Wenn es stimmt, dass der Mensch zum Bilde Gottes erschaffen ist, dann ist zu erwarten, dass sich Gottes Liebe zum Menschen von seiner Liebe zur übrigen Kreatur unterscheidet. Es ist außerdem zu erwarten, dass der Mensch fähig ist, auf Gottes Liebe zu antworten. Die Forschung hat gezeigt, dass der Mensch nicht nur in der Lage ist, auf die Liebe Gottes zu antworten, sondern dass er sogar nie ganz glücklich ist, bis er eine Liebesbeziehung mit Gott eingegangen ist.
Victor Frankl, der Auschwitz und drei weitere Konzentrationslager überlebte, erinnert uns daran, dass im Kern der Existenz des Menschen seine Suche nach Sinn steht. Augustinus weist darauf hin, dass der Mensch erst dann seine wahre Bedeutung erfährt, wenn er die Liebe Gottes erwidert: „Du hast uns auf dich hin geschaffen, o Herr, und unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in dir.“
Mein Freund Brian reiste nach dem Zusammenbruch des Kommunismus durch Russland. Ihm fiel auf, dass die Kirchen sonntags überfüllt waren. Nachdem Russland offiziell siebzig Jahre lang eine atheistische Gesellschaft gewesen war und mehrere Generationen gelernt hatten, dass Gott nicht existiert, erstaunte es ihn, dass so viele junge Menschen zur Kirche gingen. Er fragte seine junge Reiseführerin, eine ehemalige Mitarbeiterin des KGB, ob die Menschen sofort in die Kirchen geströmt seien, als sie die Freiheit dazu hatten.
„Nein“, antwortete sie, „zuerst waren es nur die alten Leute. Dann erst kamen die jungen dazu. Jetzt sind alle Kirchen voll.“
„Wie erklären Sie sich das?“, wollte Brian wissen.
„Früher hielten wir unsere politischen Führer für so etwas wie Götter“, erklärte sie. „Doch nun wissen wir, dass das nicht stimmt. Wir haben gelernt, dass der Mensch ein Mensch und dass Gott Gott ist. Jetzt wollen wir mehr über Gott wissen.“
Wenn der Mensch wirklich zum Bilde Gottes erschaffen wurde, dann ist diese Reaktion zu erwarten. Trotz aller Anstrengungen der Kommunistischen Partei, den Glauben an Gott auszurotten, sehnt sich das menschliche Herz auch dort immer noch nach der Liebe des Vaters.
Diese Sehnsucht nach dem Vater zeigt sich ebenso in menschlichen Beziehungen. In seinem Buch Life without Father (Leben ohne Vater) zeigt der Soziologieprofessor David Popenoe auf eindrückliche Weise, dass sich jedes Kind nicht nur nach der Liebe einer Mutter, sondern auch nach der Liebe eines Vaters sehnt. Die Kinderseele scheint zu wissen, dass sie diese Liebe braucht, um geborgen und glücklich zu sein. Wenn ein Kind diese Liebe nicht erfährt, lebt es mit einer unbestimmten Sehnsucht. Kinder wollen lieben und von beiden Eltern geliebt werden. Popenoe ist der Ansicht, dass das Fehlen dieser Liebesbeziehung das größte Übel ist, das wir mit ins einundzwanzigste Jahrhundert nehmen.
Die Liebesbeziehung wiederherstellen
Dementsprechend müssen wir die Liebesbeziehung zu Gott, unserem himmlischen Vater, wiederherstellen. Gott zu kennen und zu lieben sollte unser größtes Ziel sein, alles andere ist nur Hintergrundmusik. Wenn wir es lernen, ihn zu kennen und zu lieben, ist die Liebesbeziehung wiederhergestellt.
In den weiteren Kapiteln dieses Buches möchte ich den Lesern weitergeben, was ich in über vierzig Jahren der Ehe- und Familienseelsorge über Liebe gelernt habe. Ich glaube, dass die menschlichen Liebesbeziehungen ein Abglanz der Liebe Gottes sind. Wenn wir die Dynamik der Liebe zwischen Menschen verstehen, hilft uns das, die Ausdrucksformen der Liebe Gottes zu erkennen.
Viele Beispiele habe ich aus dem Leben meiner Freunde genommen. (Meistens habe ich nur ihre Vornamen verwendet oder ersetzt und Einzelheiten zum Schutze der Privatsphäre geändert.) Manche von ihnen kenne ich seit vielen Jahren; andere erst seit kurzer Zeit. Sie alle sind eine Liebesbeziehung zu Gott eingegangen. Ihre Geschichten haben mir geholfen und mich inspiriert, und ich hoffe, dass es Ihnen genauso geht.
Am Ende jedes Kapitels finden Sie ein paar Fragen zum Weiterdenken. Sie sollen Ihnen helfen, die gewonnenen Erkenntnisse und die Erfahrungen anderer auf Ihr eigenes Leben zu übertragen.
1. Die fünf Sprachen der Liebe verstehen
Bevor ich Sie in das Leben meiner Freunde mitnehme, möchte ich Ihnen zuerst von einer grundlegenden Beobachtung erzählen, die schon vielen Menschen geholfen hat, anderen mit Liebe zu begegnen. Nach vielen Jahren in der Ehe- und Familienseelsorge bin ich davon überzeugt, dass es nur fünf grundlegende „Sprachen“ der Liebe gibt. Es gibt viele „Dialekte“, aber nur fünf grundlegende Sprachen.
Jeder und jede von uns hat eine „Muttersprache der Liebe“. Es ist eine der fünf Sprachen der Liebe, die uns tiefer berührt als die anderen vier. Wenn jemand meine Muttersprache der Liebe spricht, fühle ich mich zu dem- oder derjenigen hingezogen, weil er oder sie mein Grundbedürfnis erfüllt, mich geliebt zu fühlen. Wenn jemand nicht mit mir in meiner Liebessprache spricht, frage ich mich, ob er oder sie mich wirklich liebt, denn auf der Gefühlsebene verstehe ich diesen Menschen nicht.
Das Problem vieler zwischenmenschlicher Beziehungen besteht darin, dass Sie und ich in unserer eigenen Liebessprache sprechen und uns fragen, warum uns unser Gegenüber nicht versteht. Es ist so, als spräche ich Englisch mit jemandem, der nur Deutsch versteht. Zwischenmenschliche Beziehungen werden wesentlich verbessert, wenn grundlegende Brachbarrieren entfernt werden, – und noch gestärkt, wenn wir lernen, die Liebessprache des anderen zu sprechen.
Das funktioniert! Tausenden von Paaren geht es so wie Scott und Anna. Sie waren vierhundert Meilen nach Atlanta gefahren, um an einem Seminar über die „Sprachen der Liebe“ teilzunehmen. Nach dem Vortrag am Freitagabend sagte Scott zu mir: „Dr. Chapman, wir wollen Ihnen dafür danken, dass Sie unsere Ehe umgekrempelt haben.“ Das konnte ich mir nicht erklären. Das Wochenendseminar hatte doch gerade erst angefangen!
Als er meinen fragenden Gesichtsausdruck sah, fuhr er fort: „Ich weiß, dass Sie uns nicht kennen, aber Gott hat dieses Konzept der Liebessprachen dazu gebraucht, um unsere Ehe zu verwandeln. Wir sind nun dreiunddreißig Jahre verheiratet, aber – um ehrlich zu sein – die letzten zwanzig Jahre waren ganz erbärmlich. Wir haben im selben Haus gewohnt und sind nach außen hin freundlich miteinander umgegangen, aber mehr auch nicht. Wenn Sie wissen wollen, wie schlecht es um uns stand: Wir waren in diesen zwanzig Jahren kein einziges Mal zusammen im Urlaub. Wir mochten es einfach nicht, zusammen zu sein.
Vor einiger Zeit erzählte ich einem Freund von meinem Unglück. Er ging nach Hause, holte Ihr Buch und gab es mir zu lesen. Er nahm an, dass es mir helfen würde. Ich ging nach Hause und las es. Etwa um zwei Uhr morgens hatte ich es durchgelesen. Ich schüttelte den Kopf und fragte mich: Warum habe ich das nicht gewusst?
Ich hatte sofort erkannt, dass meine Frau und ich seit Jahren nicht mehr in unseren Liebessprachen miteinander gesprochen hatten. Ich gab ihr das Buch und bat sie, es zu lesen und mich wissen zu lassen, was sie davon halte. Drei, vier Tage später setzten wir uns zusammen und redeten darüber. Wir waren einer Meinung, dass unser Leben anders verlaufen wäre, wenn wir das Buch schon vor zwanzig Jahren gelesen hätten. Ich fragte sie, ob sie der Meinung sei, dass wir jetzt noch etwas ändern könnten. Sie erwiderte: ‚Wir haben nichts zu verlieren.‘“
Leben verändernde Sprachen
An diesem Punkt schaltete sich Anna ins Gespräch ein: „Ich hatte keine Ahnung, ob sich wirklich etwas zwischen uns verändern würde, doch ich war bereit, es zu versuchen. Was dann passierte, kann ich immer noch nicht glauben. Wir genießen jetzt die Gegenwart des anderen. Vor zwei Monaten sind wir das erste Mal zusammen in Urlaub gefahren und haben eine wunderbare Zeit erlebt.“
Während des Gesprächs erfuhr ich, dass Scotts Sprache der Liebe „Anerkennung“ und Annas Sprache der Liebe „Geschenke“ war. (Alle fünf Sprachen der Liebe werden später in diesem Kapitel noch kurz dargestellt.) Scott war von Natur aus nicht jemand, der gern schenkte, im Gegenteil, Geschenke bedeuteten ihm nicht viel. Es versetzte ihn nicht in Hochstimmung, wenn er ein Geschenk erhielt, und es war ihm nicht wichtig, andere zu beschenken. Anna dagegen war eine Frau, die wenig Worte machte. Anderen Komplimente zu machen fiel ihr nicht leicht, und sie gab zu, oft kritisch zu sein.
Es kostete Scott einige Mühe, nun öfters Geschenke zu kaufen. Ja, er bat seine Schwester, ihm dabei zu helfen. Anna gab zu, dass sie zuerst dachte,