»Johanna,« sagten sie zu ihr, »Du hast Vertrauen auf Gott und uns gehabt; sei gesegnet! tu, was befohlen wurde, Kind; ziehe dahin, ohne Besorgnis, Dich zu verirren, und laß Dich durch eine erste Weigerung nicht abschrecken: der Herr und König des Himmels wird Dir die Überredung verleihen.«
»Aber soll ich so,« fragte Johanna, »auf den Wegen ganz allein der Gefahr mich aussetzen, oder mich in Städte wagen ohne sichtbaren Schutz, und wird man mich nicht für irgend ein entlaufenes Kind, oder irgend eine Abenteurerin von schlechtem Leben halten?«
»Der Schutz Gottes genügt dem, der an Gott glaubt, Johanna; aber weil Du einen Beschützer wünschest, so wird der Herr Dir, bevor Du wieder von Deinen Knien Dich erhoben hast, einen solchen senden. Also keinen Aufschub, keine Unschlüssigkeit mehr: auf, auf, Johanna, denn der Augenblick ist gekommen.«
»Der Wille des Herrn geschehe!« versetzte Johanna. »Ich bin nur die Demütigste unter seinen Mägden, und werde gehorchen.«
Kaum hatte Johanna diese Worte gesprochen, als die Wolke entschwebte, und die Vögel ihre Gesänge wieder begannen. Johanna vollendete ein innerliches Gebet, ein frommes und kindliches Gebet, worin sie ihre Eltern bat, ihr zu verzeihen, wenn sie so dieselben verließe, ohne ihnen Lebewohl zu sagen, und sie um ihren Segen zu bitten. Aber Johanna kannte ihren Vater: er war ein Mann von strengem Herzen und Geiste, und sie wusste, dass er ihr niemals erlauben würde, das Haus zu verlassen, um sich so mitten unter Kriegsleute und Schlachtfelder zu wagen.
Johanna lag noch auf den Knien, als sie hörte, dass man ihr rief. Zu gleicher Zeit flogen alle Vögel davon, die auf den Bäumen sangen. Johanna wendete sich um, und erblickte ihren Oheim Durand Haxart. Sie begriff, dass dies der Beschützer sei, welchen ihre Stimmen ihr verhießen, und sogleich sich erhebend, ging sie gerade auf ihn zu, voll Vertrauen und Heiterkeit, obwohl die unwillkürlichen Tränen des Scheidens noch in den Wimpern ihrer langen Augenlider zitterten.
»Du bist's, Hannchen?« sagte Meister Durand; »was machst Du denn da, mein Kind, während Dein Vater und Deine Mutter Dich überall suchen?«
»Ach! mein Oheim,« antwortete das junge Mädchen, traurig den Kopf schüttelnd, »sie werden mir noch lange so rufen, und mich suchen, denn ich habe sie so eben, vielleicht für immer, verlassen.« .
»Und wohin gehst Du denn, Hannchen?«
»Ich gehe, wohin mich Gott sendet, mein Oheim, und meine Stimmen sagten mir so eben, dass ich darauf zählen könnte, Ihr würdet mich dorthin begleiten, wohin ich gehe.«
»Höre, Hannchen,« versetzte Meister Durand, »hättest Du mir diesen Morgen einen solchen Antrag gemacht, so würde ich Dich bei dem Arme genommen, zu Deinem Vater zurückgeführt, und ihm geraten haben, Dich fortan besser zu hüten; als er es bisher tat; aber in Folge dessen, was ich mit meinen Augen sah und mit meinen Ohren hörte, fühle ich mich ganz geneigt, Dir beizustehen, wär's auch, um eine Torheit zu begehen. Erzähle mir also, was Dir begegnete, sprich, worin ich Dir nützen kann, und zähle auf mich.«
Johanna schlug mit ihrem Oheim den Weg nach Neuschâteau ein, wo er wohnte, und setzte ihn, den ganzen Weg entlang, von den Vorfällen in Kenntnis, die wir so eben selbst erzählten, so, dass durch die den ungläubigen Leuten so natürliche Gegenwirkung, Herr Durand Haxart, vor der Türe seines Hauses ankommend, Johanna ermutigte und tröstete. Dennoch hielt er es für passend, eine kleine Aenderung an dem von dem jungen Mädchen gewühlten Plane zu machen; dieser Plan bestand darin, ihr nach Vaucouleurs voranzugehen, und den Capitain Robert von Beaudricourt von dem Besuche in Kenntnis zu setzen, den er bekommen winde; da Johanna vorzüglich Anstand nahm, allein sich ihm vorzustellen, empfing sie das Anerbieten ihres Oheims mit Dankbarkeit.
Meister Durand brach am folgenden Tage auf; aber der Empfang von Seite des Capitains Beoudricourt war weit entfernt, seiner Erwartung zu entsprechen: es hatte bereits eine Frauenperson, Namens Marie Davignon, auf Merlins Weissagung sich stützend, dem Könige vorgestellt zu werden verlangt, behauptend, dass sie ihm wichtige Dinge zu offenbaren habe, aber als sie einmal vor ihm stand, ihm nur zu sagen gewusst, dass einst ein Engel ihr erschienen war, der ihr Waffen reichte, und bei dem Anblicke dieser Waffen eine so große Furcht sie befiel, dass der himmlische Abgesandte ihr zu sagen sich beeilte, diese Waffen seien nicht für sie bestimmt, sondern für eine andere Frauenperson, welcher es vorbehalten wäre, Frankreich zu retten. Nun aber antwortete der Capitain Beaudricourt, der mit irgend einer Abenteurerin vom nämlichen Schlage zu tun zu haben fürchtete, dem Meister Durand, dass seine Nichte eine Verrückte sei, und dass er ihm rate, sie nach tüchtiger Beohrfeigung zu ihrem Vater und ihrer Mutter zurück zuführen.
Meister Durand hinterbrachte diese Antwort seiner Nichte, die sogleich zu beten begann, die Stimme in den gewohnten Ausdrücken anstehend: diesmal, wie sonst erschienen der Erzengel und die Heiligen. Johanna befragte sie wegen des so eben stattgefundenen Misslingens, und die Stimme sagte zu ihr:
»Du hast gezweifelt, Johanna, während Gott glaubensvolle Herzen will; Gott befahl Dir, selbst hinzugehen, und Du sendetest einen Andern, und diesem Andern ist
es nicht gelungen, denn Dir allein verlieh Gott die Gabe der Überredung. Geh also, denn Alles kann noch wieder gut gemacht werden, indessen, wenn Du zauderst, Alles verloren sein wird.«
Johanna sah, dass sie nicht mehr zögern dürfe, und brach an dem Tage auf, welcher der Freitag nach dem Dreikönigsfeste, im Jahre der Gnade 1429 war; sie kam bei Nacht nach Vaucouleurs: ihr Oheim, der sie begleitete, klopfte an die Tür eines Wagners, der sie gastfreundlich aufnahm. Das Weib des Wagners wollte das eigene Bett mit Johanna teilen; aber Johanna lehnte es ab, schickte sich zum Gebete an, und betete, bis der Tag kam.
Dieses Gebet verlieh ihr eine so große Zuversicht, dass sie, als sie glaubte, dass die Stunde gekommen sei, bei dem Herrn von Beaudricourt zu erscheinen, den Beistand ihres Oheims mit der Bemerkung ablehnte, die Stimmen hätten ihr befohlen, allein hinzugehen; wirklich stellte sie sich gegen neun Uhr Morgens bei dem Capitain ein. Da es noch sehr früh war, ergötzte dieser Besuch die Reisigen sehr, welche sie sogleich zu ihrem Gebieter führten, obgleich er in diesem Augenblicke mit einem tapferen Ritter, Namens Johann von Novelompont, eine Unterredung pflog, der gerade von Chien, an der Loire, kam, und dem Herrn von Beaudricourt die Nachricht von dem Tode des Grafen von Salisbury brachte.
Johanna trat ein, näherte sich dem Capitain, und sagte zu ihm:
»Herr Robert, wisst, dass mein Gebieter mir seit langer Zeit befahl, zu dem edlen Dauphin zu gehen, welcher der einzige und wahre König von Frankreich sein soll, ist, und sein wird.«
»Und wer ist dieser Gebieter, meine Liebe?« fragte Herr von Beaudricourt lächelnd. ,
»Der König des Himmels,« antwortete Johanna.
»Und was wird geschehen, wenn Ihr bei dem Dauphin sein werdet?«
»dass der Dauphin mir Reisige geben wird; dass ich die Belagerung von Orleans aufheben, und nach ihrer Aufhebung ihn zur Salbung nach Rheims führen werde.«
Die beiden Rittet schauten sich an, und brachen in ein lautes Gelächter aus.
»Zweifelt nicht,« sprach Johanna mit der ihr eigentümlichen ernsten und ruhigen Miene, »denn, meiner Treue, ich sage Euch die genaue Wahrheit.«
»Aber es ist nicht das erste mal, dass ich Euch sehe, dünkt mir,« bemerkte Herr von Beaudricourt, Johanna anschauend.
»Ich bin's,« entgegnete das junge Mädchen, »die Euch am Dreikönigstage den Tod des Grafen von Salisbury verkündete, den dieser edle Ritter,« fügte sie bei, zu Johann von Novelompont sich wendend, »Euch so eben bestätigt hat.«
Der Ritter bebte,