Das Strafmaß der Scharia richtet sich zum größten Teil nach den in Koran und Sunna beschriebenen Bestrafungen – es ist gottgegeben und verbindlich. Bei Ehebruch z. B. droht Verheirateten die Steinigung. Einem Dieb ist die rechte Hand abzuschlagen und auf den, der vom Glauben abfällt, wartet ebenfalls die Todesstrafe durch Steinigung.
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Die Spaltung des Islam in die sunnitische und die schiitische Glaubensrichtung geht fast bis zu den Ursprüngen der Religion zurück und ergab sich aus dem Streit um die Führerschaft der religiösen Gemeinschaft nach dem Tod des Propheten Muhammad.
Der sunnitische Islam, und besonders seine wahabitischen und salafistischen Strömungen, betrachten Schiiten als Abweichler vom rechten Glauben.
Eine Minderheit unter den Schiiten sind die Ismailiten, deren eine Untergruppe (Nizari-Ismailiten) als Anhänger des Aga Khan bekannt geworden sind.
Als wir das erste Städtchen erreichen, erwarten uns ausnahmslos Männer in traditioneller Kleidung, weiten Pluderhosen, mit brustlangen Bärten und dunkel geschminkten Augen. Vor unserem Hotelzimmer patrouilliert ein Polizist mit Kalaschnikow. Ein finsterer Pakistani kommt auf mich zu und schenkt mir plötzlich ein Lachen. „Es ist so toll, dass ihr hier seid. Lasst uns Tee trinken!“ Er umarmt mich aus Freude über unseren Besuch und fragt auch Claudia: „Darf ich dich mal drücken?“
EINLADUNG ZU TEE UND CHAPATI, DEM TRADITIONELLEN FLADENBROT
Hunza, Pakistan
Am nächsten Tag kommt uns Imran auf seinem Sportrad entgegen und drängt uns in sein Bergdorf, wir sollten hier unbedingt pausieren. Weiter unten würden die Schiiten eine Prozession abhalten, die Straßen seien gesperrt. Einen Tag verbringen wir bei ihm und seiner Familie und ich werde völlig überraschend in mein Leipziger Studentenleben zurückgebeamt. Wir treffen uns mit Freunden, allesamt Philosophie-Studenten, auf dem Tisch stapeln sich Kant, Rousseau, Foucault. In fließendem Englisch lästern sie über das Militär und reagieren wie jeder (männliche) Nicht-Ossi, dem wir vom Nacktbaden am Cospudener See erzählen: „Da müssen wir hin!“ Das Dorf ist blitzblank geputzt, die Frauen tragen ihr Kopftuch lässig oder gar nicht. Wir sind bei den Ismailiten im nördlichen Hunza-Tal. Eine muslimische Gruppe, deren Führer Aga Khan vor allem in Schulen und Universitäten investiert und mit Stiftungsgeldern und Beratung Hilfe zur Selbsthilfe bietet. „Bleibt bei uns in Hunza“, raten sie zum Abschied und wir fragen uns, warum?
Nur einige Dörfchen weiter verändert sich die Atmosphäre, wir erreichen konservativ-schiitische und sunnitische Gebiete. Die Menschen sind weiter freundlich, ohne Frage, wir erhalten Hilfe, wann immer notwendig. Doch deutlich weniger winken uns zu, sie starren statt zu grüßen und uns anzusprechen. Es fällt uns schwer, höflich zu bleiben bei all den staubigen Männern, die Milchtee trinken, Haschisch rauchen und lethargisch die Straßen säumen, umgeben von Müll. Ganze Dörfer erinnern an verwahrloste Männer-WGs. „Wo sind all eure Frauen? Ich fühle mich einsam“, frage ich in einem Straßenrestaurant, auf dessen Dach Hörner und Schädeldecken von Ziegen verwesen. Einer spricht von separaten Straßen für Frauen, als sei es das Normalste der Welt. Sein Kollege lacht: „Wir machen Business, die Frauen sind zu Hause.“ Geschäftstüchtigkeit ist ein dehnbarer Begriff. Nur einer gesteht: „Nicht wir, sondern sie erledigen die Drecksarbeit.“ Die wenigen Muslima, die wir von Nahem sehen, haben Hände wie Steinbrucharbeiter. Von Kopf bis Fuß verschleiert, ackern sie auf den Feldern und ersetzen mit ihren Rücken Esel und Pferde, um die Erträge fortzuschaffen. Nur die Hälfte von ihnen kann lesen und schreiben, bei den Männern sind es mehr als zwei Drittel. Es gibt noch Stammesgebiete, in denen Mädchen ihre Vergewaltiger heiraten müssen, um den Frieden zwischen den Clans zu wahren. Anderswo kontrolliert die Schwiegermutter nach der Hochzeitsnacht das Bettlaken, will sichergehen, dass die Braut unbefleckt war. Ein Hauptstädter zeigt sich unglücklich mit seiner jungen Frau, krank sei sie geworden nach der Geburt des vierten Kindes. Nun werde er sich eine zweite Gattin suchen, die den Haushalt führt. Erstmals verhüllen junge Mädchen ihr Gesicht, sobald sie uns entdecken. Frauen schnappen ihre Kinder und rennen fort. „Schüchtern“ seien die Damen, grinsen die Männer. Von einer Lehrerin erfahren wir: „Mein Mann erlaubt es nicht, dass ihr mich fotografiert. Eigentlich dürft ihr mich gar nicht sehen. Es geht um meine Ehre.“ Mich dagegen knipsen die Ehemänner oft ungefragt mit dem Handy. Und dann der Gegensatz, der Widerspruch. Ein Geländewagen hält an einer Garküche, Zahnärztinnen aus Islamabad begeben sich zu Tisch – wunderschön geschminkt, ohne und mit Kopftuch, streng oder lässig umgebunden. Außer dem Chauffeur ist kein Mann an ihrer Seite, auch kein Ehemann, der sie bewacht. Energisch winkt eine der Frauen ab: „Heiraten? Kommt gar nicht in Frage!“
ZAHNÄRZTINNEN AUS ISLAMABAD, PAKISTAN
„Heiraten? Bloß nicht!“
ASTORETAL, PAKISTAN
Die Holzernte wird eingefahren
In Skardu begegnen wir einem Kämpfer, einem, der es besser machen will. Professor Karim attackiert sein Land: die Bildung sei unterirdisch, Schulen würden nur auf dem Papier gebaut. Die Armen besuchten, wenn überhaupt, nur Madrassas, Religionsschulen, die neben dem Unterricht auch kostenfreies Mittagessen ausgäben. Häufig stelle die Regierung nur Plätze für Jungen und „manche Lehrer müssen zwei bis drei Stunden laufen, ehe sie ihre Schule erreichen. Im Winter fällt der Unterricht oft aus.“ Karim leitet die Lehrer der Zukunft an. Er bittet uns darum, seinen Studenten von unseren Schulen in Deutschland zu erzählen, mehr Frauen als Männer sitzen im Hörsaal.
Im Anschluss folgt die Stadtführung eines Verzweifelten: Professor Karim flucht über die notdürftig geflickten Schlaglochpisten, wettert über die schmalen, sandigen Spuren, die ihn bei Gegenverkehr in den Graben zwingen. „Look at this dust! They even cannot build a road!“, bellt er und verflucht die dichten Wolken aus Staub, die durch die Gassen und Märkte ziehen. Karim trägt Anzug und Professorenbrille, studierte an der Oxford University und forschte in den USA. Er selbst wuchs unter Ismailiten auf, der Vater schuftete für die Ausbildung des Sohnes. In Skardu, wo Männer im Dreck hocken und Frauen unsichtbar sind, wirkt er deplatziert mit seinem Verstand. Bleiben will Karim trotzdem: „Ich will den Studenten helfen, die wie ich aus armen Familien stammen.“ Dennoch lässt er uns mit mehr Fragen als Antworten zurück. Nach einem Tee in seinem Haus greift er zum Handy und ruft seine Frau an, die augenblicklich aus dem Nebenzimmer eilt – und abräumt.
DIE HOACH FAMILY
Harry Potter hat keines der Kinder gelesen, weil die Bibel Zauberei und Magie als satanisch verdammt, Hexen und Geister gelten als Diener des Teufels.
Oregon beschert uns den größten Werbegag der Reise, und den gefährlichsten. Der Highway 101 entlang der Küste, eine der „Traumstraßen dieser Erde“, entpuppt sich als highway to hell. Überladene Holztransporter, unsichere Wohnwagenfahrer und genervte Berufspendler drängen uns an den Abgrund. Die Straße ist den Veteranen gewidmet und auch wir fühlen uns wie im Krieg. Ein besonders gehetzter Fahrer bespritzt Daniel mit Wasser, damit er von der Fahrbahn springt. Noch nicht bereit zu sterben, fliehen wir ins Inland. Ich giere nach Feierabend, doch inmitten eingezäunter Enge bleibt nur die Suche nach einem Vorgarten für unser Zelt. Wir klopfen an – und Miriam öffnet die Tür. Hinter sich eine große Kinderschar, ihre Töchter tragen gehäkelte Kopfbedeckungen und Jeansröcke. Ich habe nur noch Fluchtgedanken, ahne schon den Abend dahinkriechen in Sermonen und missionarischen Umpolungsversuchen.