All diese Spiele sind dazu geeignet, die erotische Spannung zu erhöhen, die beim Sex miteinander existiert. Demselben Zweck sollen weitergehende SM-Aktionen dienen. Wenn du also nicht gleich ins kalte Wasser springen, sondern erst mal deinen großen Zeh hineinstecken möchtest – beziehungsweise wenn du deinen Partner dazu verführen willst –, kann es sinnvoll sein, erst mal mit solchen harmloseren Aktionen zu beginnen und zu schauen, wie du dich dabei fühlst.
Gehört Sex automatisch zu SM-Spielen dazu?
Hier kommt es darauf an, wie man »Sex« definiert. Für mich zum Beispiel ist erotischer Kontakt zwischen zwei Menschen, einschließlich SM-Spielen, immer Sex. Für den früheren US-Präsidenten Bill Clinton hingegen handelt es sich offenbar nicht einmal um Sex, wenn er von seiner Praktikantin einen geblasen bekommt. Wenn sich diese Frage auf den typischen Kuschelsex bezieht, bei dem ein Partner in den anderen eindringt (also klassischer Geschlechtsverkehr), dann ist die Antwort klar: Solche Handlungen können genauso von SM-Spielen ausgeschlossen werden wie alle anderen auch. Es gibt sogar ziemlich viele Menschen, die zusammen Spaß beim SM haben, aber keinen Sex im engeren Sinne miteinander möchten. So wie bei fast allem anderen zählt hier nur, was du und dein Partner bevorzugen. Ihr könnt SM sogar komplett ohne Körperkontakt genießen.
Besteht nicht doch die Gefahr, dass man mental aus der Spur gerät, wenn man sich auf solche Spiele einlässt?
Auf Außenstehende und Neulinge können SM-Spiele ein bisschen gruselig wirken. Wenn man zum Beispiel im Internet nach entsprechenden Videos stöbert und sieht, wie bei solchen Aktionen Menschen von anderen anscheinend aufs Übelste gequält werden, kann einen das durchaus verunsichern – erst recht, wenn man in sich selbst entsprechende Neigungen spürt. Kann das wirklich eine gesunde Form von Sexualität darstellen?
Diese Angst wird womöglich noch verstärkt, wenn man einen jahrzehntealten Sex-Ratgeber in die Hände bekommt, in dem SM-Spiele noch abgelehnt werden, oder wenn man es mit manchen Vertretern einer Denkrichtung namens Psychoanalyse zu tun bekommt, die sich stark an Auffassungen orientiert, die vor hundert Jahren hinsichtlich Sexualität geherrscht haben.
Heutzutage ist sich die Sexualforschung einig: Solche Spiele sind genauso gefährlich oder harmlos wie Sexualität ohne diese Elemente auch. Wenn man an den falschen Partner gerät, kann es problematisch werden, aber der Sinn der Sache besteht darin, allen Beteiligten Lust zu bereiten. Verschiedene Untersuchungen haben in den letzten Jahren immer wieder gezeigt, dass Menschen, die sich auf diese Aktionen einlassen, weder an einer seelischen Störung leiden noch antisoziale Einstellungen besitzen. Es zeigte sich sogar, dass die Versuchspersonen glücklicher waren und sich eher in stabilen Beziehungen befanden als die Menschen, mit denen man sie verglichen hatte und die keine solchen Vorlieben hegten. Die SM-Liebhaber waren weder als Kinder häufiger von ihren Eltern misshandelt worden noch hatten sie öfter irgendwelche anderen Erfahrungen gemacht, die sie schwer belasteten und die sie auf diese Weise verarbeiten mussten.
SM ist insofern einfach eine Art Spiel, auf das sich zwei (oder mehr) Menschen einigen und das jeder von ihnen auch abbrechen kann, wenn es ihm irgendwann zu wild werden sollte. Glücklicherweise sieht man ja auch bei vielen Pornoclips im Internet Menschen, die sich zuvor noch gegenseitig gefoltert haben, danach friedlich zusammensitzen und miteinander lachen.
Was ist das Reizvolle an solchen Spielen?
Gut, wirst du dich jetzt vielleicht fragen, aber warum machen so viele Menschen solche seltsamen Dinge? Und warum bringen mich solche Fantasien selbst derart in Fahrt, dass ich gern versuchen würde, so etwas auszuprobieren?
Ganz genau weiß das offen gesagt niemand. Wir Menschen werden nun mal von ganz unterschiedlichen Dingen erregt, ohne dass man wirklich herausfinden kann, woran es liegt. Manche Männer stehen bei Frauen zum Beispiel auf große Brüste, während anderen Männern das eher gleichgültig ist und sie dafür auf lange Beine abfahren. So wie in vielen anderen Sphären des Lebens ist das einfach eine Frage des persönlichen Geschmacks.
Es gibt allenfalls eine hübsche Theorie, die man zwar nicht im Geringsten beweisen kann, die aber immerhin Sinn ergibt: Dieser Theorie zufolge sind solche Spiele für manche Menschen eine Form, mit eigenen Ängsten umzugehen und sie auf diese Weise zu bewältigen. Wer also zum Beispiel Angst vor einem Krankenhausaufenthalt hat, lässt sich dann eher für Spiele im Zusammenhang mit Kliniksex begeistern, bei denen man als Patient einem Arzt ausgeliefert ist. Und wer im wahren Leben mit Uniformträgern oder anderen Formen von Autorität ein Problem hat, der findet es besonders prickelnd, wenn das ein Element von SM-Spielen wird. Demnach würde unsere Psyche innere Belastungen also in sexuelle Lust umwandeln, um daraus statt einer negativen eine positive Erfahrung zu machen, damit man besser damit zurechtkommt. Diese Theorie würde immerhin erklären, warum sich SM-Liebhaber in Untersuchungen als seelisch besonders ausgeglichen zeigen.
Stellen die Bücher und Filme »50 Shades of Grey« SM realistisch dar?
Die Romanreihe »50 Shades of Grey« hat zwar zu mehr Aufmerksamkeit und gesellschaftlicher Akzeptanz für SM-Aktionen geführt, ist aber bei vielen echten SM-Fans ironischerweise nicht besonders beliebt.
Ein erster Grund dafür besteht darin, dass SM darin als genau jene sexuelle Störung präsentiert wird, als die sie Sexualwissenschaftler seit Jahrzehnten nicht mehr sehen. Christian Grey, der männliche Held der Geschichte, wurde als Kind durch sexuellen Missbrauch traumatisiert und kann deshalb jetzt nur noch Sex haben, wenn er seine Partnerin fesselt und schlägt. Davon muss er erst durch Anastasias Liebe sozusagen »geheilt« werden. Im wahren Leben haben Menschen, denen SM-Spiele Spaß machen, natürlich auch gern ganz normalen Kuschelsex.
Aber die Romane sind in noch schwerwiegenderem Ausmaß dafür geeignet, bei jemandem, der sich damit nicht auskennt, einen falschen Eindruck von SM zu erzeugen. Und selbst wenn du diese Romane nicht gelesen hast, kann man daran sehr gut verdeutlichen, was SM ist und was einfach nur ein albernes Klischee.
Schon in den ersten Kapiteln der Romanreihe etwa zeigt sich, dass Christian Grey heimlich Software auf Anastasias Handy installiert hat (eine Frau, die er zuvor gerade zwei Mal getroffen hat), um immer sehen zu können, wo sie sich befindet. Diese Technologie benutzt er weiter, auch nachdem sie ihm mitgeteilt hat, dass sie ihn nicht sehen möchte. Als sie in einer Bar bewusstlos wird, verschleppt er sie in sein Hotelzimmer, wo er die immer noch Bewusstlose entkleidet, das Bett mit ihr teilt und einen seiner Angestellten ihre Maße nehmen lässt, damit sie exakt passende Unterwäsche erhält.
Als sie wachsendes Interesse an ihm zeigt, nutzt er dies aus, um ihr sexuelle Praktiken nahezubringen, mit denen sie sich sichtlich nicht wohlfühlt. Sobald sie ihm widerspricht, verdeutlicht er ihr, dass sich das für eine unterwürfige Partnerin nicht gehöre, und droht ihr an, sie zu bestrafen. Als Anastasia Dingen widerspricht, die er in einem »Sklavenvertrag« mit ihr festlegen möchte, mailt er ihr die Wikipedia-Definition des Wortes »unterwürfig« zu. Und als sie ihn einmal fragt, warum sie sein Sexspielzeug werden solle, erwidert er: »Um mir Vergnügen zu bereiten.«
Solche Geschichten, vor allem wenn sie massenhaft gelesen werden, können vor allem zwei negative Folgen haben. Sie können Angst vor SM-Erotik machen und dazu führen, dass man davor zurückschreckt, weil man befürchtet, sich einem anderen Menschen komplett ausliefern zu müssen und die eigenen Wünsche und Bedürfnisse überhaupt nichts zählen. Oder – und das wäre fast noch schlimmer – sie erwecken den Eindruck, dass »echter« SM genauso und nicht anders sein muss, weshalb man sich von seinem Herrn oder seiner Herrin tatsächlich alles Mögliche gefallen lässt – auch Dinge, die man nicht mag oder die einem nicht guttun.
Es ist mir deshalb wichtig – noch bevor wir zu praktischen Tipps kommen – klarzumachen, dass SM in gesunden Beziehungen so gerade nicht gehandhabt wird. Sexuelle Erfahrungen sollten für beide Partner lustvoll sein und nicht etwas, das einer dem anderen zuliebe erträgt. Die Aufteilung in Herr/Herrin und Sklave/Sklavin gilt nur innerhalb des Rollenspiels – so lange es auch dauert – und nicht außerhalb. Andernfalls hätte ein Mensch in unserer Gesellschaft automatisch mehr Rechte als ein anderer, nur weil er zufällig eine dominante Neigung besitzt und der andere eine unterwürfige.