Eine gute Möglichkeit, das eigene Schreiben zu üben, bieten Anthologie-Ausschreibungen von Verlagen, Literaturportalen oder anderen Organisationen. Zur Erklärung: Eine Anthologie ist eine Sammlung meist kürzerer Texte verschiedener Autoren, die dann in einem Buch zusammengefasst werden.
Zudem bieten sich zahlreiche Gelegenheiten, eigene Texte bei Schreib- und anderen Wettbewerben einzureichen. Lesen Sie jedoch immer ganz genau die Ausschreibungsunterlagen – bei manchen Wettbewerben dürfen beispielsweise nur Gedichte, bei anderen nur experimentelle Texte oder Erzählungen mit einer bestimmten Zeichenanzahl eingereicht werden. Halten Sie sich nicht an die Ausschreibungsrichtlinien des Veranstalters, wird Ihr Text mit Sicherheit aussortiert, denn es macht natürlich keinen Sinn, eine Erzählung bei einem Wettstreit einzureichen, bei dem Gedichte gesucht werden.
Unsere beiden Verlage – Papierfresserchens MTM-Verlag und der Herzsprung-Verlag – bieten seit Jahren regelmäßig Anthologieprojekte an. Informationen dazu finden Sie auf unseren Internetseiten www.papierfresserchen.de sowie www.herzsprung-verlag.de. Viele weitere interessante Ausschreibungen und Wettbewerbe finden Sie stets auf der Internetseite www.autorenwelt.de.
Doch kommen wir zurück zu Ihrem ersten längeren Werk, das Sie gerade schreiben oder bereits geschrieben haben: Besinnen Sie sich auf Ihr Talent und Ihre Leidenschaft, auch wenn das erste Werk Ihnen vielleicht noch nicht den Erfolg bringt, den Sie sich für Ihre schriftstellerische Zukunft wünschen. Schreiben Sie täglich, lesen Sie und halten Sie Augen und Ohren offen, um Ihre Umwelt wahrzunehmen, denn noch immer ist es nicht zuletzt das Leben, das die besten Geschichten schreibt ...
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3. Praxistipps
Auf den folgenden Seiten gebe ich Ihnen einige praktische Tipps, die Sie in Ihr Schreiben einfließen lassen können. Picken Sie sich aus diesem Rezept die Zutaten heraus, die Sie benötigen – und brauen Sie dann Ihr ganz eigenes Süppchen. Denn eines möchte die Literaturwelt ganz sicherlich nicht – einen Einheitsbrei, der immer und überall gleich schmeckt.
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3.1 Schreiben mit allen Sinnen
Das Schreiben ist meist eine einsame Handlung. Es erfordert Ruhe und Konzentration, ein tiefes Eintauchen in die eigenen Gedanken. Deshalb kann es schnell passieren, dass man sich in seiner Fantasiewelt verliert. Wenn Sie merken, dass Sie sich verlieren, machen Sie eine Pause. Gehen Sie hinaus in die reale Welt. Öffnen Sie Augen und Ohren, erfassen Sie mit allen Sinnen, was um Sie herum vorgeht.
Das kann auch ein probates Mittel sein, um Schreibblockaden zu überwinden. Ich habe früher in solchen Situationen ein kleines Tonbandgerät mitgenommen, um das, was mir bei Spaziergängen oder Autofahrten durch den Kopf gegangen ist, aufzusprechen, um die Worte nicht gleich wieder zu vergessen.
Heute kann man mit dem iPhone oder Smartphone Sprachnotizen aufnehmen. Selbstverständlich können Sie auch auf Papier und Stift zurückgreifen, um Gedanken festzuhalten. Mir selbst ging das Schreiben aber oft nicht schnell genug, wenn die Gedanken sprudelten ...
Mit allen Sinnen schreiben bedeutet aber weitaus mehr. Ich will Ihnen das an einem Textbeispiel verdeutlichen. In dem Buch Triumph des Lebens von Jean Giono, das 1949 erschienen ist, heißt es an einer Stelle:
Hol mir eine Handvoll Pfeffer, eine Handvoll Wacholder, zwei Gewürznelken, ein Lorbeerblatt, einen Stengel Basilikum, zwei Stengel Minze, einen Schirm Fenchel, Salz, Essig und ein Stück Speck ...
Geht und holt mir, du ein Glas Schnaps, ein großes, du mageren Speck, du trockenen Thymian und Bindfaden. Du nimmst jetzt die Spicknadel; schlagt das Feuer nieder ... Reibt mir dies ganze Fleisch mit Branntwein ab ...3
Dieser Text ist fürwahr ein wundervolles Beispiel dafür, wie alle Sinne in das Schreiben einbezogen wurden.
Riechen Sie die Gewürze?
Schmecken Sie den Schnaps?
Fühlen Sie, wie er die Kehle hinunterläuft?
Fühlen Sie den fetten Speck an Ihren Fingern?
Riechen Sie das Feuer?
Läuft Ihnen das Wasser im Mund zusammen?
Solche Szenen kann man nur dann und nur so zu Papier bringen, wenn man schmeckt, fühlt, riecht, was um einen herum passiert. Das sind keine Erfahrungen, die man am Schreibtisch machen kann. Und es kommt noch etwas hinzu. Der Schriftsteller bindet seine Figuren in das Geschehen, in seine eigene sinnliche Erfahrung ein.
Otto Schumann schreibt dazu:
Suchen Sie vor allem, Sichtbares und Hörbares, Duft und Geschmack und Tastbares in Bewegung umzusetzen. Mit dem Beschreiben ist wenig gewonnen. Giono steigert das vortrefflich, zunächst gibt er eine Aufzählung, dann setzt er die Menschen in Bewegung („hol mir ... du nimmst ... reibt“), bis sich alles eint zu einer bewegten und bewegenden Sinfonie.4
Wenn Sie also an Ihrem Buch arbeiten, dann versuchen Sie, alles, was realistisch mit Sinnen zu erfassen ist, tatsächlich sinnlich zu erleben. Kocht Ihr Held eine Kohlsuppe, dann versuchen Sie sich selbst am Herd. Riechen Sie, wie der Zwiebelduft durch die Küche zieht – was empfinden Sie dabei? – saugen Sie den Duft des Kohls bewusst ein. Bringen Sie zu Papier, was Ihnen durch den Kopf geht. Rümpfen Frau, Mann, Kinder die Nase? Welche Erinnerungen werden in Ihren, in den Gedanken Ihrer Lieben geweckt?
Selbstverständlich weiß ich, dass man dieses sinnliche Erleben nicht bei jedem Buchprojekt umsetzen kann. Kein Kriminalschriftsteller soll sich von mir durch meine Ausführungen dazu verleitet sehen, selbst auszuprobieren, wie es sich anfühlt, ein Verbrechen zu begehen. Aber da, wo es möglich ist – und sei es nur ein Waldspaziergang, den Sie eindrucksvoll schildern möchten –, probieren Sie es aus. Nicht in Ihrer Erinnerung, sondern jetzt, sofort ...
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3.2 Hauchen Sie Ihren Figuren Leben ein
Auf eine ähnliche Weise können Sie auch die Figuren in Ihren Büchern entwickeln. Erschaffen Sie diese nicht nur in Ihren Gedanken, Ihrer Fantasie oder adoptieren Sie Figuren anderer Schriftsteller. Schaffen Sie Ihre ganz eigenen, unverwechselbaren Charaktere.
Und wie?
Ganz einfach:
Beobachten Sie Menschen auf der Straße, im Café, im Kino, in der Straßenbahn ... wo auch immer Sie anderen Männern, Frauen, Kindern begegnen.
Welche Gesichtszüge haben sie?
Wie sind sie gekleidet?
Welche Gestik haben sie?
Wie riechen sie?
Wie bewegen sie sich?
Welche Eigenarten haben sie?
Wie lachen sie?
Wie weinen sie?
Lassen Sie bei Ihrer Recherche den wichtigsten Menschen nicht aus: Fragen Sie sich selbst, wie Sie aussehen, wenn Sie weinen, lachen, traurig sind. Schreiben Sie auf, welche Wünsche und Träume Sie haben und wie Sie diese verwirklichen wollen. Wie reagieren Sie selbst in bestimmten Situationen?