrämig. „Wenn einer von euch meint, dass ich als Soldat Frauen und Mädchen ermorden werde, dann irrt ihr euch gewaltig. Da mache ich nicht mit. Macht es selber, wenn es unbedingt sein muss.“
„Reg“ dich nicht auf, Mensch, beschwichtigte Helmuth. „Ich hätte das auch nicht gekonnt, und vielleicht ist es auch besser so. So kann Mannfred wahrscheinlich noch einige Informationen aus ihr herauskriegen, die vorteilhaft für uns sein können. Keiner von uns hat eine Ahnung von der Stärke dieser Gruppe Russen, und sie kann uns bestimmt einiges sagen.“
Wolff hatte die Maschinenpistole des totgeschlagenen Russen aufgehoben und war inzwischen zur Tür gegangen. Er spähte vorsichtig hinaus, um zu sehen, ob noch mehr feindliche Soldaten herumliefen.
„Niemand zu sehen”, meldete er: „Es stehen noch fünf Blockhäuser aus Holz da, aber Fahrzeuge habe ich nicht gesehen. Ich denke, dass es ein Lager russischer Soldaten ist, die nach ihrer Niederlage in die Wälder geflohen sind. Dies ist wohl der richtige Moment, hier abzuhauen, scheint mir.“
Mannfred goss etwas Wasser über das Gesicht des Mädchens, worauf sie ihre Augen aufschlug.
Sofort legte er seine Hand auf ihren Mund und fing an auf Russisch mit ihr zu reden.
„Wenn du dich ruhig verhältst und nicht schreist, werden wir dir nichts Böses antun. Wir wollen nur einige Auskünfte. Aber wenn du versuchst uns zu verraten, schneide ich dir ohne Bedenken den Hals ab, hast du das verstanden? Kein Laut also, wenn ich meine Hand von deinem Mund nehme.“
Die Angst war in ihren Augen zu lesen, als sie heftig “ja” nickte.
Mannfred nahm seine Hand weg, worauf das Mädchen ruhiger wurde und mit beiden Händen nach ihrem schmerzenden Hals tastete.
„Kann ich mich setzen?“ fragte sie etwas später mit einer heiseren Stimme, worauf Mannfred nickte und sie an ihrem Arm hochzog.
„Wie viele Soldaten sind hier im Lager und was macht ihr hier?“
„Dies ist ein Partisanenlager“, antwortete das Mädchen bereitwillig, „Mein Vater ist auch hier. Es sind außer meinem Vater sechzehn Soldaten im Lager, und noch einige Frauen zum Kochen und so.
Die Soldaten machen sich regelmäßig auf den Weg, um deutsche Lkw und Wachposten zu überfallen. Das geschieht meistens bei der großen Verbindungsstraße zwischen Minsk und Smolensk.“
Mannfred informierte die anderen und sagte: „Meiner Ansicht nach haben wir nicht die geringste Chance, hier mehr Waffen zu sammeln und daher müssen wir sofort abhauen. Auf jeden Fall sind noch vierzehn Mann übrig, und das ist zu viel für uns, da wir zu wenig Waffen haben. Wir müssen uns aber beeilen und auch entscheiden, was mit ihr geschehen soll.“
„Fesseln und knebeln, sodass wir genug Vorsprung bekommen“, schlug Helmuth vor, während er das Mädchen ansah.
Sie schien zu verstehen, dass über ihr Schicksal beraten wurde, und fing angehetzt und aufgeregt mit Mannfred zu sprechen.
„Ich kenne einen ziemlich sicheren Weg durch die Wälder. Wenn ihr von hier aus direkt nach Süden in Richtung der Hauptstraße zieht, dann haben die Partisanen euch innerhalb weniger Stunden wieder geschnappt. Der Führer hat sowieso vor, euch heute zu ermorden. Wenn ihr mich mitnehmt und mir nichts antut, werde ich euch den Weg zeigen!“
„Und wieso willst du uns jetzt auf einmal helfen?“ fragte Mannfred mit einem misstrauischen Blick in den Augen.
„Wer sagt mir, dass du nicht versuchen wirst, uns hereinzulegen?“
„Du musst mir glauben“, antwortete sie, ihm starr in die Augen blickend.
„Mein Vater liegt schwer verletzt in einer der Hütten, und wenn er stirbt, bin ich hier vogelfrei. Das ist mit einem anderen Mädchen, dessen Vater getötet wurde, auch geschehen. Sie geht von Hand zu Hand, weil es keinen mehr gibt, um sie zu schützen. Und der Führer hat anderen bereits angedeutet, dass ich für ihn bestimmt bin, wenn mein Vater nicht mehr lebt. Ich flehe euch, nehmt mich mit! Meine Großmutter wohnt in Minsk, ich möchte gern zu ihr.“
Mannfred