Ostfriesische Verhältnisse. Peter Gerdes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Gerdes
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839264645
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in Stellung gebracht, Blitzlicht-Salven flackerten, Stimmengewirr brandete auf. Ach, die Presse! Auf die hatte er schon länger gewartet. Wer sie wohl informiert hatte? Bestimmt einer der Gäste im Restaurant.

      Mehrere Beamte hinderten die Kamerateams am Vordringen; die schmale Gasse kam ihnen dabei zugute. Stahnke erkannte Rieken und van Dieken, die sich der Meute entgegenstemmten. Na, endlich hatten die beiden etwas Sinnvolles zu tun!

      »Mal gucken, wie lange es dauert, bis die Leute unseren Hintereingang entdeckt haben«, sagte die Buchhändlerin lakonisch.

      Der Hauptkommissar drehte sich um. Na klar, hinten ging es ja auf den Rathausparkplatz hinaus! Zwar gab es dort ein kunstvoll geschmiedetes zweiflügeliges Eisentor, aber das stand offen. Hier würde ein Eindringen weit schwerer zu verhindern sein. »Sie sind doch hier zuständig, quasi«, wandte er sich an die junge Frau. »Wollen Sie das Tor nicht verschließen?«

      »Och, warum? Ich lese gerne Zeitung. Und Fernsehnachrichten gucke ich auch.« Sie blickte Stahnke herausfordernd an. Im nächsten Moment löste ein Lächeln ihre provokante Miene auf. »Nee, im Ernst, für dieses Tor habe ich gar keinen Schlüssel. Und solange wir im Restaurant noch Gäste haben, können wir hinten eigentlich gar nicht zumachen.«

      Ein kleines Dilemma, in der Tat. Stahnke wippte auf den Fußballen. Die Regionalpresse wusste doch bestimmt, wie man von hinten auf dieses Gelände kam, und die wollte er hier ebenso wenig haben wie die von auswärts.

      Schwere Tritte näherten sich von vorne, im Laufschritt. Mehrere junge Polizisten in vollem Ornat stürmten an ihnen vorbei und begannen den Hintereingang zu sichern. Einer schien Stahnke erkannt zu haben und grüßte ihn im Vorbeilaufen mit einem schüchternen Lächeln. Okay, die Sache wäre also geklärt, dachte Stahnke. Offenbar hatte Manninga Verstärkung geschickt. Oder war inzwischen selber vor Ort. Also sollte Stahnke sich mal wieder oben blicken lassen.

      Die Buchhändlerin rauchte schon wieder. Sie betrachtete das Geschehen unbeteiligt; hin und wieder huschte ein amüsierter Ausdruck über ihr Gesicht.

      »Kannten Sie den Toten eigentlich?«, fragte Stahnke.

      »Fred? Ja, natürlich. Er hat ja hier gewohnt, und ich arbeite hier.« Wieder dieser große, alles einsaugende Blick, diesmal unter angehobenen Augenbrauen.

      »Fred also.« Stahnke nickte. »Und? Geht Ihnen seine Ermordung denn nicht nahe?«

      »Mir?« Ein tiefer Zug. »Nein. Gar nicht.« Sie stieß eine lange Rauchwolke aus. »Er war ein Arschloch.«

      Stahnke wartete, aber mehr kam nicht von ihr. Nur dieser große, saugende Blick.

      Der Hauptkommissar räusperte sich. »Würden Sie mir darüber vielleicht etwas mehr erzählen? Morgen vielleicht?«

      Sie nickte leichthin. »Natürlich. Sie wissen ja, wo Sie mich finden.«

      Stahnke nickte und eilte davon. Ihm war plötzlich kalt.

      10.

      Am nächsten Morgen riss ihn der Wecker zur üblichen Zeit aus dem Schlaf. Nur die Schlafenszeit davor, die war unüblich kurz gewesen, und selbst die wenigen Stunden hatte Stahnke sich nur gegönnt, weil Manninga ihn buchstäblich dazu verdonnert hatte. Der alte Mann konnte immer noch ganz schön laut werden.

      Gleich nach der Kaffeemaschine warf der Hauptkommissar seinen PC an, dann fingerte er die Zeitung aus dem Kasten und fand seine Sorge bestätigt: Die Journaille hatte noch rechtzeitig vor Andruck von dem Mord in der Rathausstraße Wind bekommen. Zwar hatte es nur zu einem flachen Mehrspalter oben auf Seite eins gereicht, aber dafür war der Anschlag auf Oliver Eickhoff gründlich ausgebreitet worden, so dass die Zeitung den Eindruck vermittelte, Leer sei derzeit das Zentrum des Verbrechens. Die aktuell zweistelligen Todesopferzahlen des Drogenkrieges in Mexiko waren auf Seite zwei verdrängt worden.

      Das war aber noch gar nichts gegen das, was Stahnke im Internet fand. Er fluchte herzhaft in seinen Kaffeebecher. Sowohl die heimische Regionalzeitung als auch BILD und andere Blätter hatten in ihren Online-Ausgaben kräftig nachgelegt. Und es gab Fotos! Zum Henker, wer hatte denn da geknipst, abgesehen von den Polizeifotografen?

      Wenigstens gab es keine Aufnahmen vom eigentlichen Tatort, vor allem nicht von der Leiche. Bloß Bilder vom Tatort Taraxacum, von der Seitengasse mit dem Wohnungseingang und von geschäftig aussehenden Kollegen, deren Gesichter immerhin verpixelt waren. Stahnke schnappte nach Luft, als er auf Innenaufnahmen aus der WG-Wohnung stieß, stellte aber schnell fest, dass es sich um ältere Bilder handeln musste. Wo hatten die Presseleute die wohl her?

      Er musste an die Gäste denken, die gestern Abend das Lokal unter der Tatort-Wohnung belagert hatten. Von denen hatte bestimmt jeder ein Fotohandy in der Tasche gehabt. Und bestimmt war der eine oder andere bereit gewesen, für Geld seine Großmutter zu verkaufen. Und wenn es nicht die eigene war, dann umso lieber. Womit die Außenaufnahmen, nicht aber die alten Fotos aus der Wohnung zu erklären waren.

      Er schlürfte von seinem Kaffee. Neue Sorte; sie schmeckte ihm nicht.

      Stahnke musste nicht auf die Uhr gucken, um zu wissen, dass er es eilig hatte. Trotzdem blätterte er die Zeitung durch; alte Gewohnheit, obwohl das Ding auch immer schlechter wurde. Im krampfhaften Bemühen, jüngere Leser zu gewinnen, um das Sinken der Abonnentenzahlen zu bremsen, warf man alte journalistische Tugenden über Bord, setzte immer mehr auf Boulevard und wurde sprachlich stetig schlampiger. Ein Vergnügen war das kaum noch, dachte der Hauptkommissar und blätterte sich zu den Familienanzeigen durch.

      Das Foto eines Schiffs mit grünem Rumpf ließ ihn innehalten. Richtig, die Emssturm war ja unterwegs, wurde derzeit in Richtung Mittelmeer geschleppt, ihrer letzten Bestimmung entgegen. Das Zeitungsfoto zeigte das ehemalige Fischereiforschungsschiff hinter einem Hochseeschlepper, anscheinend auf der Ems. Dort konnte doch nicht solch ein Seegang herrschen, dass das Schiff derart viel Schlagseite hatte! Langes Liegen war Gift für jedes Wasserfahrzeug, und die Emssturm hatte sehr lange zu Ausbildungszwecken im zugeschlickten Leeraner Hafen gelegen. Kein Wunder, dass sie nicht mehr aus eigener Kraft fahren konnte, sondern geschleppt werden musste. Aber diese Schlagseite …

      Sein Handy klingelte. Stahnke stöhnte und griff nach dem Gerät. Konnten die Kollegen in der Inspektion nicht wenigstens warten, bis er geduscht hatte?

      »Ja!«

      »Hey, mein Lieber, was ist denn das für ein Ton? Bist du so im Stress?«

      Es war Sina. An die hatte er überhaupt nicht … Wann hatte er zuletzt an sie gedacht? Gestern, im Buchladen, als er mit dieser Buchhändlerin sprach, dieser geheimnisvollen Kühlen mit der Sahnehaut.

      »Hallo? Hast du die Sprache verloren?«

      »Ach was, nee … Hallo, mein Schatz. Du hast recht, ich hab wirklich Stress im Moment.« Gewöhnlich wirkten ein paar Worte mit Sina gerade in solchen Momenten wie eine kühlende Hand auf heißer Stirn. Jetzt aber, stellte er mit Erstaunen fest, hätte er sie am liebsten weggedrückt.

      »Kann ich mir denken. Ich gucke nämlich gerade RTL. Sieht so aus, als hätten die eine Kamera direkt vor dem Haus postiert, wo dein aktueller Mord passiert ist. Bist du dort gerade drin?«

      »Nee, ich bin noch zu Hause«, entfuhr es ihm. »Wieso Kamera vor dem Haus – sag bloß, die übertragen live! Was denn, in Gottes Namen?«

      »Ein Reporter befragt Passanten, hat aber Mühe, überhaupt welche zu finden um diese Zeit.« Sina lachte. »Ziemlich sinnfrei, das Ganze. Neue Informationen hat er offenbar nicht. Aber woher auch, wenn die Polizei noch ganz gemütlich beim Frühstück sitzt.«

      »Was heißt hier gemütlich und Frühstück! Weißt du eigentlich, wie spät es letzte Nacht geworden ist?« Ja, sagte er sich, das weiß sie, das hat sie ja alles bei früheren Gelegenheiten schon mitgekriegt. Aber seine Worte strömten parallel weiter. »Hör mal, einen einzigen Becher Kaffee habe ich mir gegönnt! Nennst du das ein gemütliches Frühstück? Und den habe ich nicht einmal genießen können, weil ich ja selbst hier keine Ruhe …« Jetzt endlich schaffte er es, sich zu unterbrechen. Sein Körper fühlte sich todmüde an und sein Verstand träge, aber seine Nerven