Ich schrie die Wut heraus, als ich weiter durch die Straßen Manhattans schoss, wobei mir die Straßenverkehrsordnung herzlich egal war. »Das ist mir noch nie passiert! Noch nie! Der hätte mich fünfmal ficken müssen!«
»Nicht, dass du das nicht auch schon mal mit Typen gemacht hast ...«
Für einen kurzen Moment wich der Zorn und ich fiel in meine Erinnerungen zurück, während ich mit quietschenden Reifen an einer Ampel hielt.
»Ach, das war etwas anderes«, keifte ich zurück.
»So? Was war denn mit dem Typen in diesem Irish Pub, von dem du dich hast lecken lassen und dann einfach gegangen bist?«
»Ach, das war ...«
»Oder«, sie erhob ihre Stimme. »Oder bei dieser bescheuerten Boutique-Eröffnung auf der 7th, zu der du mich mitgeschleppt hast, wo du den Modefritzen geritten hast, gekommen bist und dann einfach abgehauen bist.«
Tief waren diese schönen Ereignisse in meinen Gedanken verwurzelt und für einen Augenblick ertappte ich mich dabei, wie die Wut abnahm und sich ein Lächeln auf meine Lippen legte. Sein ungläubiger Blick war einfach herrlich gewesen, als er mit heruntergelassener Hose und einem feuchten glühenden Schwanz zu mir aufgeblickt hatte, wobei er mit offenem Mund beobachten musste, wie ich mich wieder anzog. Dieses verwirrte Gestammel werde ich nie vergessen ...
Erst durch lautes Hupen neben mir wurde ich in die Gegenwart geschleudert. Mein Kopf fuhr so schnell herum, dass sich die Klammer aus meinen Haaren löste. Neben mir hatte ein Ferrari gehalten und zwei junge Männer mit akribisch geföhnten Haaren lächelten mich an. Die hellen Farben ihrer Poloshirts strahlten mit ihren verspiegelten Sonnenbrillen um die Wette, als der Beifahrer sich zu mir herüberlehnte.
»Schicke Karre«, sagte er betont lässig und nickte.
In was für einer Welt leben wir eigentlich? Das kann doch nicht deren ernst sein. Amüsiert über dieses allzu erfüllende Klischee, hatten Daddys Lieblinge sich doch definitiv einen falschen Zeitpunkt für ihre Testosteronschübe ausgewählt.
»Isabelle, bist du noch da?«
»Warte mal bitte einen Moment, ich muss mal kurz was erledigen ...«
Der Motor des italienischen Boliden heulte mehrmals auf, als wäre es ein Tier, das gleich loszuschlagen drohte. Ich konzentrierte mich und streichelte über mein Lenkrad. Den Mund brauchte ich mittlerweile bei so einfachem Zaubern gar nicht mehr zu bewegen. Als die Ampel auf Gelb umsprang, ließ ich den Demolationszauber los. Kein Knall, keine Explosion, nicht einmal ein Geräusch. Doch der wunderschöne rote F430 soff sofort ab und würde auch nie mehr anspringen. Eigentlich eine Schande. Wenn die beiden Halbstarken die Motorhaube öffneten, würden ihre Augen nur einen Haufen unglaublich kostspieligen Schrotts sehen. Da würde Daddy aber sauer sein!
Die Flüche der beiden interessiert wahrnehmend, spitzte ich die Lippen und pfiff ihnen entgegen. Ihre hochroten Köpfe wanderten nur langsam zu mir, doch als ich ihre Aufmerksamkeit hatte, formte ich einen Kussmund, legte meinen Mittelfinger auf meine Lippen und hauchte ihnen einen Kuss entgegen. Dann gab ich Gas ... viel Gas. Ich liebe starke Auftritte!
»So, erledigt. Was weißt du über ihn?«, fragte ich Ira.
»Äh, warte.«
Durch das Lautsprechersystem hörte ich sogar die Anschläge auf ihrer Tastatur. Sie würde nun mit dem hauseigenen System seine Akte raussuchen und ihn mit verschiedenen Suchmaschinen durchleuchten. Gut, dass der Zirkel andere Möglichkeiten hatte. Diese kleine Nummer hatte meinen Hormonhaushalt wieder ins Gleichgewicht gebracht, so konnten Ira und ich unser Gespräch fortsetzen. Während der Wind mir um die Haare wehte, und ich allmählich die Innenstadt in Richtung Queens verließ, genoss ich den facettenreichen Duft der Parklandschaft. Die hohen Bäume reckten sich dem Himmel entgegen und durchschnitten die glitzernden, fast brennenden Strahlen der hellen Sonne im Sekundentakt. Ich genoss diesen Augenblick und konnte spüren, wie der Fahrtwind meinen Zorn wegpfiff.
»Ich muss dich leider enttäuschen«, sagte Ira nach einiger Zeit. Ihre Stimme war dabei dünn und rissig, wie junges Eis, das von den ersten Sonnenstrahlen erwärmt wurde. »Viel kriege ich nicht über den raus.«
Fragend sah ich das Display meines Handys an. »Was heißt, nicht viel?«
»Fünfundzwanzig Jahre alt, wurde von Myrs und de la Crox persönlich in den Zirkel geholt, keine Adresse, keine Telefonnummer, keine Zeugnisse, kein psychologisches Profil. Vormals im Zirkel West tätig. In L.A. Aber auch da keine weiteren Informationen.«
Sie ratterte die Daten runter, genau, wie sie auf ihrem Bildschirm aufflimmerten.
»Ist auf direkten Befehl von da la Crox hierher kommandiert worden. Das war es. Sorry, Isabelle.«
Ich stöhnte nachdenklich. Dass wir uns unsere Mitarbeiter selbst aussuchten, war ein ganz normaler Vorgang. Schließlich waren Hexen auf dieser Welt rar gesät und es waren pro Jahrgang in Amerika nicht einmal einhundert, die von uns ausgewählt wurden. Natürlich gab es weder eine Webseite noch eine Adresse, bei der man sich einfach so bewerben konnte, doch in der Regel wurde der potenzielle Kandidat mehrfach durchleuchtet.
»Ah, warte«, stieß Ira plötzlich hervor, anscheinend glücklich, doch noch etwas gefunden zu haben. »Du wirst es nicht glauben, aber allem Anschein nach ist der kleine Soldat doch kein unbegabter Reaper, der nur mit großen Waffen umgehen kann.«
Ich steuerte meinen Wagen bereits auf die großzügige Einfahrt, während ich wie gebannt ihrer Stimme lauschte.
»Seine magischen Fähigkeiten, sein gesamter Werdegang, einfach alles ist zur absoluten Verschlusssache erklärt worden. Da kommst nicht einmal du dran. Obwohl du mittlerweile Sicherheitsoffizier bist, sonder nur ...«
Ich vollendete den Satz meiner Freundin, während ich bereits meine Handtasche nahm und mit zusammengebissenen Zähnen in den Rückspiegel blickte.
»... die Chefinnen der Zirkel.«
Wie jedes andere Land mit großen Zirkeln, war auch Amerika in vier Divisionen aufgeteilt. Vier Chefinnen in diesem Land hatten also Einsicht in seine Akte. Was konnte so wichtig an ihm sein, dass nur die oberste Führungsriege seine Daten wissen durfte? Dass er kein ganz normaler Reaper war, mit minderen magischen Fähigkeiten, war mir spätestens bewusst, als er in meine Gedanken eingedrungen war. Doch wie gut konnte er wirklich sein?
Als die Wohnungstür sich geräuschlos öffnete und den Blick in mein Appartement freigab, die Kühle mir entgegenströmte und zärtlich über mein Gesicht fuhr, wurde mir schlagartig bewusst, dass ich in wenigen Stunden bereits meine Arbeit in der Nachtschicht wieder aufnehmen musste. Doch ich konnte nicht anders, als an den immer geheimnisvoller werdenden Mann zu denken, dessen dunkle Augen mehr Fragen aufwarfen, als mir lieb war. An diesem späten Nachmittag kuschelte ich mich in die herrlich kühlende Seidenbettwäsche und meine Gefühle überschwemmten mich. Hass und Unverständnis vermischten sich wie die Farben auf einem Bild mit Lust und Begierde. Zu unreal schien dieses Gefühl zu sein, zu unwirklich diese Gedanken, die meinen Geist nicht zur Ruhe kommen lassen wollten. Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich Gedanken nicht lesen, nicht wissen, was dieser Mann fühlte, was er dachte und was er begehrte. Doch was noch schlimmer war: Zum ersten Mal konnte ich etwas, das ich unbedingt wollte, nicht haben – und genau das machte mich wahnsinnig!
Erst die Arbeit ...
In den ersten Augenblicken, in denen man erwacht, ist alles gut. Die Bettwäsche lag wie eine schützende Hülle über meinem entspannten Körper und hatte genau die richtige Temperatur, um mich einfach weiterschlafen zu lassen. Meine Atmung war ruhig und der undurchsichtige Schleier, der mich beim ersten Augenaufschlag umgab, hatte etwas Besinnliches. Und dann erwachte der Geist. Unbarmherzig schlägt der Kopf mit aller Macht zu und verdrängt alles Schöne und Angenehme mit den verschlingenden Überlegungen, welche man im Schlaf vergessen konnte.
Es war bereits kurz vor Dienstbeginn, als ich aus der Dusche stieg. Durch