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in Ruhe!«

      Jetzt umfasst er meine Oberarme und lässt seine Hände darüber gleiten, was bei mir sofort eine Gänsehaut auslöst. Nicht vor Verlangen, sondern vor Ekel.

      Mittlerweile hat er mich völlig gegen das Fenster gedrängt, ich bin zwischen der Glasscheibe und ihm gefangen. Draußen legt sich bereits dunkel die Nacht über die Stadt und das Gebäude ist sicher fast leer, sodass schreien vollkommen sinnlos wäre, sollte diese widerliche Qualle noch zudringlicher werden.

      »Komm schon, ich kann dir geben, was immer du willst. Eine kleine, schicke Wohnung vielleicht?«

      »Ach, und wenn es Ihnen passt, kommen Sie bei mir vorbei und wir tun es, oder wie?«, rutscht es mir heraus.

      Angeekelt verziehe ich das Gesicht. Ich könnte kotzen.

      »Du willst es doch auch. Warum hast du denn immer diese engen, figurbetonten Kleider an? Doch nur, um mich und die Klienten scharfzumachen.«

      »Sie sind ja verrückt. Ich möchte jetzt gehen«, presse ich heraus und versuche, mich von seinen Händen zu befreien, als er mich abrupt an sich zieht und seine schmalen, kalten Lippen auf meinen Mund presst.

      Er riecht unangenehm, ich drehe schnell den Kopf weg und gebe ihm einen Schubs. Ein ersticktes Wimmern entweicht meinen Lippen. Ich habe Angst. Fullerton stößt sich an meinem Schreibtisch, als eine Stimme die Stille durchdringt, die mir bekannt vorkommt.

      »Nehmen Sie Ihre Finger von ihr. Sofort!«

      Das letzte Wort wirkt wie ein Peitschenknall. Erschrocken dreht mein Chef sich um und schaut direkt in die hasserfüllten Augen von Jay. Was macht er denn hier? Er wollte mich doch zu Hause abholen.

      »Jay«, rufe ich erleichtert und laufe zu ihm. Er legt den Arm um meine Taille, ohne Fullerton aus den Augen zu lassen.

      »Geh nach draußen und warte am Wagen auf mich«, bestimmt er. Aber ich denke gar nicht daran. Dann ergreift mein Chef das Wort.

      »Mister Edwards?!«, räuspert sich Fullerton. »Waren wir nicht erst in einer Stunde verabredet?«

      »Können wir jetzt das Geschäftliche erledigen?«, höre ich Jay antworten. Er presst die Lippen zusammen und an seinem Herzschlag spüre ich, wie aufgeregt er ist.

      Edwards!

      Mein Blick gleitet abwechselnd von Jay zu meinem Chef. Sekundenlang herrscht absolute Stille im Raum. Selbst Fullerton hat es die Sprache verschlagen. Auch er muss die Spannung spüren, die gerade den Raum erfüllt.

      »Wieso Edwards? Dein Name ist doch nicht Edwards!«

      Dann fällt auch bei mir der Groschen. Neben mir steht kein anderer als J. Edwards, der Mann, den ich über alles verabscheue. Hass wallt in mir auf. Ich hatte geglaubt, ihn zu lieben, ihm vertrauen zu können. Er hat mich nur ausgehorcht, als ich ihm einmal von Fullertons finanziellem Engpass erzählt habe. Nur deshalb hat er sich an mich herangemacht. Ich war ein Werkzeug, mehr nicht.

      Wie konnte er mir so etwas antun? Er hat mich benutzt. Nicht nur, was die Übernahme anbelangt; er hat mit mir gespielt. Wenn ich an all die Dinge denke, die ich über ihn gesagt habe, steigt noch mehr Hass in mir hoch. Ich habe J. Edwards verspottet und er hat genauso über ihn gelacht, wie ich es getan habe. Ich sehe mich wieder in dem kleinen Raum sitzen, der hinter der Bar liegt. Wie ein Film läuft die Szene vor meinem geistigen Auge ab, als ich ihm das erste Mal von J. Edwards erzählt habe und er nur Gleichgültigkeit und Nichtwissen signalisiert hat.

      Seit Wochen treffen wir uns, lieben uns an den verrücktesten Orten, und die ganze Zeit über verheimlicht er mir seine wahre Identität. Verdammt, er hat mich sogar offen angelogen, als er mir einen falschen Nachnamen genannt hat.

      »Du bist J. Edwards?«, keuche ich fast.

      »Sunday, ich kann das erklären.«

      »Was willst du mir denn erklären? Du hast mich belogen, mich ausgehorcht, mir eine Scheißkomödie vorgespielt. Ich hoffe, du hattest deinen Spaß dabei«, stoße ich erstickt und den Tränen nahe aus und schubse ihn von mir weg.

      »Lass uns in Ruhe darüber reden, aber nicht hier und jetzt«, bestimmt er.

      »Bei all den Dingen, die wir miteinander getan haben, hast du mich nur belogen und benutzt.«

      Das Räuspern von Fullerton durchdringt die Stille. Diesen Mistkerl habe ich komplett ausgeblendet. Aber auch das ist mir jetzt vollkommen egal, soll er doch denken, was er will. Das tut er sowieso.

      Jay kommt näher, greift nach meinem Arm. Zum ersten Mal sehe ich ihn hilflos. Diese Geste, wie er die Hand nach mir ausstreckt und doch genau weiß, dass er verloren hat, passt so gar nicht zu ihm. Er weiß nicht, was er tun soll. Ich sehe die Verzweiflung in seinem Blick, der mich stumm um Verzeihung bittet. Er steht zwischen Fullerton und mir. Sekundenlang scheint die Luft zwischen uns zu vibrieren.

      Fullerton blickt erst mich an, dann Jay, und plötzlich verziehen sich seine Lippen zu einem verräterischen Grinsen.

      »Wusste ich es doch. Sie haben sie gevögelt und diese Schlampe hat Informationen an Sie weitergegeben. Sie wussten alles über meine finanzielle Situation. Mit diesem Trick haben Sie sich meine Firma unter den Nagel gerissen und dieses Miststück hat Ihnen dabei geholfen«, stößt er verächtlich aus.

      »Halten Sie verdammt noch mal den Mund, Fullerton«, schreit Jay in seine Richtung.

      Ich schließe gequält die Augen, reiße mich aus Jays Armen los und renne aus dem Raum. Das kann doch alles nicht wahr sein. Ich bin die Betrogene und Fullerton stellt mich als Verräterin hin, die für Geld alles tun würde. Woher Jay seine Informationen hat, weiß ich nicht. Von mir weiß er definitiv nichts – zumindest nichts, was ihm einen besseren Deal verschafft hätte. Ich habe ihm nie Zahlen oder andere firmeninterne Informationen zugespielt.

      »Sunday, komm zurück, bitte«, dringen noch Jays Worte an mein Ohr, aber ich ignoriere sie.

      Ich wurde von Jay verletzt und von Fullerton zu einer billigen Hure abgestempelt; das ist eindeutig zu viel. Die Tür fällt mit einem lauten Knall zu. Tränen bahnen sich bereits einen Weg in meine Augen. Ich wische sie weg und laufe völlig aufgelöst in den Flur. Der Knoten in meinem Hals schnürt mir fast die Luft ab, sodass ich wie eine Ertrinkende nach Sauerstoff hechle, während ich nur einen Gedanken habe: Weg von hier!

      Vor den Aufzügen bleibe ich stehen und hämmere wie eine Irre mit der flachen Hand hektisch mehrere Male auf den Knopf, als käme der Aufzug dann schneller. Mein Blick fliegt zur Eingangstür der Büroräume, aber sie bleibt geschlossen. Wieder drücke ich gehetzt auf den Knopf und endlich höre ich, wie der Lift anhält und die Türen sich öffnen. Keine Minute zu früh, denn jetzt schwingt die Glastür auf und Jay tritt aus dem Büro. Er wirkt verärgert und kommt mit schnellen Schritten den Gang entlang auf mich zu.

      Jetzt fällt es mir erst auf. Er trägt eine Brille und einen Anzug. Seine Haare sind ordentlich mit Gel zurückgekämmt. Natürlich, sein zweites Gesicht. J. Edwards, der Immobilienmakler. Darum die ganzen teuren Anzüge in seinem Schrank, das exklusive Haus, die schicken Autos. Von wegen Makler an der Wall Street. Und diesem Scheißkerl habe ich vertraut. Ich wische meine laufende Nase an meinem Ärmel ab und hoffe, ihn nie wieder zu sehen.

      »Sunday!«, dringt seine Stimme an mein Ohr. Ich werfe ihm noch einen hasserfüllten Blick zu, dann betrete ich den Aufzug und drücke den Knopf für das Erdgeschoss.

      Geh schon zu!, beschwöre ich panisch die Türen, die sich in diesem Moment schließen. Der Aufzug setzt sich in Bewegung. Meine Hände sind zu Fäusten verkrampft und meine Fingernägel bohren sich schmerzend in meine Handflächen, aber ich brauche diesen Schmerz, um zu spüren, dass das hier alles Wirklichkeit ist. Als die Tränen unaufhörlich über meine Wangen rollen, wische ich sie mit dem Handrücken weg und sehe die Male, die meine Fingernägel hinterlassen haben.

      »Scheiße!«

      Ich krame die Autoschlüssel aus der Tasche, während die Leuchtanzeige die Stockwerke herunter zählt. Es sind nur zwei. Wenn Jay das Treppenhaus benutzt, ist er sicher genauso schnell unten