„Kann ich dich etwas fragen, Rhodes?“, fragte sie.
„Natürlich.“
„Hast du irgendetwas von einer internen Ermittlung wegen meines Vorgehens in Verbindung mit meiner Schwester gehört?“
Sie versuchte Rhodes Reaktion abzupassen, aber ihre Partnerin verzog keine Miene. Nach einigen Sekunden schüttelte sie den Kopf: „Das glaube ich nicht. Ich weiß, dass es Fragen gegeben hat wegen deines Vaters und der Entführung deiner Schwester, aber ich habe nichts von einer internen Ermittlung gegen dich und deine Handlungen gehört.“ Sie zögerte einen Moment lang und zuckte dann mit den Schultern. „Wenn du dir Gedanken machst, wieso Johnson dich nicht sofort mit mir zusammen auf diesen Fall angesetzt hat, würde ich da nicht zu viel hineinlesen. Ich kann mir vorstellen, dass er einfach nur Rücksicht auf dein psychisches Wohlbefinden genommen hat.“
„Vielleicht.“
„Nun…lass mich dir eine Frage stellen“, sagte Rhodes. „Und bitte versteh das nicht falsch. Es bleibt nur unter uns beiden, aber ich muss es wissen. Gibt es etwas, das ich wissen sollte? Gibt es etwas zu ermitteln?“
„Nein“, sagte Chloe. Sie befürchtete, dass sie zu schnell und etwas zu aggressiv geantwortet hatte.
„Ich musste fragen“, sagte Rhodes. „Wir arbeiten zusammen und so. Ich kann nicht behaupten, dass ich verstehe, was du durchmachst, deshalb werde ich dich nicht bevormunden. Aber ich muss einfach nur wissen, dass du in der Lage bist zu arbeiten. Im Nachhinein hätte ich das wahrscheinlich fragen sollen, bevor du dich bereit erklärt hast mir bei dem Fall zu helfen, aber du weißt wie es läuft.“
„Ich bin in Ordnung.“
Das stimmte weitestgehend, doch nun konnte Chloe nicht anders, als sich zu fragen, ob sich hinter Rhodes Fragen ein anderweitiges Motiv verbarg. Hatte Johnson mit Rhodes gesprochen, bevor sie DC verlassen hatten und sie gebeten, Informationen aus Chloe herauszubekommen? Es sah Rhodes nicht ähnlich tiefgründige, persönliche Fragen zu stellen. Sie blieb normalerweise recht oberflächlich und tauchte nicht zu tief ein. Solch offenkundige Neugierde sah ihr nicht ganz ähnlich.
„Gut“, sagte Rhodes. „Und ich hoffe, dass du weißt, dass wenn du jemals darüber sprechen möchtest, um es zu verarbeiten oder so, dass ich eine gute Zuhörerin bin.“
„Danke“, sagte Chloe, obwohl die Bemerkung sie noch misstrauischer stimmte.
Die zwei Frauen wurden still, als das Navigationssystem auf Rhodes‘ Handy sie anwies in einem Kilometer abzubiegen. Hinter dieser Kurve lag ihr Ziel, der Tatort des zweiten Mordes.
Wie sie vor ihrer Abfahrt ausgemacht hatten, erwarteten sie dort zwei Polizisten aus dem örtlichen Präsidium. Ihr Wagen war am Straßenrand in ein paar Metern Entfernung von einer Kreuzung geparkt. Die eine Polizistin, eine sehr große, rothaarige Frau, lächelte ihnen zu und zeigte auf die Parklücke direkt hinter ihrem Dienstwagen. Rhodes parkte dort ein und sagte: „Die hier macht bereits den Eindruck, als würde sie andere gerne herumkommandieren.“
Chloe und Rhodes stiegen aus dem Auto und gingen zu den beiden Polizisten rüber. Die große Frau begrüßte sie zuerst, ihr Lächeln breit und auffällig schön. Der zweite Polizist war ein afro-amerikanischer Mann, um die vierzig Jahre alt. Er sah aus wie jemand, der genau wusste, dass er immer im Schatten seiner Partnerin arbeitete. Als er Chloe und Rhodes die Hand gab und sich als Officer Benson vorstellte, tat er dies mit einem missmutigen Lächeln.
Der Name der großen Rothaarigen war Anderson, und sie sprach mit einem kleinen südstaatlichen Akzent. „Gut, Sie kennenzulernen“, sagte sie und zog die Worte charakteristisch in die Länge, wie es die Bewohner des südlichen Teils der USA taten. Chloe fragte sich, ob sie die Art Mensch war, die den Ausdruck alle Mann verwendete.
„Also“, sagte Anderson, „es ist eine ziemlich einfache Angelegenheit. Ein Kerl namens Viktor Bjurman wurde letzten Abend hier am Straßenrand gefunden. Zwei Teenager auf Fahrrädern haben ihn entdeckt. Das Blut sprudelte immer noch aus ihm heraus. Er wurde sofort für tot erklärt, sobald der Krankenwagen hier angekommen war. Der letzte Bericht von heute morgen legt dar, dass es mehrere Ursachen gibt: stumpfe Gewalteinwirkung im Schädelbereich, eine gebrochene Rippe, die sich hochgeschoben hatte und sein Herz durchstach, ein beinahe komplett zertrümmerter Brustkorb und Brustbein, eine kollabierte Lunge. Suchen Sie sich was aus.“
„Irgendeine genaue Vorstellung davon, welche Waffe verwendet wurde?“, fragte Chloe.
„Alle nehmen an, dass es ein Schlagstock war“, sagte Anderson. „Der Gerichtsmediziner ist sich beinahe sicher, hat aber gesagt, dass wenn es ein Schläger war, so war der aus Aluminium. Bjurman wurde mit solch einer Kraft geschlagen, dass ein hölzerner Schläger Splitter hinterlassen hätte.“
„Gibt es irgendeine Verbindung zwischen Bjurman und dem ersten Opfer?“, fragte Rhodes.
„Keine, die wir finden konnten“, sagte Benson. „Das erste Opfer – ein Kerl namens Steven Fielding – wurde bei sich zuhause gefunden. Seine Frau entdeckte ihn ausgestreckt auf dem Wohnzimmerboden liegend.“
„Zunächst machte es den Eindruck eines schiefgegangenen Einbruchs“, sagte Anderson. „Jemand war eingebrochen, hat den Kerl vermöbelt, der zufällig zuhause war und ein paar Sachen mitgenommen. Doch bisher konnte die Ehefrau keinen einzigen Gegenstand benennen, der verschwunden wäre. Also sieht es danach aus, dass wenn es ein Einbruch gewesen ist, dann nur, um Fielding zu ermorden.“
„Die Berichte legen nahe, dass der erste Mord nicht so brutal gewesen ist, wie dieser zweite hier, richtig?“, fragte Chloe.
„Kommt drauf an, wie man Brutal definiert“, sagte Anderson. „Er wurde auf den Kopf und ins Gesicht mit etwas hartem geschlagen – mit etwas was möglicherweise auch ein Aluminiumschläger war. Fieldings Nase war bis zur Unerkennbarkeit zertrümmert. Das Ekeligste, was ich je gesehen habe.“
„Aber auf der anderen Seite“, sagte Benson, „wurde Bjurmans Gesicht offensichtlich gar nicht getroffen, obwohl es gleichzeitig einen starken Schlag auf den Hinterkopf gegeben hatte, der eine Delle hinterließ.“
Chloe ging ein paar Schritte vor und schaute zum Fleck auf dem Gehsteig, der offensichtlich Viktor Bjurmans Todesplatz gewesen war. Das getrocknete Blut war immer noch zu sehen, obwohl es offensichtlich war, dass die Stadtreinigung ihr Bestes getan hatte, um es zu beseitigen.
„Gibt es irgendetwas Besonderes an dieser Kreuzung?“, fragte sie.
„Überhaupt nicht“, sagte Benson. „Sie ist genau wie jede andere Ecke in dieser Stadt.“
Chloe ging zum Ende der Straße und schaute rechts um die Ecke. Wenn Bjurmann tatsächlich hier auf der Straße angegriffen worden war, musste der Angreifer sich hier versteckt haben. Das war ziemlich einfach, dachte sie. Es gab keine Ampeln, nur ein Stoppschild. Vor dem Schild stand jedoch eine riesige Eiche, die ihre Eicheln über den gesamten Boden verteilt hatte. Die Eiche war von verwelkenden Büschen umgeben. Aber auch ohne die Blätter gab es mehr als genug Gelegenheit, sich in der Hocke dahinter zu verstecken.
„In den Berichten steht, dass Bjurman eine Art Sporttrainer war“, sagte Chloe. „Wissen Sie welcher Art?“
„Ja, er war mehr so ein Fitness Coach und kein Trainer in dem Sinn“, sagte Anderson. „Hat drüben in einem privaten Fitnessstudio gearbeitet, hat aber auch Hausbesuche gemacht.“
„Was ist das für ein Fitnessclub?“
„Fulbright Fitness. So ein super teurer Schuppen, der Yoga, Schwitzkabinen und solche Sachen anbietet.“
„Und was ist mit Fielding?“, fragte Rhodes. „Was machte der beruflich?“
„Tagsüber – Autohändler, Bartender bei Nacht“, sagte Anderson.
Chloe gab ihr Bestes, sich nicht von ihren privaten Problemen ablenken zu