Tochter der Inquisition. Peter Orontes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Orontes
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783839250686
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heraus und legte sie auf die ausgezo­gene Tisch­platte. Sie fand ihre Vermutung bestätigt. Tatsächlich ließ die entstandene Lücke eine zweite Reihe von Büchern erkennen. Was ihr jedoch vor allem ins Auge stach, war ein dickes Buch, das nicht wie die anderen mit dem Buchrücken zum Betrachter im Regal stand, sondern vielmehr aufgeschlagen dalag, ganz so, als hätte jemand erst kürzlich darin gelesen und es dann zur Seite gelegt. Christine nahm es zur Hand und registrierte erstaunt, dass sie eine Ausgabe von Dante Alighieris »Divina Commedia« in italienischer Sprache in Händen hielt. Als sie umblättern wollte, fiel plötzlich ein eng beschriebenes Blatt heraus und flatterte zu Boden. Sie hob es auf und stellte überrascht fest, dass die mit schneller Hand hingeworfenen Zeilen nichts mit hehrer Dicht-, sondern mit deftiger Kochkunst zu tun hatten – es war ein schlichtes Küchenrezept, das die Herstellung eines süßen Backwerks nannte. Allerdings war es nicht auf Pergament, sondern auf Papier notiert; jenem praktischen Beschreibstoff, den man hauptsächlich aus Venedig, Genua oder anderen italienischen Städten importierte. Auch die Rückseite war beschrieben, und zwar mit einem zweizeiligen Vers. Im Gegensatz zu dem Rezept auf der Vorderseite erkannte Christine in den beiden Zeilen eindeutig die Handschrift Klaras. Die Glöckchen aus Akkon, wie lieblich ihr Klang. So nehmt denn ihr Schönen, den Tod in Empfang, las sie. Zuerst runzelte sie die Stirn, dann lächelte sie wehmütig. Sie wusste noch aus Salerno, dass Klara hin und wieder den einen oder anderen Vers geschmiedet und auf dem nächstbesten Beschreibstoff notiert hatte, um ihn nicht zu vergessen. Wahrscheinlich war dies einer davon.

      Sie steckte den Zettel wieder zwischen die Seiten und legte das Buch an seinen Platz zurück. Nachdem sie die Regale einer weiteren Inaugenscheinnahme unterzogen hatte, beschloss sie, den Rest des Vormittags damit zu verbringen, in einigen Werken zu stöbern, die sich mit medizinischen Themen beschäftigten. Es würde ihr die Zeit bis zu Falks Rückkehr auf angenehme Weise verkürzen.

      Kapitel 5

      Der Saal, in dem der Stadtrichter seines Amtes waltete, zeichnete sich zum einen durch seine enorme Größe und zum anderen durch die wuchtigen Schränke aus, die sich an der der Wand gegenüberliegenden Fensterseite entlangreihten. Den Mittelpunkt des Raumes bildete ein beeindruckend großer Tisch, an dem sich an diesem Morgen der Stadtrichter selbst sowie Heinrich von Pogner, Burggraf zu Steyr, und Wernher von Ternberg nebst Falkmar von Falkenstein niedergelassen hatten.

      »Wie ich schon sagte, der Graf und ich sind uns in der Beurteilung der Situation einig«, sagte Georg von Panhalm und sah zu Heinrich von Pogner hinüber, der an einer der Stirnseiten des Tisches saß. »Beide Male dürften wir es mit Mord aus Habgier zu tun haben. Allein, ob es gelingen wird, des oder der Täter habhaft zu werden …« Der Stadtrichter ließ den Satz unvollendet und zuckte mit den Schultern.

      »Ich bin der gleichen Meinung«, bestätigte der Burg­graf und maß Falkmar von Falkenstein mit einem Blick, in dem unverhohlene Ablehnung lag. Er erhob sich aus seinem Stuhl und begann mit auf dem Rücken verschränkten Armen langsam auf und ab zu gehen.

      »Es handelt sich eindeutig um Raubmord. Sowohl was Eure Gattin betrifft, verehrter Herr von Ternberg«, der Pogner nickte in Richtung Wernhers, der neben Falk an der Längsseite des Tisches saß, »als auch, was diesen Lamprecht Bürgel angeht. Sowohl Eurer Gemahlin als auch dem Bürgel wurde der Geldbeutel entwendet. Die Indizien sprechen also eine eindeutige Sprache«, bekräftigte der Graf noch einmal mit Nachdruck. Im Gegensatz zum Stadtrichter, der stets eine etwas heiser klingende, helle Stimme besaß, verfügte Heinrich von Pogner über einen mächtigen Bass, der adäquat seinem Äußeren entsprach. Groß und massig gebaut, mit bereits leicht ergrautem Bart und ebensolchem Haar, das ihm gewellt bis auf die Schultern fiel, gab er eine imposante Erscheinung ab. Das mit Goldfäden durchwirkte Barett auf dem Haupt – die neumodische Kopfbedeckung stammte offenbar aus Venedig –, den pelzbesetzten Umhang um die Schultern gelegt und angetan mit schweren Reitstiefeln, bot er exakt das respektheischende Bild, das man von einem Grafen, der auf der Styraburg residierte, erwartete.

      Der Ternberger saß mit steinerner Miene da und schüttelte entschieden den Kopf, ersparte sich jedoch für den Moment jeglichen Kommentar.

      Falk räusperte sich. »Gehen wir einmal davon aus, dass Eure These richtig ist und es sich auch im Falle Klara von Ternbergs lediglich um Raubmord handelt, verehrter Graf: Teilt Ihr auch die Zweifel des Herrn Stadtrichters, was das Habhaftwerden des Täters angeht?«, fragte er.

      »Leider ja. Ihr wisst, dass es eine Menge Herumtreiber gibt, landesschädliches Gesindel, entwurzelte Gestalten, die es mal hierhin, mal dorthin verschlägt. Meist halten sie sich irgendwo in den Wäldern auf. Seit jener unseligen Schlacht bei Sempach vor zwei Jahren gibt es auch wieder den einen oder anderen brotlos gewordenen Kriegsknecht, der auf schnelle Weise zu Geld gelangen will. Sie tauchen auf, richten Schaden an und ziehen weiter, ohne eine Spur zu hinterlassen. Wo und wie also, bitte schön, sollen wir nach dem oder den Tätern suchen? Um Weiteres zu verhindern, beziehungsweise an den oder die Mörder heranzukommen, falls sie überhaupt noch in der Gegend sind, bleibt nur eines: die Augen offen halten. Der Stadtrichter und ich sind übereingekommen, Patrouillen einzurichten, die draußen vor den Mauern nach dem Rechten sehen, und zwar insbesondere des Nachts und in den frühen Morgenstunden. Tagsüber haben wir besonders auf Fremde ein Auge. Dass wir natürlich jeder neuen Spur nachgehen werden, sollte sie auftauchen, versteht sich von selbst.«

      »Ihr sagtet, es habe keinen weiteren Hinweis gegeben. Klaras Ahnung, dass ihr etwas zustoßen könnte – Herr von Ternberg hat Euch sicher davon berichtet –, seht Ihr also nicht als solchen an?«

      Der Graf beschloss, auf diese Frage selbst nicht einzugehen. Stattdessen sah er zum Stadtrichter hinüber, der ein verlegenes Räuspern hören ließ.

      »Nun das erscheint in der Tat auf den ersten Blick ein wenig merkwürdig«, gab von Panhalm zu. »Aber glaubt mir, es scheint nur so. Bedenkt Folgendes: Als man Frau von Ternberg fand, fehlte ihre Geldbörse. Was nicht verwundert, denn die Börse selbst besaß einigen Wert und sie war offensichtlich gut gefüllt. Daraus folgt: Frau von Ternberg wurde das Opfer eines Räubers. Der Beweggrund war eindeutig Habsucht. Das sind nun mal die Fakten. Dass sie ihren Mörder kannte, halten wir nicht für wahrscheinlich. Hätte sie im Voraus gewusst, dass sie in Gefahr schwebt, Opfer eines Raubmords zu werden, hätte sie etwas dagegen unternommen. Was also diese seltsame Ahnung angeht – man kann sie mit Sicherheit nicht auf die Umstände ihres Todes beziehen. Natürlich verstehen wir, dass Herr von Ternberg …«

      »Genug, spart Euch Eure Beteuerungen. Ich kenne Eure Ansicht über den Fall mittlerweile zur Genüge«, fiel ihm der Ternberger ärgerlich ins Wort. »Ich bleibe dabei: Klara ahnte ihren Tod voraus und sie hatte offenbar handfeste Gründe dafür. Hinter all dem steckt mehr als nur ein Raub­mord. Das Ganze damit abtun zu wollen, ist zwar einfacher für Euch, steht jedoch der Wahrheitsfin­dung entgegen.« Erregt schlug Wernher mit der Faust auf den Tisch.

      Der Stadtrichter zuckte zusammen und sandte einen hilfesuchenden Blick zum Grafen, der sich mittlerweile wieder gesetzt hatte. Eigentlich wusste er, dass es zwecklos war, Wernher von Ternberg zu widersprechen. Auch wenn er als Stadtrichter den offiziell höheren Rang bekleidete – er war der Vorsitzende des aus sechs Ratsherren bestehenden Rates der Stadt, dem auch der Ternberger angehörte –, war er sich darüber im Klaren, dass sein Einfluss im Gegensatz zu dem Wernhers recht bescheiden war. Unermesslich reich, ausgestattet mit einem beneidens­werten Charme, den er raffiniert einzusetzen vermochte, verfügte der Ternberger zudem über beste Verbindungen zum Landesfürsten und besaß so einfach den längeren Arm.

      »Hmm«, räusperte sich der Graf und schien ebenso verlegen wie vorhin der Stadtrichter. »Aber Herr von Ternberg, wir sprachen bereits mehr­fach darüber. Was die Ahnung Eurer Gattin angeht, so etwas gibt es eben. Nennt es meinetwegen Zufall, den Anflug einer schlechten Stimmung oder wie immer Ihr wollt. So ein Gefühl muss keinen konkreten Hinter­grund haben«, versuchte er in aller Ruhe, auf den Magistrat einzuwirken. Auch wenn er mit ihm nicht einer Meinung war – dass selbst er als Vertreter des Landesfürsten höchsten Respekt vor der Person des Ternbergers bekundete, war in diesem Moment unver­kenn­bar. Falk wurde bewusst, welch zwingende Autorität von dem Kaufmann ausging und wie immens sein Einfluss sein musste.

      Wernher schüttelte störrisch den Kopf. »Nein, Herr von Pogner,