Morgen kommt der Weihnachtsmann. Andreas Scheepker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Scheepker
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839264485
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»Ihr Mann wollte Sie damit nicht belasten. Wenn er sie aufbewahrt hat, wo könnten sie dann sein?«

      »Im Tresor ist nichts«, sagte eine Stimme von hinten. Klaus Tjarksen stand in der Tür. »Den habe ich schon durchgesehen.«

      Renate Tjarksen drehte sich um, und ihre Ketten und Armbänder klirrten. »Klausi, du hast doch wohl nicht …«

      »Keine Sorge, Mutti. Ich habe nur nachgesehen, ob da ein Hinweis ist, wer Papa auf dem Gewissen hat. Aber da waren nur Geschäftsunterlagen und ein paar tausend Euro.«

      »Wir haben immer ein bisschen Geld im Haus«, erklärte Renate Tjarksen. »Zur Sicherheit. Wenn mal was ist.«

      »In Ordnung«, sagte Roolfs. »Wenn Ihr Mann etwas aufbewahren wollte, das niemand finden durfte, wo hat er das versteckt?«

      »Er hat einen großen, alten Schreibtisch in seinem Büro. Wo der Schlüssel ist, weiß nur er.«

      »Der Schlüssel liegt in dem Brillenetui in der Schublade«, erklärte Klaus mit gelangweilter Stimme. »Den Schreibtisch wollte ich mir heute Nachmittag vornehmen.«

      »Klaus, ich weiß gar nicht, was ich dazu noch sagen soll …« Renate Tjarksen legte ihre Fingerspitzen auf die Schläfen, schloss die Augen und verzog schmerzerfüllt das Gesicht.

      »Mutti, jetzt sind wir an der Reihe. Jetzt müssen wir die Verantwortung für alles übernehmen. Papa hätte das auch so gewollt.«

      »Das kann doch alles Wolfgang machen. Der weiß doch über alles Bescheid.«

      »Aber uns gehört die Firma. Und darum müssen wir auch über alles Bescheid wissen.«

      »Ich weiß nicht, ob das richtig ist. Papa ist ja noch nicht mal unter der Erde.« Renate Tjarksen zündete sich wieder eine Zigarette an.

      »Frau Tjarksen«, griff Hauptkommissar Roolfs in das Gespräch ein, »vielleicht können wir die Briefe finden und erhalten so einen wichtigen Hinweis darauf, wer Ihren Mann getötet hat. Das wollen Sie doch auch.«

      Renate Tjarksen nickte und hatte Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten. »Kommen Sie bitte mit, Herr Hauptkommissar. Und du bitte auch, Klaus.«

      Eine halbe Stunde später hatten Klaus Tjarksen und Gerrit Roolfs alle Schubladen und Fächer des großen Schreibtisches in Tammo Tjarksens Arbeitszimmer durchsucht. Sie fanden einige Geschäftsunterlagen, vier leere und zwei halbvolle Cognacflaschen und ein paar Männermagazine.

      »Na so was«, spottete Klaus Tjarksen. »Der knallharte Geschäftsmann hält sich mit Pornoheften und teurem Cognac bei Laune.«

      »Klaus, wie kannst du nur so über deinen Vater reden?«, fauchte Renate Tjarksen.

      »Siehst du hier auch, was ich sehe, Mutti?«, sagte Klaus provozierend und tippte mit der Fußspitze gegen eine leere Cognacflasche.

      Gerrit Roolfs sah sich den Schreibtisch schweigend an, zog die leeren Schubladen auf und fühlte hinein, tastete mit den Fingern auf der Oberfläche und an den Seiten entlang und ging einen Schritt zurück.

      »Entschuldigen Sie, ich muss mal meinen Kollegen anrufen«, sagte er und tippte die Nummer von Habbo Janssen in sein Handy. »Habbo, wie weit bist du? … Hmmm … aha … Kannst du hierher kommen, zu Tjarksens? Und kannst du bei Wilhelm Adomeit vorbeifahren und ihn mitbringen? Er wohnt in der Neustadt. Königsberger Straße. Die Hausnummer musst du dir aus dem Telefonbuch heraussuchen. Ja, wir brauchen seine Hilfe. Ich rufe ihn gleich an, damit er Bescheid weiß.«

      »Ist das ein Privatdetektiv, den Ihr Kollege mitbringt?«, fragte Klaus Tjarksen.

      »Nee, das ist ein alter Möbeltischler.«

      Versteck

      »Adomeit, Tischlermeister Wilhelm Adomeit«, stellte sich der ältere Herr mit vollem, weißem Haar vor, klein und beleibt in Jeans, Flanellhemd und Wolljacke.

      »Herr Adomeit, wir haben eine Spezialaufgabe für Sie. Sie müssen ein Geheimfach in diesem Schreibtisch finden«, erklärte Roolfs.

      »Jehäimfach? Das krijen wirr schon. Was fier ein scheenes Stick!«, bewunderte Adomeit den Schreibtisch. Er rollte beim Sprechen das ›R‹. Auch nach fast sechzig Jahren Ostfriesland hatte sein Akzent die ostpreußische Färbung nicht verloren.

      Adomeit inspizierte das Möbelstück von allen Seiten, streichelte hier und da liebevoll die Oberfläche und befühlte die Schubladen von außen und innen. Dann legte er sich auf den Rücken und betastete den Schreibtisch von unten. Dabei summte er eine schwermütige Melodie.

      Renate Tjarksens Armbänder und Ketten klirrten. »Aber da kann doch nichts sein. Tammo hat doch nichts vor uns versteckt.«

      »Sein Se jefällichst ruhig, bitte, ich muss mich konzentrieren«, brummte Adomeit von unten und begann mit der Hand verschiedene Stellen abzuklopfen.

      »Also, dass Sie mir da nix kaputtmachen. Das ist ein altes Erbstück. Der ist wertvoll«, ermahnte Renate Tjarksen den Tischlermeister. Ihr Schmuck klimperte, ihr Feuerzeug flammte auf, und eine Wolke aus Zigarettenqualm hüllte den Schreibtisch ein. Ihr Handy piepte die Melodie des ABBA-Hits Mamma mia.

      »Hallo, Sonni, das ist ja lieb, dass du mich anrufst«, rief Renate Tjarksen. »Ich dachte, du wärst noch auf Fuerto …«

      Wilhelm Adomeit krabbelte unter dem Schreibtisch hervor. »Also näi, so kann ich hier nich arbeiten. So wird das nuscht. Lassen Se mich hier mal alläine machen«, sagte er und winkte die anderen mit der Hand aus dem Raum.

      »Ich lass mich doch nicht in meinem eigenen Haus …«, wollte Renate Tjarksen protestieren, aber Adomeit entgegnete gemütvoll: »Also, es jibt hier nur zwäi Meechlichkeiten: Entweder Sie bläiben hier im Zimmer oder ich. Bäides jeht nich.«

      Habbo Janssen schob Klaus und Renate Tjarksen mit beruhigenden Worten hinaus.

      Adomeit wartete, bis die Tür verschlossen war, und flüsterte Roolfs dann zu: »In Ordnung, Herr Hauptkommissar, ich hab das Fach schon längst jefunden. Ich wäiß nur nicht, ob Sie vielleicht zuerst ohne die bäiden räinschauen wollen. Hier, bitte.« Er zog die unterste Schublade auf und öffnete einen doppelten Boden.

      Roolfs entnahm dem Geheimfach zwei große Umschläge und einen Schnellhefter. Er setzte sich an den Schreibtisch. Der erste Umschlag enthielt Tammo Tjarksens Testament, das seine Frau und seinen Sohn zu gleichen Teilen als Erben einsetzte. Ein beiliegender Brief wies darauf hin, dass die zweite Ausfertigung des Testamentes beim Notar hinterlegt worden sei.

      Im zweiten Umschlag lagen vier Briefe. Roolfs sah sie durch. Es waren die gesuchten Drohbriefe. Im Schnellhefter fand er Gutachten und Expertisen für geschäftliche Projekte.

      »Saubere Arbeit, Herr Adomeit. Sie haben was gut bei mir.«

      »Da komm ich bäi Jeleejenhäit drauf zurick. Den Rest müssen Se nu ohne mich machen. Sehn Se zu, dass Se bis Wäihnachten damit durch sind, Herr Hauptkommissar.« Adomeit klopfte Roolfs auf die Schulter und ging.

      Post

      Du Schwein hast mich kaputtgemacht, jetzt mach ich Dich kaputt.

      Gerrit Roolfs starrte auf den Satz, der auf einer Schreibmaschine mit einem schon stark verbrauchten Farbband getippt worden war.

      Er nahm den nächsten an Tammo Tjarksen adressierten Umschlag, fingerte vorsichtig den zusammengefalteten Brief heraus und las: Tammo Tjarksen, ich treffe dich da, wo es dir richtig weh tut! Im dritten Schreiben stand, getippt mit derselben Maschine, die für die beiden anderen benutzt worden war: Tammo Tjarksen, Du bist es nicht wert, das Du lebst! Der vierte Brief war mit der Hand geschrieben: Tammo Tjarksen, ich beobachte Dich, und irgendwann schlage ich zu!

      Vorsichtig tütete Roolfs die vier Briefe für die Spurensicherung in Klarsichthüllen ein. Er schaltete den kleinen Fotokopierer in Tjarksens Büro an.

      Während das Gerät warmlief, schaute er sich noch einmal Briefe und Umschläge an. Tjarksens Name und Anschrift waren anscheinend