Steirerblut. Claudia Rossbacher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Claudia Rossbacher
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839236369
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ja, es gab da eine ziemlich unschöne Geschichte in den frühen 90ern. Ein Vater hat seine älteste Tochter über Jahre hinweg sexuell missbraucht«, erzählte sie.

      »Und?«

      »Nichts und. Es wurde keine Anzeige erstattet.«

      »Aber dein Vater war doch Gendarm hier im Ort.«

      »Mein Vater hatte damit nichts zu tun. Er hat sich schon Jahre zuvor nach Fürstenfeld versetzen lassen.«

      »Und du?«

      »Was ich?«

      »Na, was hast du getan?«

      »Ich war damals 14 Jahre alt. Was hätte ich denn deiner Meinung nach tun sollen?«

      »Deine Freundin darin bestärken, ihren Vater anzuzeigen, zum Beispiel.«

      »Sie war nicht meine Freundin. Aber glaube mir, genau das habe ich mehrmals versucht«, antwortete Sandra in einem schärferen Ton als beabsichtigt.

      »Offenbar warst du nicht sehr überzeugend.«

      »Sag mal, klagst du mich etwa an? Ich muss mich doch nicht vor einem oberg’scheiten Wiener rechtfertigen, der überhaupt keine Ahnung vom Leben in einer kleinen Ortschaft hat«, fuhr sie ihn an.

      »Hoppla, ein Gefühlsausbruch«, bemerkte Bergmann sichtlich amüsiert.

      Da war es wieder: dieses selbstgefällige Grinsen!

      Ganz ruhig, Sandra, komm wieder runter, versuchte sie sich zu beruhigen. »Entschuldige, Sascha. Aber du hast wirklich keine Ahnung, was am Land so alles läuft. Du kennst doch nur die geschönten Klischees auf den bunten Postkarten und in den Tourismusprospekten.«

      »Dann erzähl mir halt, was hier so alles läuft.«

      »Im Moment konzentriere ich mich darauf, einen Mordfall aufzuklären.«

      »Und wenn das eine mit dem anderen unmittelbar zusammenhängt?«, blieb Bergmann stur.

      »Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass sich ein Kinderschänder für die Kovacs interessiert hätte?«

      »Wohl kaum. Sie war Mitte 30. Nicht gerade im richtigen Alter für jemanden, der es mit Kindern treibt.«

      »Eben. Außerdem muss der Edlinger inzwischen über 60 sein. Wahrscheinlich ist er gar nicht mehr kräftig genug für so eine Tat.«

      »Wahrscheinlich auch nicht mehr potent genug. Denk an die Spermamenge. Wie oft hintereinander kann man eigentlich noch in diesem Alter?«

      »Das kann ich dir leider nicht beantworten. Aber wenn du darauf bestehst, finde ich es für dich heraus.«

      »Nicht nötig. Setz ihn auf die Liste. Dann fragen wir ihn morgen selbst.«

      »Das kannst du gerne übernehmen.« Sandra fuhr ihren Laptop herunter, der an diesem Abend ausnahmsweise einmal im Büro bleiben würde. »Willst du Max Leitgeb bei den morgigen Einvernehmungen dabeihaben? Er kennt die Leute hier in- und auswendig.«

      »Ich denke, wir kommen auch ohne deinen Dorfpolizisten klar. Er soll lieber ein Auge auf die Landjugend werfen, damit ihr nichts Böses widerfährt.«

      Schon wieder dieses spöttische Grinsen! Das reichte für diesen Tag. Sandra stand auf, nahm ihre Handtasche und die Lederjacke und schubste den Stuhl mit dem Knie unter den Schreibtisch. »Ich denke, wir sind fertig für heute. Ich bin nämlich zum Abendessen eingeladen«, verabschiedete sie sich.

      »Lass mich raten … Max, richtig?«

      Sandra schlüpfte wortlos in ihre Jacke, ohne Bergmann eines Blickes zu würdigen. Dennoch konnte sie fühlen, dass er sie beobachtete. Woher zum Teufel wusste er das? Sie hätte doch genauso gut bei ihrer Familie essen können. War sie für Bergmann wirklich so leicht zu durchschauen?

      »Muss ich denn wirklich ganz allein in der verqualmten Gaststube mein Abendessen einnehmen?«, fragte er gespielt vorwurfsvoll.

      »Du rauchst doch selber. Außerdem brauchst du ja nicht hier zu übernachten. Fahr heim nach Graz und komm morgen wieder«, schlug sie ihm vor, während sie durch die Tür ging, ohne sich umzudrehen.

      »Meinst du, es wird spät werden, Liebling?«, rief er ihr übermütig hinterher.

      Sie hatte nicht vor, sich noch weiter von diesem arroganten Idioten provozieren zu lassen. Es ging ihn überhaupt nichts an, dass ihr Ex sie zum Essen eingeladen hatte. Die Tatsache, dass sie nach all den Jahren wieder ein Date mit ihrer Jugendliebe hatte, fühlte sich auch so schon schräg genug an. Da konnte sie auf Bergmanns beißende Kommentare getrost verzichten. Nicht dass sie Schmetterlinge im Bauch gehabt hätte, aber ein wenig nervös war sie nun doch. Schließlich war die unvermeidliche berufliche Begegnung am Tatort und in der Polizeiinspektion etwas völlig anderes gewesen als das bevorstehende private Treffen in Max’ Wohnung. Warum hatte sie seine Einladung überhaupt angenommen? Was, wenn er mehr von ihr wollte, als nur über längst vergangene Zeiten plaudern? Würde sie mit ihm schlafen, wenn er darauf aus war?

      Der gute alte Max. Sie hatte ihn von heute auf morgen verlassen, kurz nachdem sie nach Graz gezogen war, um wie er – und wie schon ihr Vater davor – die Polizeischule zu absolvieren. Sie wollte ihr neues Leben in der Stadt ohne Einschränkungen genießen. Weit weg von allem, was sie an St. Raphael erinnerte, an ihre Mutter und ihren Halbbruder Mike. In Gedanken versunken trat Sandra hinaus in die Dämmerung und zog fröstelnd den Reißverschluss ihrer Jacke zu. Herrlich, diese frische Luft! Das war wirklich eines der wenigen Dinge, die sie an St. Raphael schätzte. Obwohl es da auch noch ein paar andere Dinge gab, wie die intakte Natur und einige nette Menschen wie Max. Sie würde heute Abend nicht mit ihm schlafen. Auch wenn sie sich noch so sehr nach körperlicher Nähe sehnte. War es wirklich schon ein halbes Jahr her, dass sie Sex gehabt hatte, überlegte Sandra, während sie hinter dem Steuer des Dienstwagens Platz nahm.

      Max öffnete ihr die Tür des alten Bauernhauses. »Wie schön, dass du schon hier bist! Komm doch rein in die gute Stube«, begrüßte er sie im Vorzimmer. Sandra ließ sich aus der Jacke helfen und zog aus alter Gewohnheit ihre Straßenschuhe aus. Max bückte sich nach den Gästepantoffeln und stellte sie kommentarlos direkt vor ihre Füße.

      »Das sieht ja toll hier aus«, meinte sie ehrlich begeistert und schlüpfte in die Filzlatschen.

      »Nicht wahr? Unglaublich, was der Architekt aus den alten Gebäuden gemacht hat«, stimmte er ihr zu.

      Bei Sandras letztem Heimatbesuch vor drei Jahren hatten sich die meisten der verlassenen Wirtschaftsgebäude noch in einem erbärmlichen Zustand befunden. Inzwischen waren daraus stilgetreu renovierte Wohnhäuser geworden, die, in der sanften Hochtalsenke gelegen, in neuem Glanz erstrahlten. So viel hatte sie schon am Vortag im Vorbeifahren erkennen können. Nun staunte sie, wie gemütlich die große Stube wirkte, in der seinerzeit geschlafen, gegessen, gewohnt und gefeiert worden war. Max diente das geräumige Zimmer als Wohn-, Ess- und Arbeitsraum. Die ursprünglichen Deckenbögen und der uralte Schiffboden waren liebevoll restauriert worden, genauso wie die Rauchkuchl mit dem antiken Herd im Nebenraum, die ansonsten zur modernen Küche umfunktioniert worden war. Max schob die Auflaufform mit dem Sterz ins Backrohr und öffnete eine Flasche Schilcher von der weststeirischen Weinstraße. Während er einschenkte, erzählte er, dass der Bauherr beinahe an der Renovierung der völlig verrußten alten Wände verzweifelt wäre. Schlussendlich hatte er dann doch noch den Tipp eines alten steirischen Maurers angenommen, der ihm zu Kuhmistmörtel geraten hatte, um den Originalzustand der Wände wiederherzustellen. Und siehe da, es hatte tatsächlich funktioniert.

      Nachdem sie angestoßen und den fruchtig-reschen Schilcher gekostet hatten, führte er Sandra auf die Terrasse, hinter der ein romantischer Garten mit Schwimmbiotop angelegt worden war. Leider war es zu kalt, um draußen zu sitzen und das idyllische Ambiente zu genießen. Sandra musste Max versprechen, im nächsten Sommer wiederzukommen, um hier mit ihm und den Kumpels von früher seinen Geburtstag zu feiern.

      Wenn es etwas gab, worauf Sandra noch weniger Lust hatte, als hier in der Kälte herumzustehen und in Max’ schmachtende Augen zu blicken, dann war es, mit seinen